Übersichtsarbeiten - OUP 05/2019

Leserbrief von Dr. Daniel Frank

Leserbrief von Dr. Daniel Frank

Jan-Dirk Rompe: Konservative Therapie der symptomatischen Gonarthrose in Zeiten der Unterfinanzierung. OUP 3-2019, Seite 132–138

Sehr geehrter Herr Rompe,

zunächst darf ich Ihnen zu Ihrem Artikel in OUP gratulieren. Weist er doch in aller Deutlichkeit die Defizite der konservativen Behandlung der Gonarthrose auf. Sie haben die Einzelheiten der Epidemiologie, des demografischen Wandels und der einzelnen Therapieformen exakt dargestellt. Ob Ihre durchaus nachvollziehbaren Schlussfolgerungen die Problemlösung darstellen, muss allerdings bezweifelt werden.

Warum überhaupt noch konservativ?

Sie führen an, dass zu viele Knieendoprothesen implantiert werden.

Wenn man ein Viertel Jahrhundert zurückblickt, so kann man feststellen, dass in den Jahren 1992/1993 die damals neue Systematik der GKV-Honorierung der intraartikulären Injektionen den ersten Schub in der Zunahme der Fallzahlen der Knieendoprothetik auslöste. Wurde die intraartikuläre Injektion zuvor noch neben einer lokalen Anästhesie separat vergütet, ist nachfolgend keine Unterscheidung in der Honorierung von subkutanen Injektionen und intraartikulären Medikamentenapplikationen erfolgt. Die Zunahme der Knieendoprothetik in dieser Dekade war aber nicht nur dem EBM zuzuordnen, sondern auch dem zunehmend größeren Angebot verschiedener Endoprothesenmodelle unterschiedlicher Anbieter. Werbung für die Implantate, Publikationen, Symposien und Kongresse sowie Schulungen der Mediziner durch die Industrie ließen die Fallzahlen schnell steigen. Vergleichende Betrachtungen zu kniegelenknahen Osteotomien fielen fast ausschließlich zugunsten der Endoprothetik aus. Die Zahlen der Osteotomien waren drastisch rückläufig.

Die Einführung der DRG-Systems ist ein weiterer Grund der Fallzahlsteigerungen, da der finanzielle Anreiz der Erlöse nicht nur die Mediziner, sondern vor allem die Geschäftsführungen der Kliniken aufhorchen ließ. Außer Betracht blieb dabei die betriebswirtschaftliche Kalkulation, Erlöse stellten die Liquidität sicher, ob die Therapien finanziell nachhaltig waren, war sekundär. Das DRG-System ist eine Kostenerstattung, ohne dass Anteile für Rückstellungen, FE oder Gewinne eingepreist sind.

Eine weitere Ursache für die Fallzahlausweitung ist sicherlich im Zusammenschluss von Orthopädie und Unfallchirurgie und der Änderung der Feststellungsbescheide der Landesregierungen zu sehen. Nachdem nur noch das Fach „Chirurgie“ als Versorgungsauftrag definiert wird, bietet sich allen Kliniken mit chirurgischen Abteilungen die Möglichkeit, eine Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie auszuweisen. Monatelange Wartezeiten auf stationäre Behandlungen für eine Knieendoprothetik reduzierten sich in fast allen Kliniken. Ein größeres Angebot lässt den Umsatz und somit die Fallzahl steigen. Angebot schafft Nachfrage. Schon aus der Betriebswirtschaftslehre des 19. Jahrhunderts sind diese einfachen Zusammenhänge ableitbar. Das „Saysche Gesetz“ von Jean-Baptiste Say (1803) weist den Kausalzusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage nach.

Sie stellen zu Recht fest, dass die Fallzahlen nicht mit den demografischen Veränderungen erklärbar sind. Die Fallzahlen und vor allem die wiederholt publizierten OECD-Vergleiche sind zwar numerisch stimmig und nachvollziehbar, allerdings werden die Ausrichtungen der verschiedenen Gesundheitssysteme nicht durch Faktoren korrigiert, um die absoluten Zahlen in eine Relation zu setzen. 36 Staaten mit unterschiedlichen Gesundheitssystemen vergleicht die OECD Studie, fast regelhaft wechseln sich die Schweiz, Österreich und Deutschland an der Spitze der Länderrankings ab, wenn es um die Anzahl an Endoprothesenimplantationen pro 100.000 Einwohner geht.

Der Zugang zur Knieendoprothetik wird dabei in unterschiedlicher Weise reglementiert. In Großbritannien „verwaltet“ der Hausarzt das individuelle Krankheitskostenbudget des einzelnen Bürgers und legt somit fest, wann die Versorgung im Sinne einer Triage mit anderen Erkrankungen stattfinden wird. In den Niederlanden gibt es keine niedergelassenen Orthopäden, zudem nur einen Bruchteil an Fachärzten dieser Qualifikation verglichen mit der Anzahl niedergelassener Fachärzte in NRW bei in etwa gleich hohen Bevölkerungszahlen. Die Indikationen werden ausschließlich durch die Kliniken gestellt. Nicht viel anders verhält es sich z.B. in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, die noch viele Jahre benötigen, um den Standard der alten Länder der westlichen Welt zu erreichen. Dabei dürfte auch die politische Absicht, den Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt gering zu halten, eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

In Deutschland hat jeder Bürger im Schnitt 18 Arztkontakte/Jahr, der unmittelbare Zugang zum Facharzt ist jedem Versicherten gewährleistet. Und das ist auch gut so. Ist es nicht das Recht eines jeden Bürgers, seine Teilhabe am Gesundheitswesen für sich zu beanspruchen. Statt immer wieder die „hohe“ Anzahl an Endoprothesen/100.000 Einwohner und die überdurchschnittliche Zahl an Arztkontakten der Bürgers/Jahr in die Diskussion einzubringen, könnte man auch fragen, ob nicht die anderen Staaten ihren Bürgern sinnvolle und notwendige Gesundheitsleistungen verwehren und der Volksgesundheit somit schaden.

Die Zahl der Einrichtungen, welche Knieendoprothetik anbieten, als Faktor für die Mengenentwicklung anzuführen (Perka und Günther), trifft nur bedingt zu. Auch die High volume-Kliniken haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten ihr Fallzahlen erheblich gesteigert. Würde man die Low-volume-Kliniken vom Markt nehmen, würde dies unzweifelhaft für einen kurzen Zeitraum zu einer Abnahme der Fallzahlen führen, aber sicherlich nur so lange, wie die High–volume Kliniken Zeit benötigen, um ihr Angebot der Nachfrage anzupassen.

Man kann die Endoprothetik nicht ausschließlich von der Angebotsseite betrachten, sondern muss auch die Nachfrage ins Kalkül ziehen. Ein System, das immer besser funktioniert, wird vermehrt nachgefragt. Ein plakatives Beispiel ist die neue ICE-Schnellverbindung der Bahn zwischen München und Berlin. Die Fahrgastzahlen übertreffen die Erwartungen bei weitem, sodass zusätzliche Züge eingesetzt werden. Ähnlich verhält es sich mit der Knieendoprothetik. Seit 1979 wird in Schweden das Knieendoprothesenregister gesetzlich verordnet geführt. Vergleicht man die unterschiedlichen Dekaden, so kann man zweifelsfrei feststellen, dass die Überlebensrate oder Standzeit der Knieendoprothesen deutlich zugenommen hat. Im aktuellen Swedish Knee Arthroplasty Register aus 2018 wird dargestellt, dass die Revisionsrate in der Dekade 1976–1985 über 20 % betrug, in der Dekade 1986–1995 ca. 8 % und in der Dekade 1996–2005 ca. 5 %. Die Zahlen für die laufende Dekade entsprechen weitgehend den Daten der vorangegangenen Dekade.

Wenn man die Revisionsquote unter anderem als Ausdruck der Ergebnisqualität wertet, so kann man zweifelsfrei feststellen, dass das System Knieendoprothese über die Jahre zunehmend besser wird und bereits so gut funktioniert, dass ein wesentlicher Zugewinn an Qualität derzeit nicht mehr zu erkennen ist. Wenn also ein System besser und zuverlässiger wird, kann es nicht verwunderlich sein, dass es von Ärzten vermehrt empfohlen und vom Patienten eher akzeptiert wird.

Ist es sinnvoll, zunächst immer auf die Ökonomie und die mit der Medizin verbundenen Kosten zu schauen? Ich glaube wir können uns Deutsche als Weltmeister im Einsparen bezeichnen. Die Discounter rechnen es uns im wahrsten Sinne des Wortes tagtäglich vor. Kaum ein ausländisches Unternehmen schafft es im Food-Bereich in Deutschland Fuß zu fassen, vielmehr sind Aldi und Lidl weltweit erfolgreich. Die Einsparungen in der Medizin, welche wir selber immer propagieren und vor allem als Ärzte aktiv umsetzen, werden uns eines Tages selber vom Markt fegen. Mit fast track, rapid recovery und ähnlichen Programmen wollen wir modern sein und vor allem dem Mitbewerber Patienten abziehen. Wir gaukeln uns vor, dass Verweildauern von 4–5 Tagen dem Patientenwohl entgegenkommen, dabei vergessen wir, dass die Strukturen in den Kliniken und die Anzahl des verfügbaren Personals diesem Ansatz nicht entsprechen. Ca. 38 % der Kosten einer Knie-TEP-DRG entsprechen dem postoperativen Zeitraum, verkürzen wir diese Zeit, wird spätestens nach drei Jahren die DRG wiederum abgewertet. Womit die Kliniken sich schleichend in ein ähnliches Dilemma wie die Arztpraxen begeben. Niemals werden wir für die personellen und administrativen Mehrleistungen während einer kürzeren Verweildauer mehr Personal zugestanden bekommen.

Wann und wie viel
konservative Therapie?

Sie rechnen vor, dass Sie rund 4 Euro pro Arzt-Patienten-Kontakt erhalten.

Die Unterfinanzierung der ambulanten Orthopädie ist absolut unbestritten. Die zitierte S2K-Leitlinie hat das dritthöchste Niveau im Leitlinienkanon, der Konsens wurde über alle Ebenen der Leistungserbringung und Kostenträger hergestellt. Aber Leitlinien sind eine Empfehlung und keine absolut verbindliche Vorgabe. „Sie sind – anders als Richtlinien – nicht bindend und müssen an den Einzelfall angepasst werden. Weiterhin sind sie keine Rechtsnorm und für die Judikative nicht bindend“. Kritisiert wird an Leitlinien, dass das wissenschaftliche Konsensverfahren bei der Erstellung von Leitlinien dazu führt, dass nur wenige der als relevant erachteten Behandlungsschritte in die Leitlinien aufgenommen werden (Zitat: Wikipedia). Die Leitlinien als Grundlage einer konservativen Behandlung heranzuziehen, ist durchaus statthaft. Sie apodiktisch als einzigen Therapieinhalt zu definieren ist fragwürdig.

Wenn – wie immer von den Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen postuliert – eine medizinische Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein soll, so ist dies dem seit Jahrzehnten bekannten und gebetsmühlenartig vorgetragenen Plattitüden der Granden der GKV zu entnehmen. Einen GKV-Patienten als Patienten 2. Klasse zu bezeichnen, ist als schwierig bis unmöglich einzustufen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die überwiegende Zahl an Mitbürgern gern privatärztlich versichert sein würde. Es ist nun mal Tatsache, dass nur 8 % der Bevölkerung die Beitragsbemessungsgrenze auf Grund ihres Jahreseinkommens überschreiten, um eine private Krankenversicherung abschließen zu können. Wer von uns würde sich gern als Mensch 2. Klasse bezeichnen wollen oder einstufen lassen. Die Vergütung im GKV-Bereich darf nicht herabstufend wirken.

Wikipedia als internetbasierte Enzyklopädie hat durchaus Relevanz und erklärt auch schwierigere Zusammenhänge verständlich. Zitat: „Unter einer Mischkalkulation (auch Ausgleichskalkulation genannt) versteht man eine Kalkulation, bei der die Verkaufspreise für einzelne Produkte nicht von den Herstellkosten, sondern von marktstrategischen Absichten bestimmt werden“. Jeder Kaufmann, auch der nicht akademisch ausgebildete, sieht in der Mischkalkulation ein Instrument der Kundenbindung und Arrondierung des Sortiments. Wir Mediziner haben hier offenbar eine divergierende Ansicht der Marktmechanismen, obwohl wir, zumindest als niedergelassener Arzt, durchaus ein Kleinunternehmer sind. Muss jede Therapie kostendeckend oder sogar gewinnbringend sein? Kommt es nicht vielmehr auf einen gesunden Mix an. Der zufriedene Kunde beim Kaufmann und Patient beim Arzt ist eine für das Geschäft oder die Praxis werbende Person. Empfiehlt den nächsten Kunden oder Patienten. Und der kann durchaus privat versichert sein. Den Praxen stehen neben den GKV-Einnahmen, PKV-Einnahmen, Erlöse aus dem BG-Wesen, Igel-Leistungen und möglicherweise auch Gutachteneinnahmen zur Verfügung. Eine nur auf GKV-Einnahmen reduzierte Praxis dürfte eher die Ausnahme sein. Einnahmen aus Privatliquidationen und Igel-Erlöse haben mitunter ein beträchtliches Ausmaß. Das Prinzip der Mischkalkulation ist gegeben.

Auch in den Kliniken gibt es eine nicht unbedeutende Anzahl an Behandlungsfällen, welche nicht kostendeckend erbracht werden können oder vom MdK gänzlich aus dem Vergütungsrahmen gestrichen werden, auch retrospektiv, also nach Erbringung der Leistung. Auch hier hat die Mischkalkulation einen regulierenden Effekt.

Wollen wir den Patienten eine medizinisch notwendige und sinnvolle Leistung verweigern? Hier unterscheiden sich Handel, Handwerk und Industrie vollkommen von der Medizin. Wir haben mit dem Hippokratischen Eid sicherlich kein Armutsgelübde abgegeben, aber der Beruf des Arztes, ob in Praxis oder Klinik, macht hier den entscheidenden Unterschied. Wir sind der Ethik und Moral sicherlich mehr verpflichtet.

 

Sie mahnen die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion der Patienten an.

Über die verschiedenen konservativen Behandlungsmethoden kann man hinsichtlich ihrer Wirkung und Relevanz unterschiedlicher Ansicht sein. Man kann evidenzbasierte Studien zitieren, das Für und Wider für sich diskutieren und im täglichen Handeln umsetzen. Man kann Gewichtsabnahmen bei den Patienten anmahnen oder einfordern, muss aber im Gesamtkontex zur Kenntnis nehmen, dass das Durchschnittsgewicht des Bürgers stetig zunimmt. Wir wissen, dass in der Endoprothetik ein BMI > 40 das Risiko einer unerwünschten Nebenwirkung oder Komplikation um den Faktor 10 steigert. Auch wissen wir, dass die Annahme, dass ein Patient wegen der Arthrose an Gewicht zugenommen hat, da er nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich wie früher zu bewegen, nicht zutrifft. Untersuchungen hinsichtlich der Gewichtskurve haben gerade bei Patienten, welche diese Begründung für ihr Übergewicht ins Feld führen, gezeigt, dass die Gewichtszunahme nach Endoprothesenimplantation stetig weiter nach oben verläuft. Es ist eben alles ein Faktor der Bilanzierung, der Kalorienzufuhr und Energieverbrennung.

Die Evidenzbasierung hat einen sehr hohen Stellenwert. Nicht evidenzbasierte Therapieformen leiden darunter, entweder nicht auf ihre Evidenz hin untersucht worden zu sein oder den harten Kriterien nicht entsprochen zu haben. Was gelegentlich unberücksichtigt bleibt, weil es auch nur schwer zu messen ist, dass die Zeit, welche über die Therapiedauer vergeht, die Beschwerden heilt. Sicherlich nicht heilt, aber eine Funktion der Beschwerdefreiheit darstellt. Aktivierte Arthrosen bilden sich durchaus zurück, wenn Expositionsprophylaxe betrieben, dem Gelenk Schonung gewährt wird oder suggestive Kräfte wirken.

 

Sie sehen sich nicht mehr in der Lage, Krankengymnastik zu verordnen.

Physiotherapeutische Leistungen sind ein Grundpfeiler der konservativen Behandlung, die Budgetierung eine Geißel. Verwehren wir unseren Patienten die sinnvoll indizierte Krankengymnastik, berauben wir uns einer Therapieform, welche wir als Orthopäden und Unfallchirurgen niemals aus der Hand geben sollten. Indikation, Therapiekontrolle und abschließende Beurteilung des Ergebnisses sind unzweifelhaft eine ärztliche Aufgabe. Man mag den Standpunkt teilen, dass das, was sich nicht rechnet, unterlassen werden kann. Schränkt man sein Behandlungsspektrum zunehmend ein, sollte man sich fragen, was dann noch übrig bleibt.

Wolfgang Rüther hat im Januar 2019 beim Verband der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen ein Grundsatzreferat zu dem Thema gehalten: „Die Konservativen formieren sich neu“. Er stellte den Anspruch der Rheumatologen in der konservativen Behandlung des Stütz- und Bewegungsapparats dar, die europäische Ausrichtung der Rheumatologie und das „europäische Verständnis von Rheumatologie“. Dazu muss man wissen, dass der europäische „Rheumatologist“ ein Internist ist und die WHO über 420 Erkrankungen im rheumatologischen Formenkreis definiert, u.a. auch die Coxarthrose und Gonarthrose.

 

Sie reduzieren die erforderliche Schmerztherapie auf die topische Applikation durch Salben und verweisen die Patienten zu deren Hausärzten und Internisten, um eine medikamentöse Therapie durchzuführen.

Die Schmerztherapie des Bewegungsapparats mit Analgetika und NSAR sind die Domäne der Orthopädie. Paracetamol zeigt die geringste Wirkung, die potenteren Medikamente werden zunehmend mit Risikowarnungen bzgl. kardiovaskulärer Erkrankungen verbunden. Die Diskussion um Metamizol im Hinblick auf die extrem seltene Agranulocytose ist nach Jahrzehnten wieder an die Oberfläche geschwappt. Die Opioide sind wegen der missbräuchlichen, ärztlich verordneten Anwendung in den USA im Gespräch. Die medizinisch verursachten Drogentoten in den USA übertreffen mittlerweile die Zahl der Verkehrstoten. Wollen wir die Schmerztherapie anderen Fachgruppen überlassen? Es kann nicht angehen, dass wir NSAR als orale Therapie im Hinblick auf drohende Regresse verlassen und dem Patienten Salben empfehlen, welche ohne ärztliche Verordnung sowieso jedermann zugänglich sind.

Intraartikuläre und intramuskuläre Kortison-Injektionen waren und sind ein wesentlicher Baustein der konservativen Therapie. Trotz ihres Risikos und der hierdurch bedingten hygienischen Anforderungen. Eine Behandlung nicht als Kassenleistung zu betrachten und sie durch Zuzahlung oder nur dem Privatpatienten zukommen zu lassen, ist moralisch fragwürdig. Eine derartige Vorgehensweise gibt allen Kritikern des deutschen Gesundheitswesens und Befürwortern der Bürgerversicherung die Argumente an die Hand, welche wir nicht um die Ohren geschlagen haben wollen.

Eine Knieprothesen-Vermeidungs strategie, wie im Artikel erneut gefordert, mag sinnvoll sein, um die Zahl der Implantationen zu beeinflussen, allerdings nur, wenn die Rahmenbedingungen zutreffen. Dies bedeutet zunächst eine Definition der Ziele und Strategien. Eine Verweigerungshaltung bei konservativen Therapieinhalten ist in keiner Weise eine Grundvoraussetzung. Hierdurch werden die Patienten den Heilpraktikern, Allgemeinärzten und Internisten überlassen oder sie wenden sich an die Notfallambulanzen der Kliniken. Die Zurückweisung der Patienten, teilweise monatelange Wartezeiten auf einen Untersuchungstermin, zweifelhafte Igel-Therapien und suboptimale Therapieformen werden die konservative Orthopädie im Markt zurückdrängen. Die Ausbildung der Assistenzärzte zu Fachärzten in den Kliniken hat durch den Dualismus hier Klinik, dort Praxis erheblich gelitten. Konservative Therapien nehmen in den Kliniken mittlerweile einen Anteil von unter 5 % der gesamten Fälle ein. Die strikte Sektorentrennung, welche durch die KV unnachgiebig eingefordert wird, trägt einen erheblichen Teil hierzu bei. Die in den Kliniken weitergebildeten Fachärzte haben zum großen Teil keine Ausbildung in konservativen Therapien erhalten, teilweise noch nie intraartikuläre Injektionen vorgenommen. Wirbelsäulennahe Infiltrationen kennen sie im Wesentlichen aus dem Lehrbuch.

Der Grundsatz „konservativ vor operativ“ ist unumstößlich. Die konservative Therapie sollte aber auch umfassend angeboten werden – vom Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Eine angemessene Honorierung ist ein Junktim. Der EBM ist nicht auskömmlich, die GOÄ mehr als 23 Jahre alt und die DRG´s verfallen zusehend. Die Ursache liegt zum einen in der Unterfinanzierung des KV-Bereiches, welche durch Fallzunahme von vielen Ärzten kompensiert wird. Die Novellierung der GOÄ gerät zwischen die Mühlsteine der Politik ohne erkennbare Lösung und an der Abwertung der DRG´s sind die Klinikärzte, die Krankenhäuser und die Deutsche Krankenhausgesellschaft nicht unerheblich beteiligt. Eine Verweigerung der Leistung kann allerdings nicht die Lösung des Problems sein.

 

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