Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020
Prävention und Management von Komplikationen nach Frakturen im Kindesalter
Peter P. Schmittenbecher, Ingo Marzi
Peter P. Schmittenbecher: Kinderchirurgische Klinik, Klinikum Karlsruhe
Ingo Marzi: Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt
Ziel der Frakturbehandlung im Kindesalter ist die Wiederherstellung der Extremitätenachsen und der Gelenkfunktionen durch Reposition und Retention unter Einbeziehung des spontanen Remodellings durch die Korrekturoptionen der offenen Wachstumsfugen. Somit ergeben sich Komplikationen in der Akutbehandlung vor allem aus unzureichender Reposition, unzureichender Fixation, Fehlern in der Osteosynthesetechnik und Fehleinschätzung der Spontankorrektur. So muss die suprakondyläre Humerusfraktur Typ III und IV reponiert und fixiert werden. Die meisten Probleme (residuelle Extension, Varus-/Valgusverkippung und Rotation, instabile K-Draht-Fixation) sind durch die intraoperative Durchleuchtung erkennbar und korrigierbar, sofern diese Dokumentation aktiv die „schlechteste“ Ebene sucht. Als intraoperative Alternative steht heute der Fixateur externe zur Verfügung, der bei Repositions- wie Retentionsproblemen sehr viel einfacher zum Erfolg führt als die offene Reposition. Bei artikulären Frakturen wie dem Abriss des Kondylus radialis humeri ist auch beim Kleinkind die korrekte Wiederherstellung der Gelenkfläche elementar. Je stabiler die Fixation, umso geringer die Fugenstimulation und das Risiko einer Varisierung. Ist der metaphysäre Teil dieser Salter-Harris IV-Fraktur wie meist groß genug, ist die Zugschraubenosteosynthese Methode der ersten Wahl. Wird eine Instabilität übersehen, droht eine Pseudarthrose. Instabile Unterarmschaftfrakturen, die bei Achsenfehlstellungen von 15° bereits zu Einschränkungen der Pronation und Supination führen, werden heute primär mittels elastisch-stabiler intramedullärer Nagelung (ESIN) versorgt. Probleme sind ggf. zu lang belassene Nagelenden, die die Weichteile irritieren. Wird aber zunächst ein konservatives Vorgehen angestrebt, muss die Reposition absolut achsengerecht sein und darf sich bei der Oberarmgips-Anlage nicht verändern, sonst ist direkt der Umstieg auf eine ESIN indiziert. Bei der ESIN-Versorgung einer instabilen Unterschenkelfraktur ist auf einen symmetrischen Nagelverlauf zu achten. Häufig wird der laterale Nagel zu weit mittig eingebracht und läuft ohne inneren Kortikaliskontakt gerade und passiv in der Tibiaachse nach distal, während der gut von medial platzierte und damit wie ein C verspannte zweite Nagel den Unterschenkel in eine Varusposition zwingt. Das sollte intraoperativ erkannt und durch ein neues, mehr laterales Bohrloch und eine Neuplatzierung des Nagels korrigiert werden.
Alle vollständigen, also den Knochen ganz durchtrennenden, initial wenig oder undislozierten und die reponierten, konservativ behandelten Frakturen müssen nach einer Woche radiologisch mit der Frage der Stellung oder sekundären Dislokation kontrolliert werden. Ist die Stellung jetzt unverändert, erfolgt die nächste Kontrolle dann nach ca. 4 Wochen Gips-frei mit der Frage der Konsolidierung und Bewegungsfreigabe. Wer eine weitere Stellungskontrolle nach 2 Wochen für erforderlich hält, traut der Stabilität der Versorgung so wenig, dass er sich eher die Frage nach der sekundären Osteosynthese stellen sollte. Die Kondylus radialis-Fraktur wird – als Ausnahme – bei konservativem Vorgehen bereits nach 4–5 Tagen Gips-frei (wegen der besseren Sichtbarkeit der Einzelheiten) kontrolliert, da eine jetzt schon mit großer Sicherheit erkennbare Fragmentmobilität eine operative Konsequenz nach sich zieht, um der drohenden Pseudarthrose vorzubeugen. Nach Osteosynthese ist die erste radiologische Kontrolle zum Zeitpunkt der erwarteten Konsolidierung nach 4–6 Wochen anzusetzen. Die Konsequenz ist bei K-Draht-Osteosynthesen die Planung der zeitnahen Metallentfernung, bei bewegungsstabilen Osteosynthesen die Freigabe zur Belastung. Klinisch kann jetzt ergänzend der Kallus auf Druckschmerz-Freiheit überprüft und damit die Freigabe untermauert werden. Die Funktion ist bei Gipsruhigstellung jetzt noch nicht, bei bewegungsstabiler Versorgung aber sehr wohl zu prüfen. So zeigen mittels ESIN versorgte Unterarmfrakturen, wenn sie nicht ruhiggestellt wurden (was grundsätzlich entbehrlich ist), nach 4Wochen bereits eine bis auf eine geringe temporäre Pro-/Supinationshemmung einwandfreie Bewegung. Alle Ellenbogen-nahen Brüche werden dagegen (bei den K-Drähten nach der Metallentfernung) jetzt einer freien, selbst bestimmten Mobilisationsphase überlassen und nach weiteren 3–4 Wochen kontrolliert. Um die 8. Woche nach der Fraktur lässt sich fast immer ein Funktionsstatus erheben. Oft stellt sich jetzt die Frage nach der Krankengymnastik, die nur bei relevanten Einschränkungen indiziert ist. Wichtig zu wissen ist, dass nach suprakondylären Humerusfrakturen und Kondylus humeri-Frakturen bis zu 1 Jahr post trauma Funktionsverbesserungen festgestellt werden können. Röntgenaufnahmen sind im weiteren Verlauf nur noch vor den noch ausstehenden Metallentfernungen, danach nur bei Funktionsstörungen mit vermeintlich knöcherner Ursache oder bei klinischem Verdacht auf Wachstumsstörungen indiziert, klinische Kontrollen erfolgen bis zur Funktionsfreiheit oder zum Wachstumsabschluss.
Korrekturen an der oberen Extremität erfolgen ganz überwiegend am distalen Humerus, am Unterarmschaft oder am distalen Radius. Nach suprakondylären oder kondylären Frakturen auftretende Varus- oder Valgusfehlstellungen haben zunächst und sehr lange einen überwiegend kosmetischen Aspekt, bevor es gelegentlich zu einer Ulnaris-Irritation kommt, während suprakondyläre Extensionsfehlstellungen zu einem Flexionsdefizit führen. Aufgrund der geringen Wachstumspotenz hilft das hier noch zu oft empfohlene Abwarten bis zum Wachstumsende nichts. Wenn eine nachvollziehbare physische oder psychische Beeinträchtigung des Kindes (nicht der Eltern) vorliegt, kann die Korrektur jederzeit erfolgen. Die suprakondyläre auf- oder zuklappende oder Dom-Osteotomie kann mittels K-Drähten (benötigt Gipsruhigstellung) oder dem lateralen Fixateur (bewegungsstabil) fixiert werden, bei Jugendlichen steht auch die Plattenosteosynthese zur Debatte. Die Pseudarthrose des Kondylus radialis dagegen bedarf zunächst der Fixation des Fragmentes in situ, da eine anatomische Korrektur unter Wiederherstellung der Gelenkfläche meist nicht mehr praktikabel ist. Wenn damit aber ein erheblicher Cubitus hypervalgus fixiert wird, ist ggf. die zusätzliche suprakondyläre Osteotomie notwendig und sinnvoll. Am Unterarmschaft ist das Augenmerk vor allem auf konservativ behandelte und in Fehlstellung konsolidierte Frakturen zu richten. Auch hier gilt: das Wachstum wird nichts ändern! Steht also die im Gips behandelte Unterarmschaftfraktur bei Gipsabnahme nach 4 Wochen so fehl in der Achse, dass nach aller Erfahrung im Verlauf eine funktionell relevante Einschränkung der Umwendbewegungen resultieren wird, soll die Korrektur mittels ESIN zeitnah erfolgen. Jetzt ist sie oft noch geschlossen möglich, das weitere Abwarten erhöht nur den Aufwand, die über Jahre in der Fehlposition verheilte Membrana interossea kann dann zum Teil bei radiologisch gut korrigierter Stellung die Funktionsverbesserung limitieren. Am distalen Radius haben wir eine hochaktive und sehr potente Wachstumsfuge, sodass die in aller Regel metaphysären Fehlheilungen oft spontan korrigiert werden. Hier ist zunächst Geduld indiziert. Ein partieller oder vollständiger vorzeitiger Fugenschluss führt dagegen zu einem radialen Wachstumsrückstand mit oder ohne zusätzlicher Veränderung der frontalen oder sagittalen Inklination der Gelenkfläche. Dies betrifft kaum junge, sondern überwiegend präpubertäre Kinder, sodass alle Korrekturen in diesem Bereich nach dem 10. Lebensjahr erfolgen. Bei der schmalen knöchernen Fugenbrücke kann die Brückenresektion versucht werden. In allen anderen Fällen entscheidet das Ausmaß des Längenverlustes über die Möglichkeit der vollständigen Sofortkorrektur mittels Osteotomie, mehrdimensionaler Achsenkorrektur, Längenausgleich und volarer Plattenosteosynthese. Bei grenzwertig großem resultierendem Osteotomiespalt kann ein Beckenkammspan eingebracht werden. Alternativ stehen verschiedene Fixateursysteme zur Kallusdistraktion in Kombination mit der Achsenkorrektur zu Verfügung.