Arzt und Recht - OUP 07-08/2015
Aufklärungspflicht: Bundesgerichtshof stärkt Ärzteschaft den Rücken*
Bei Streitigkeiten um Inhalt und Umfang ärztlicher Aufklärungsgespräche stoßen oft zwei grundlegend verschiedenartige Bereiche aufeinander: Der Praxisalltag und teils schwere individuelle Patientenschicksale. Ein detailliertes Aufklärungsformular und gegebenenfalls eine ausführliche ergänzende Dokumentation sind die beste Lösung für beide Seiten. Vor der Einführung des § 630h Patientenrechtegesetz musste die Aufklärung nicht dokumentiert werden, sodass es seitens der behandelnden Ärzte oft erhebliche Probleme bereitete, den Inhalt des Gesprächs zu beweisen, sofern keine oder nur eine unzureichende Dokumentation vorhanden war. Nunmehr erkennt der Bundesgerichtshof (BGH) erstmalig an, dass eine detaillierte Dokumentation im ärztlichen Alltag nicht immer zu leisten ist.
Nachweis der Patientenaufklärung
Mit Urteil vom 21.01.2014 – VI ZR 143/13 – (= GesR 2014, 227) hat der 6. Zivilsenat der Ärzteschaft den Nachweis einer korrekten Aufklärung ihrer Patienten erheblich erleichtert. So ist ein solcher Nachweis selbst dann möglich, wenn Gesprächsinhalte nicht schriftlich dokumentiert werden und sich der Behandler an das Gespräch nicht mehr im einzelnen erinnern kann, mit der Folge, dass die Instanzgerichte einer schlüssigen Darstellung des Arztes eher glauben sollen, als der Erinnerung des Patienten. Diese Rechtsprechung ist zum einen umwälzend, zum anderen führt sie die Rechtsauffassung des obersten deutschen Gerichts fort, dass für die Aufklärung nicht ein Formular, sondern das Arzt-Patienten-Gespräch maßgebend ist.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Dem Kläger war eine Herzklappe eingesetzt worden. Die Operation sollte unter Aufrechterhaltung des Blutkreislaufs mittels einer Herz-Lungen-Maschine erfolgen. Während des Eingriffs dehnte sich ein Aneurysma aus, sodass das Gerät abgeschaltet wurde. Die Operation wurde dennoch bei abgeschalteter Herz-Lungen-Maschine mit tiefhypothermem Kreislaufstillstand fortgeführt. Nach dem Eingriff litt der Patient unter Gangunsicherheit, Schwindel, gestörter Augenmotorik und Sprachstörungen. Nachbehandlungen blieben ohne Erfolg. Der Patient nimmt die behandelnden Ärzte wegen unzureichender Aufklärung in Haftung: Der schriftliche Aufklärungsbogen habe nur Informationen zur Operation bei laufender Herz-Lungen-Maschine enthalten. Dass es notwendig werden könne, die Maschine abzuschalten, sei in dem Aufklärungsgespräch kein Thema gewesen. Dem widersprachen die Ärzte. An das Gespräch konnten sie sich jedoch im einzelnen nicht mehr erinnern; diese Situation sei aber routinemäßig immer Bestandteil ihrer Aufklärungsgespräche.
Dem BGH reicht dieser Vortrag aus. Zwar liege die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung beim Arzt, es sei aber auch zu berücksichtigen, dass Patienten diese Beweislast haftungsrechtlich missbrauchen können. Es sei verständlich, dass sich Ärzte angesichts der Vielzahl ihrer Gespräche nicht an jedes Detail erinnern können. Dies zu verlangen sei überzogen und „unbillig“. Umgekehrt gebe es „vielerlei verständliche Gründe“, dass sich Patienten im Nachhinein nicht richtig an solche Gespräche erinnern. „Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht,“ so der BGH, „sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist.“ Zwar seien schriftliche Aufzeichnungen über die Inhalte der Aufklärung „nützlich und dringend zu empfehlen“, ihr Fehlen dürfe aber nicht dazu führen, dass Ärzte keine Beweismöglichkeit mehr haben. Selbst wenn ein Arzt kein Formular benutzt, müsse er eine faire und reale Chance haben, den notwendigen Beweis zu führen.
Die Entscheidung des Senats bezog sich zwar auf einen Sachverhalt vor Einführung des Patientenrechtegesetzes und lässt damit die Frage offen, ob diese Grundsätze nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter gelten. Immerhin wird gemäß § 630h Absatz 3 BGB vermutet, dass eine nach § 630f Absatz 1 oder Absatz 2 BGB medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme, die nicht aufgezeichnet ist, auch nicht getroffen wurde. Da der Senat die Entscheidung in Kenntnis des neuen Rechts getroffen hat, steht zu erwarten, dass er die Aufklärung zwar künftig kraft Gesetzes als dokumentationspflichtig ansieht, die Vermutung des § 630h Absatz 3 BGB, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme als nicht getroffen anzusehen ist, aber nicht greifen lassen wird. Hinzu kommt, dass auch dann, wenn diese Vermutung greifen würde, den Ärztinnen und Ärzten der Beweis für das Aufklärungsgespräch und seinen Inhalt wie bisher offen steht. Der Arzt, der die Aufklärung nicht dokumentiert, hatte bisher und hat zwar auch künftig Probleme, den ihm obliegenden Beweis der Aufklärung mit anderen Mitteln zu führen, der Beweis kann aber geführt werden.
Fazit
Aus der Entscheidung kann abgeleitet werden, dass das Einwilligungsformular ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs ist , dass der Arzt aber dennoch im Rahmen der Beweisaufnahme dieses Indiz erschüttern und den Gegenbeweis führen kann. Die Beweislage wurde nach altem Recht so gesehen und bleibt auch nach neuem Recht unverändert. Bei widerstreitenden Aussagen sollen die Instanzgerichte eher dem Arzt folgen, wenn dieser den Sachverhalt schlüssig darlegt, selbst dann, wenn er sich an das konkrete Gespräch nicht genau erinnern kann. Dies ist ein höchstrichterlicher Vertrauensvorschuss, auf den die Ärzteschaft durchaus stolz sein darf.
Dr. Thomas K. Heinz,
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
E-Mail: dr.tkheinz@freenet.de
Fussnoten
* Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem Hessischen Ärzteblatt 1/2015, S. 37–38
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