Informationen aus der Gesellschaft - OUP 02/2022
Geschichte und Zukunft der VSOUChronologie und Perspektiven
Joachim Weyrauch, Bodo Kretschmann, Günther F. Finkbeiner
Für die Stellung der Orthopädie im medizinischen Kanon war ihre Geschichte prägend, bestimmend besonders auch für unsere alltägliche Arbeit. Rein ökonomische Betrachtung oder die puritanische Sicht, Orthopädie diene ja nur der Lebensqualität, vermag Auftrag und Umfang des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie nicht zu erfassen. In der wissenschaftlichen Literatur der letzten Jahre hatten historische Themen, da vermeintlich nicht mehr zweckdienlich, kaum Bedeutung. Wenn aber niemand mehr sich der Not der Entstehung und des Zwangs der Entwicklung erinnert, würde O&U ja zur rein detailmedizinischen Metapher; gleichwohl ist Geschichte und Entwicklung doch fachprägend und zukunftweisend.
Ab 1901 hatte sich die Orthopädie als Komplementär am Rand des chirurgischen Mutterfachs zunächst für behinderte Kinder/Jugendliche, dann auch für die Versehrten der Kriege entwickelt. Ergänzend oder alternativ bot sie zu den chirurgischen Maßnahmen und für die langfristige Behandlung und Versorgung konservative, apparative und physiotherapeutische Optionen. So wuchsen in Symbiose mit ihr die Hilfsmittelversorgung, Physiotherapie und Rehabilitation.
Zunächst wurde 1924 vom Dt. Ärztetag allgemein die Facharzt-Bezeichnung eingeführt. Einer der ersten Fachärzte für Orthopädie Carl R. H. Rabl, Enkel von Rudolf Virchow spielte eine Rolle in der späteren Gründungsphase der VSO [1, 4, 6, 8].
Das orthopädische Grundverständnis von der Fürsorge für den Einzelnen (preußisches Krüppelfürsorgegesetz) wurde später vom 3. Reich zum sog. „gesunden Volkskörper“ pervertiert mit Eugenik, Sterilisation und Euthanasie. Standesorganisationen wurden zur Überwachung der NS-Gesundheits- und Sozialpolitik verpflichtet; der Vorstand der Dt. Orthopädischen Gesellschaft trat zunächst zurück. Außerdem führte antisemitische Rassenpolitik bis in den 2. Weltkrieg mit Entzug von Approbation oder Lehrauftrag, durch Emigration, Vertreibung oder Ermordung zum spürbaren Verlust von orthopädischem Know-how [4, 9].
Mit Ende des 2. Weltkrieges waren von den Alliierten 1945 beim Einmarsch Kliniken zunächst geschlossen und danach unter ihrer kriegsärztlichen Leitung weitergeführt worden. Die Dt. Orthopädische Gesellschaft war aufgelöst, wurde aber von M. Lange und S. Weil 2 Jahre später neu gegründet [3, 5].
In den Praxen litt die Mehrzahl aller Orthopäden in den verschiedenen Besatzungszonen und Ländern unter differierenden Regelbeträgen für Verordnungen, ungeregelten Fachgruppendurchschnitten und Abrechnungen, fehlender berufsständischer Vertretung und nur auf Prozessweg erreichbarem Einfluss. Zu all dem entwickelte sich die Orthopädie an den großen Kliniken, öffentlich bezuschusst, zunehmend operativ und ließ den größeren Teil der Fachkollegen, die „praktisch tätigen Orthopäden“ zurück, was zur fachlichen Aufteilung führte.
Insgesamt eine derangierte Situation, als sich ab 1949 die besonders betroffenen südwestdeutschen Orthopäden am Bodensee trafen [1]. Die Orthopädie war doch ursprünglich von der Bedarfsseite her wegen der notwendigen Versorgung Behinderter entstanden; 50 Jahre später, nach dem 2. Weltkrieg, veranlassten dann Existenzsorgen um den Fortbestand der Praxen die Entstehung berufsständisch orthopädischer Verbände.
Von südwestdeutschen Orthopäden ging die Initiative zur Gründung einer regionalen Vereinigung aus, deren Aufgabe „neben einem auf die Bedürfnisse der praktischen Orthopädie besonders ausgerichteten wissenschaftlichen Gedankenaustausch, die Förderung und Wahrung der wirtschaftlichen Belange“ sein sollte. Über Initiative, erste Treffen, die eigentliche Gründung, weitere Gründungsversammlungen zur Satzungsentwicklung und zum Registereintrag berichtet detailliert H. G. Bauer von Au. Seine Aufzeichnungen mit Daten und kurzen Wortskizzen, mit zahlreichen Hintergrundinformationen und subjektiven, auch liebevollen Details zeugen von seinem historischen Engagement [1].
So wurde am 29.04.1951 auf der Insel Reichenau die Südwestdeutsche Orthopädenvereinigung (SOV) gegründet, nachfolgend 1953 Vereinigung Süddeutscher Orthopäden (VSO) genannt, Registereintrag dann am 14.03.1957 [1]. Gleichzeitig wurde von den anwesenden südwestdeutschen Orthopäden am 29.04.1951 auch die Gründung „eines Wirtschaftsringes Deutscher Orthopäden“ beschlossen und ein „vorbereitender Ausschuss für die Gründung“ eingesetzt. Dies müsse allerdings „Aufgabe einer anderen als der regionalen Vereinigung sein“ [1]; man musste dies ja noch mit der DOG abstimmen und bundesweit über alle Besatzungszonen etablieren. Zunächst war zwar die Initiative „vom gleichen Kreis von Kollegen“ gekommen; Verhandlungen und Satzungsentwicklung wurden auch von ihnen „vorangetrieben“. Doch schließlich „mussten sich die Wege der zu gründenden Verbände trennen“ [1]. Die eigentliche Gründung des Wirtschaftsringes (Wirido), des späteren Berufsverbandes der Orthopäden (BVO) erfolgte dann am 12.08.1951 in Baden-Baden [1, 4, 5].
So wurden die Jahrestagungen für die VSO das Gründungsthema sowie Basis einer an der Praxis orientierten Orthopädie und zum Erfahrungsaustausch in Diskussion und persönlicher Begegnung. Die Jahrestagung ist mit Informationen und speziellen Fortbildungen heute ein Abbild der orthopädischen Entwicklung, Zeitspiegel gesundheitspolitischer Vorgaben und gesellschaftlicher Veränderungen.
Die erste Jahrestagung fand 1952 in Bad Rappenau statt, danach (bis auf ein Jahrestreffen) in Baden-Baden, zeitlich immer auf den Maibeginn abonniert. Zwei Jahrestagungen erfolgten gemeinsam mit der wissenschaftlichen Gesellschaft (DOG), 1966 noch mit italienischen und österreichischen Kollegen und 1967 mit der Societé Francaise d'Orthopedie et Traumatologie. Einmalig tagten 1972 die Norddeutschen Orthopäden in Baden-Baden [1].
Nun also findet 2022 die 70. Jahrestagung der VSOU statt. Dies als Revue und Geburtstagsgruß zum Jubiläum!
Die anfänglichen „Programmhefte“ (1959–1974) wurden ab 1975 zum „Tagungsführer“ [1]. Akribisch hat H. G. Bauer von Au die Jahrestagungen mit Vorsitz, Themen, Vorträgen und Protokollen aufgezeichnet, später fortgesetzt von D. Färber und K. Rossak. Diese Aufzeichnungen und die nun von J. Weyrauch ausgewerteten Protokolle der VSO/VSOU und Jahrestagungen bilden die Basisinformation über die Entwicklung bis zur heutigen Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen [1, 10].