Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016
Radiuskopffraktur – wann operativ und wie?
Markus Gühring1, Fabian M. Stuby1, Thomas Freude1, Ulrich Stöckle1
Zusammenfassung: Der Radiuskopf ist für die funktionelle Anatomie von Ellenbogen und Unterarm von zentraler Bedeutung. Neben den Seitenbändern und dem Processus coronoideus stellt er einen wichtigen Stabilisator des Ellenbogengelenks hinsichtlich Valgusstress und posterolateraler Instabilität dar [35]. Entsprechend seiner Bedeutung für die Funktion des Ellenbogengelenks ist eine differenzierte Therapie der Radiuskopffraktur unabdingbar. In diesem Artikel sollen sowohl Diagnostik als auch Klassifikation der Radiuskopffraktur, Behandlungsalgorithmen und Techniken der Rekonstruktion in Abhängigkeit von der Frakturmorphologie dargestellt werden.
Schlüsselwörter: Ellenbogen, Radiuskopffraktur, Instabilität,
konservative Therapie, operative Therapie
Zitierweise
Gühring M, Stuby FM, Freude T, Stöckle U. Radiuskopffraktur – wann operativ und wie?
OUP 2016; 3: 146–153 DOI 10.3238/oup.2015.0146–0153
Summary: The radial head is pivotal in the functional anatomy of the elbow and forearm. It is an important stabilizer together with the collateral ligaments and the processus coronoideus [35]. Due to the pivotal meaning, the best therapies are essential for the function of elbow and forearm, independent of trauma severity. The present work shows current diagnostics, classifications and treatment options for radial head fractures.
Keywords: elbow, radial head fracture, instability, conservative treatment, surgical treatment
Citation
Gühring M, Stuby FM, Freude T, Stöckle U. Recommendations for the treatment of the radial head fracture.
OUP 2016; 3: 146–153 DOI 10.3238/oup.2015.0146–0153
Einleitung
Die Radiuskopffraktur ist die häufigste Fraktur am Ellenbogengelenk. Frakturen von Radiuskopf und Radiushals machen 1,5–4 % aller Frakturen und 26 % aller knöcherner Ellenbogenverletzungen aus [13, 14].
Frakturen des Radiuskopfs entstehen meist durch Sturz auf den extendierten und pronierten Unterarm [1]. Um eine optimale Therapie der Radiuskopffraktur zu gewährleisten, muss man die Anatomie des Ellenbogengelenks kennen. Der Ellenbogen besteht aus 3 unabhängigen Gelenken – dem humeroulnaren, dem humeroradialen und dem radioulnaren Gelenk. Medialer und lateraler Seitenbandapparat stabilisieren das Ellenbogengelenk bezüglich Valgus- und Varusstress [27]. Die Fraktur des Radiuskopfs geht häufig mit ligamentären Begleitverletzungen einher [20]. Hier können nicht nur die Kollateralbänder, sondern auch die Membrana interossea im Rahmen einer Essex-Lopresti-Verletzung betroffen sein [9]. Somit ist die Radiuskopffraktur als osteoligamentäre Verletzung zu sehen und der Bandapparat sowohl in den Diagnostik- als auch in den Behandlungsalgorithmus miteinzubeziehen [40].
Diagnostik
Zu Beginn steht die Befragung des Patienten hinsichtlich des Unfallhergangs. Hier wird meist ein Sturz auf den ausgestreckten und pronierten Arm angegeben, sodass eine Radiuskopffraktur vermutet werden kann. Der Anamnese folgt die klinische Untersuchung. Lokale Weichteilverletzungen sind entsprechend des Verletzungsmechanismus selten, müssen jedoch im Hinblick auf eine eventuelle operative Therapie dokumentiert werden. Bei der Palpation findet sich ein Druckschmerz über dem Radiuskopf. Druckschmerzen über dem medialen und lateralen Gelenkspalt können Hinweis für eine Verletzung des Seitenbandapparats sein. Die Beweglichkeit des betroffenen Ellenbogengelenks ist in der Regel sowohl für Streckung und Beugung, aber auch für die Unterarm-Umwendbewegung schmerzbedingt oder bedingt durch ein Blockadephänomen eingeschränkt. Die Untersuchung des gleichseitigen Handgelenks ist zwingend erforderlich, da ein Bewegungsschmerz in diesem Bereich Hinweis auf eine Verletzung der Membrana interossea sein kann. Die akute Schmerzsituation lässt eine aussagekräftige Untersuchung des Ellengelenks zur Überprüfung der Stabilität in der Regel nicht zu. Selbige sollte zu einem späteren Zeitpunkt ggf. unter entsprechender Analgosedierung erfolgen. Wie bei jeder körperlichen Untersuchung einer Extremität ist die Überprüfung der peripheren Durchblutung, Sensibilität und Motorik obligat. Die nativen Röntgenaufnahmen des betroffenen Ellenbogengelenks in 2 Ebenen sind zur Sicherung der Diagnose einer Radiuskopffraktur meist ausreichend. Ist in den beiden Standardprojektionen eine Fraktur nicht sicher auszuschließen, kann eine Radiuskopfzielaufnahme gewonnen werden. Hinweis für eine Radiuskopffraktur ohne wesentliche Dislokation und somit ein indirektes Frakturzeichen kann in der seitlichen Projektion das sogenannte „fat pad sign“ (Fettpolsterzeichen) sein (Abb. 1) [11]. Bei komplexeren Radiuskopffrakturen und Verdacht auf knöcherne Begleitverletzungen ist eine Computertomografie des betroffenen Ellenbogengelenks zu empfehlen. Die Magnetresonanztomografie spielt in der Akutdiagnostik der Radiuskopffraktur keine wesentliche Rolle. Bei anhaltenden oder zunehmenden Beschwerden einer konservativ therapierten Radiuskopffraktur kann im Verlauf eine Kernspintomografie des betroffenen Ellenbogengelenks zur Beurteilung des Bandapparats und Ausschluss einer Knorpelläsion durchgeführt werden. Sonografie und Angiografie sind ebenso wie die Punktion des Gelenks zum Nachweis eines Hämarthos zu vernachlässigen. Bei dem Verdacht einer Essex-Lopresti-Verletzung sollten native Röntgenaufnahmen des Handgelenks gewonnen werden, ggf. auch im Seitenvergleich, um eine Dislokation im distalen Radioulnargelenk auszuschließen.
Klassifikation
Im klinischen Alltag hat sich für die Radiuskopffraktur die Klassifikation nach Mason durchgesetzt. Die Einteilung geht auf eine Veröffentlichung von Mason aus dem Jahr 1954 zurück [25]. Er teilte in undislozierte Frakturen (Typ 1), partiell dislozierte Frakturen (Typ 2) und komplett dislozierte Frakturen (Typ 3) ein. Johnston veröffentlichte 1962 eine Modifikation der Mason-Klassifikation unter Einbeziehung der Ellenbogenluxation als Typ 4 (Abb. 2) [19, 29]. Die Modifikation der Mason-Klassifikation nach Broberg und Morrey bezieht die Größe des knöchernen Defekts und Ausmaß der Dislokation mit ein [3]. So umfasst die Radiuskopffraktur Typ 2 nach Broberg und Morrey mindestens 30 % der Gelenkfläche oder weist mindestens eine Dislokation von 2 mm auf. Die Klassifikation der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) wird ergänzungsweise aufgeführt. Es werden einfache Spaltbrüche als Typ 21-B2.1, mehrfragmentäre Brüche als 21-B2.2 und Trümmerbrüche als 21-B2.3 klassfiziert [30].