Übersichtsarbeiten - OUP 10/2015
Diagnostik bei Verdacht auf periprothetische InfektionWas muss untersucht werden? Was gibt es Neues?The standard and new concepts
Heinrich ML Mühlhofer1, Johannes Schauwecker1, Hans Gollwitzer1, 2
Zusammenfassung
Hintergrund: Das sichere präoperative Erkennen von periprothetischen Infektionen stellt eine große Herausforderung dar. Vor Revisionsoperationen sollte routinemäßig eine standardisierte präoperative Diagnostik durchgeführt werden. Hierdurch kann eine zielgerichtete und optimale Behandlung des Patienten erfolgen.
Ziel der Arbeit: Die vorliegende Arbeit gibt eine Übersicht über die aktuelle präoperative Diagnostik sowie über Neuigkeiten in diesem Bereich.
Methode: Es wurde eine selektive Literaturrecherche zur Diagnostik durchgeführt. Des Weiteren wurden eigene Erfahrungen aus einem spezialisiertem Zentrum für septische Orthopädie berücksichtigt.
Ergebnisse: Entscheidend für die verschiedenen Behandlungsoptionen ist der präoperative Keimnachweis. Eine präoperative Stufendiagnostik mit Gelenkpunktion zur mikrobiologischen und zytologischen Untersuchung stellt den Standard dar. Um den Keimnachweis zu erzwingen, kann die Biopsiegewinnung notwendig sein. Neue vielversprechende Ansätze bieten Möglichkeiten einer Therapieüberwachung und einer höheren Sensitivität im Rahmen von Schnelltests.
Diskussion: PPIs stellen neben den physischen und psychosozialen Problemen für den Patienten eine Herausforderung an unser Gesundheitssystem dar. Ein standardisiertes Vorgehen, das die Prinzipien der moderenen Behandlungskonzepte berücksichtig, ist notwendig um eine sichere präoperative Diagnostik zu gewährleisten.
Schlüsselwörter: Periprothetische Infektion, Biofilm, Implantat-assoziierte Infektion, Diagnostik
Zitierweise
Mühlhofer HML, Schauwecker J, Gollwitzer H. Diagnostik bei Verdacht auf periprothetische Infektion. Was muss untersucht werden? Was gibt es Neues?
OUP 2015; 10: 469–473 DOI 10.3238/oup.2015.0469–0473
Summary
Background: Increasing rates of periprosthetic joint infections (PJI) are challenging for orthopedic surgeons and the health care system in the next years. New surgical pathways and therapy options changed the concepts in diagnostic of PJI.
Aim: This article presents an overview of recent concepts of PJI emphasizing on diagnosis
Method: A selective literature research was performed focused on evidence based concepts including diagnostic of PJI. The experiences from our clinic were included.
Results: The important step in the diagnostic procedure is to identify the pathogen and its antimicrobial susceptibility. Preoperative joint aspiration and leucocyte count, differentiation and microbiological culture should be a standard diagnostic tool. Arthroscopic biopsy can be necessary to identify the pathogen. New promising concepts concerning therapy-monitoring and flash-tests will be established.
Discussion: PJI represents a significant challenge for the orthopedic surgeon. Evidence based and standardized clinical pathways are necessary for accurate and rapid diagnosis as well as patient-specific treatment concepts.
Keywords: prosthetic joint infection, biofilm, diagnostic
Citation
Mühlhofer HML, Schauwecker J, Gollwitzer H. The diagnostic pathway of prosthetic joint infection. The standard and new concepts. OUP 2015; 10: 469–473 DOI 10.3238/oup.2015.0469–0473
Einleitung
Durch die steigende Anzahl an endoprothetischen Eingriffen bei älteren Patienten mit hohem Funktionsanspruch, aber auch mit schweren Grund- und Begleiterkrankungen, steigt die absolute Anzahl der aseptischen und septischen Revisionseingriffe in Deutschland kontinuierlich an. Aktuelle Zahlen einer Studie mit einem Follow-Up von 10 Jahren beziffern die Wahrscheinlichkeit einer periprothetischen Infektion auf 1,59 % in den ersten beiden Jahren nach Primärimplantation einer Hüftgelenkendoprothese [1]. Bei Revisionseingriffen steigt die Wahrscheinlichkeit einer periprothetischen Infektion auf 3–5% an [2].
Diese Zahlen beziehen sich vor allem auf akute postoperative und akute hämatogene Infektionen. Die Gruppe der sog. Low-grade-Infekte, also Infekte, welche subakut verlaufen und durch Symptome wie die Komponenten-Lockerung oder unspezifische Schmerzen charakterisiert sind, ist in diesen Zahlen noch nicht erfasst. Gerade die Low-grade-Infekte sind schwer zu diagnostizieren, da sie oft durch langsam wachsende sog. low-virulent Mikroorganismen wie Propionibacterium acnes oder Koagulase-negative Staphylokokken hervorgerufen werden. Diese hohe Dunkelziffer stellt unser Gesundheitssystem in den nächsten Jahren vor eine große ökonomische Herausforderung, denn die Kosten für eine septische Revision sind ca. doppelt so hoch wie die Behandlungskosten einer aseptischen Revisionsoperation [3]. Schätzungen aus den USA gehen von Behandlungskosten von bis zu 1,62 Mrd. Dollar/Jahr aus.
Eine sichere evidenzbasierte präoperative Diagnostik ist im Sinne des Patienten notwendig, um unnötige zweizeitige Wechsel zu vermeiden und um eine periprothetische Infektion sicher zu erkennen und der richtigen Therapie zuzuführen. Es gilt durch ein standardisiertes Vorgehen die komplexe Diagnostik zu vereinfachen und somit höchste Behandlungsqualität und Sicherheit für den Patienten zu gewährleisten.
Was muss untersucht werden?
Anamnese, Dokumentation und klinische Untersuchung
Der Anamnese kommt bei der späteren Therapieentscheidung eine wichtige Rolle zu. Erstes Auftreten und Dauer der Symptome sind detailliert zu erfragen und zu dokumentieren. Ort und Zeitpunkt sowie Art des einliegenden Implantats sind zu dokumentieren. Risikofaktoren wie Immunsuppression durch Medikamente (z.B. Kortison, Disease Modifying Antirheumatic Drugs) oder systemische Erkrankungen, Wundheilungsstörungen oder verlängerte Antibiotikaeinnahmen nach der Voroperation, vorausgegangene Infektionen, Eintrittspforten, und Bakteriämien wie durch Koloskopien oder Zahnbehandlungen sollten abgefragt werden. Im Rahmen der Routineanamnese sind Allergien gegen Metalle, Antibiotika oder Knochenzementbestandteile zu erheben.
Im Rahmen einer klinischen Untersuchung sollte neben der üblichen Untersuchung eines Hüftgelenks auch auf lokale Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung und Überwärmung des Gelenks geachtet werden. Die Haut ist insbesondere auf Fistelgänge zu untersuchen (Abb. 1). Die Entnahme von mikrobiologischen Abstrichen aus Fistelgängen ist obsolet. Die im Fistelgang nachweisbaren Keime der Hautflora und der die periprothetische Infektion auslösende Keim differieren häufig; ferner gilt eine Fistel mit Kommunikation zum Gelenk als sicheres Infektzeichen.
Bildgebung
Die Röntgenaufnahme in 2 Ebenen stellt die Basis der radiologischen Diagnostik dar. Neue Röntgenaufnahmen sollten im Hinblick auf Implantat-Lockerung unbedingt mit Voraufnahmen verglichen werden. Gerade die periprothetische Saumbildung und periostale Reaktionen sind Hinweise auf periprothetische Infektionen [4]. Vor allem die nuklearmedizinischen Verfahren geraten in der Infektdiagnostik heute immer mehr in den Hintergrund. Zur Ergänzung bei speziellen Fragestellungen stehen die Computertomografie und die MARS-MRT-Untersuchung (Abb.2) zur Verfügung, diese sollten aber nur mit einer konkreten Fragestellung wie zum Beispiel der periprothetischen Abszessbildung eingesetzt werden.