Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Coccygodynie
Ein Überblick

Achim Benditz

Lernziele:

Die Leserinnen und Leser sollen die theoretischen Grundlagen der
Coccygodynie verinnerlichen.

Sie sollen die typischen anamnestischen Angaben der betroffenen Steißbeinpatientinnen/-patienten kennen.

Sie sollen die seitlichen dynamischen Funktionsaufnahmen als Goldstandard der Bildgebung kennenlernen.

Sie sollen eine passende Behandlungsoption beurteilen können.

Zusammenfassung:
Obwohl die Coccygodynie schon 1859 erstmalig beschrieben wurde, bleibt sie bis heute ein kontrovers diskutiertes Krankheitsbild. Typisch für Patientinnen und Patienten mit Steißbeinbeschwerden ist ein langer Leidensweg mit vielen Voruntersuchungen ohne wirkliche Diagnose. Der tief sitzende Schmerz direkt über der Steißbeinspitze, meist nur beim Sitzen oder Lagewechsel kann als Leitsymptom gesehen werden. Frauen sind häufiger als Männer betroffen und nur in ca. 50 % der Fälle ist ein Trauma erinnerlich. Aus Sicht des Autors sind die dynamischen, lateralen Röntgenaufnahmen des Steißbeins die aufschlussreichste Bildgebung. Nach Diagnosestellung sollten zunächst konservative Maßnahmen wie orale NSAR-Einnahme und Entlastung durch ein Sitzkissen mit Aussparung probiert werden. Zudem können auch lokale Infiltrationen direkt am Steißbein mit Lokalanästhetikum und einem Glukokortikoid durchgeführt werden. Krankengymnastik (Beckenboden) und Osteopathie können auch einen positiven Einfluss auf die Beschwerden haben. Bei therapierefraktären Beschwerden über 6 Monate mit kurzzeitig gutem Ansprechen auf die konservative Therapie, sollte die Coccygektomie ins Auge gefasst werden. Bei der richtigen Auswahl der Patientinnen und Patienten stellt die Entfernung des Steißbeins eine sichere Methode mit einer Erfolgsrate laut Literatur von über 80–90 % dar.

Schlüsselwörter:
Coccygodynie, Kokzygodynie, Steißbeinschmerzen, Therapie, Coccygektomie

Zitierweise:
Benditz A: Coccygodynie. Ein Überblick
OUP 2024; 13: 37–44
DOI 10.53180/oup.2024.037-044

Summary: Although coccygodynia was already first described in 1859, it remains a controversially discussed clinical picture to this day. Typical for patients with tailbone pain is a long deal with many preliminary examinations without a real diagnosis. The deep-seated pain directly above the tip of the tailbone, usually only when sitting or changing position, can be seen as a leading symptom. Women are affected more often than men and trauma is only remembered in around 50 % of the cases. From the author‘s point of view, the dynamic, lateral x-rays of the coccyx are the most informative imaging methods. After diagnosis, conservative measures such as oral NSAID intake and discharge through a donut cushion should be tried. In addition, local infiltrations can be carried out directly on the tailbone with local anaesthetic and a glucocorticoid. Physiotherapy (pelvic floor) and osteopathy can also have a positive influence on the symptoms. Coccygectomy should be considered for treatment-resistant symptoms over 6 months with a good short-term response to conservative treatment. With the correct selection of patients, the removal of the coccyx is a safe method with a success rate of over 80–90 % according to the literature.

Keywords: Coccygodynia; coccydynia; tailbone pain; therapy; coccygectomy

Citation: Benditz A: Coccydynie. An overview
OUP 2024; 13: 37–44. DOI 10.53180/oup.2024.037-044

KU Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

Anatomie und Pathogenese

Als Coccygodynie bezeichnet man Beschwerden im Bereich des Steißbeins, die erstmalig von Simpson 1859 als schmerzhafter Zustand beim Sitzen und Aufstehen beschrieben wurden [1]. Das Wort Coccygodynie leitet sich aus den beiden griechischen Wörtern „Coccyx“ wegen der anatomisch ähnlichen Form eines Kuckucksschnabels und der für Schmerz verwendeten Nachsilbe „Dynie“ ab [2]. Die Patientinnen und Patienten berichten über Schmerzen im Sitzen, die sich bei Lageänderung verstärken und auch um das Steißbein herum ausstrahlen können. Je nach vorliegender Pathologie werden auch Schmerzen bei der Defäkation beschrieben. Bis heute gilt die Coccygodynie in Fachkreisen als umstrittenes Krankheitsbild, was zu einer verzögerten Behandlung führt und Patientinnen und Patienten fast immer über eine „Arzt-Odyssee“ berichten, bis es zu einer korrekten Diagnosestellung kommt. Im folgenden Artikel sollen die Leserinnen und Leser einen Überblick über die aktuelle Literatur und die Erfahrungen des Autors in der Behandlung der Coccygodynie erhalten.

Anatomie

Das Steißbein bildet das dreieckige Ende der Wirbelsäule und besteht in der Regel aus 2–5 Segmenten. Die rudimentär angelegten Bandscheiben variieren stark in ihrer Anlage. Bis auf das erste Bandscheibenfach treten sie häufig fusioniert auf. Untersuchungen von Maigne haben auch gezeigt, dass die Bandscheibenzwischenräume auch gelenkartig mit knorpligen Anteilen angelegt sein können, was ebenfalls zu einer pathologischen Beweglichkeit führen kann [3]. Das cranialste Segment ist immer über rudimentäre (Facetten-)Gelenke mit dem Kreuzbein verbunden. Die Zygapophysengelenke bestehen aus den unteren Gelenkfortsätzen vom Kreuzbein und den oberen Gelenkfortsätzen des Steißbeins. An der ventralen Seite setzen der M. levator ani, M. iliococcygeus, M. coccygeus und der M. pubococcygeus an. Am caudalen Ende des Steißbeins verbindet das straffe Lig. anococcygeum den M. levator ani mit der mittleren Schicht des M. sphincter ani externus. An der dorsalen Fläche setzen Teile des M. gluteus maximum an.

Die Ligg. sacrococcygeale anterius und -posterius setzen ebenfalls am Steißbein an und können als Fortführung des vorderen und hinteren Längsbandes gesehen werden. Die bilateralen Befestigungen am Steißbein umfassen die Ligg. acrotuberale und -sacrospinale [4, 5].

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