Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016
Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane*Schultersonografie, Standardebenen, Untersuchungsgang und FunktionstestsUltrasound examination of the shoulder, instructional course, standard positions and functional tests
Norbert M. Hien1
Zusammenfassung: Die Sonografie des Schultergelenks hat sich in den letzten 30 Jahren im diagnostischen Spektrum fest etabliert. Sie ist im Gegensatz zum konventionellen Röntgen und den Schnittbildverfahren CT und MRT leichter verfügbar und strahlungsfrei und ermöglicht anschauliche Funktionsuntersuchungen in Echtzeit. Während in der ursprünglich von Crass und Middleton eingeführten und später von Hedtmann weiterentwickelten Sonografie-Methode hauptsächlich in 2 Schnittebenen die Struktur und Funktion der Rotatorenmanschette beurteilt wird, empfiehlt sich heute eine das gesamte Schultergelenk umfassende
Untersuchungstechnik mit Abfolge exakt definierter Schnittebenen und manueller Funktionstests bezüglich gezielter Fragestellungen.
Nach Darstellung der Standardebenen und Funktionstests werden anhand der Daten aus 30 Jahren Schultersonografie in Klinik und Praxis und mehr als 100 Fortbildungskursen die sonografischen Beurteilungskriterien und Einteilungen für Veränderungen und Defekte der Rotatorenmanschette, für das humero-akromiale und das humero-coracoidale Impingement und für objektivierbare Instabilitäten vorgestellt.
Schlüsselwörter: Sonografie, Ultraschall, Schulter, Labrum
glenoidale, Instabilität, Impingement, Rotatorenmanschette,
Bizepssehne
Zitierweise
Hien NM: Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane. Schultersonografie, Standardebenen, Untersuchungsgang und Funktionstests. OUP 2016; 4: 250–256 DOI 10.3238/oup.2016.0250–0256
Summary: Over the past 30 years ultrasound has developed to be an established tool in shoulder diagnostics. Compared to conventional radiographs and the cross sectional techniques CT and MRI ultrasound is more easily available, free of radiation and allows real time observation of the joint and its structures during functional tests. While originally the
sonographic method first introduced by Crass and Middleton and later modified by Hedtmann primarily focused on the examination of the rotator cuff by using mainly 2 cross sectional views, today it is recommended to examine the whole shoulder joint following a certain course of standard positions, in which specific functions are manually tested and observed. The standard positions, views and functional tests used are demonstrated and sonographic criteria and classifications are presented, based upon the experience of 3 decades of clinical shoulder sonography and more than 100 instructional courses held.
Keywords: Sonography, diagnostic ultrasound, shoulder, rotator cuff, impingement, instability, biceps tendon, labrum glenoidale, glenoid brim
Citation
Hien NM: Refreshing class musculoskeletal ultrasound. Ultrasound examination of the shoulder, instructional course, standard positions and functional tests.
OUP 2016; 4: 250–256 DOI 10.3238/oup.2016.0250–0256
Einleitung
Anfangs wurde sonografisch an der Schulter nur mit wenigen Standardschnitten auf die Untersuchung der Rotatorenmanschette [1, 2, 6, 15] oder auf entzündlich rheumatische Veränderungen fokusiert, bald aber forderte man weitere Ebenen, um Instabilitäten, Bewegungsgewohnheiten und die Veränderungen der langen Bizepssehne zu erfassen [5, 7, 10]. Heute erfordert die qualifizierte Ultraschall-Untersuchung des Schultergelenks einen standardisierten Untersuchungsgang unter Verwendung exakt definierter Standardebenen (Abb. 1) in systematischer Reihenfolge und die genaue Durchführung spezifischer manueller Tests in der jeweiligen Standardebene als Voraussetzung für reproduzierbare Ergebnisse und Messungen [3, 4, 12, 13, 14]. Die grundlegenden Standardschnitte, der Untersuchungsgang und die wichtigsten manuellen Tests werden im Folgenden dargestellt, spezielle Fragestellungen werden von weiteren Autoren abgehandelt.
Material und Method
en
Benötigt wird ein modernes Ultraschallgerät mit hoch auflösender Linearsonde von ? 7,5 MHz und möglichst großer aktiver Breite zur Verbesserung des Überblicks für bestimmte Fragestellungen. Details der jeweils aktuellen technischen und formalen Vorgaben sind den Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) und der Ultraschall-Vereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu entnehmen.
Abbildung 2 zeigt die typische Untersuchungssituation: Hinter dem aufrecht auf einem höhenverstellbaren Rollhocker vor dem Ultraschallgerät sitzenden Patienten sitzt der Untersucher, beide betrachten ein seitenrichtiges Monitorbild. Ein Fußtaster zum Einfrieren des Bilds ist obligat, da die Untersuchung bimanuell erfolgt.
Wir beginnen mit der Ebene 1, transversal von ventral vom Coracoid zum Sulcus intertubercularis (Abb. 3). Die Sonde wird sagittal auf den Humerus aufgesetzt und zum Coracoid hin ausgerichtet. Durch Rotation des Arms wird der Sulcus intertubercularis exakt nach ventral gedreht, das Coracoid beibehalten und auf glatte Konturen geachtet. Die gesunde lange Bizepssehne ist im Querschnitt schräg getroffen zunächst hypoechogen, exakt sagittal getroffen dagegen hyperechogen. Der Ansatz der Subscapularissehne am Tuberculum minus, das Retinakulum der Bizepssehne (Pulley) und Unregelmäßigkeiten der Knochenkontur bei degenerativen Anpassungen, Verletzungen und entzündlich rheumatischen Erkrankungen sowie Verkalkungen sind hier in Funktion bei Rotation nachzuweisen und zu lokalisieren (Abb. 4).
Für die Ebene 4, lange Bizepssehne longitudinal, sagittal von ventral im Sulcus intertubercularis, wird die Sonde um 90° gedreht und zwischen Coracoid und Tuberculum majus über der Sehne aufgesetzt und diese nach geringer Korrektur durch Anpassung der Längskippung faserparallel echogen dargestellt, bei schrägem Schalleinfall erscheint sie echoarm (Abb. 5).
Es folgt Ebene 3, streng frontal (= coronar) longitudinal von cranio-lateral vom Akromion zum Tub. majus humeri (Abb. 6), das durch Rotation des Arms exakt nach lateral in diese Ebene gedreht wird. Wird das Tub. majus nicht exakt eingestellt, können Stufen der kranialen Knochenkontur des Humerus fehlinterpretiert werden und die Zuordnung der unterschiedlichen Anteile der Rotatorenmanschette ist erschwert. In dieser Ebene kann anschließend am entspannten Patienten durch Zug am Arm die axillare Stabilität im Glenohumeralgelenk getestet und als Änderung des Abstands vom Akromion zur Humeruskopfkontur gemessen werden. Es folgt die Prüfung des funktionellen humeroakromialen Impingements im aktiven Abduktionstest. Im Idealfall ist zu Beginn der aktiven Abduktion ein Tiefertreten (Caudalisation) des Tub. majus gegenüber dem Akromion zu beobachten, d.h. kein Impingement (Abb. 6B). In den meisten Fällen fehlt diese initiale Caudalisation, der Humerus mit Tub. majus wird primär spontan gegen das Akromion nach kranial geführt und gedreht: funktionelles Impingement 2° (Abb. 6C). In ausgeprägten Fällen ist das Einklemmen der Supraspinatussehne und der Bursa subacromialis deutlich zu erkennen; Flüssigkeit in der Bursa wird dann nach lateral distal ausgepresst. Wenn das Impingement nur bei Abduktion gegen kräftigen Widerstand auftritt, bezeichnen wir dies als funktionelles humeroakromiales Impingement 1° [11, 12]. Strukturelle degenerative Veränderungen der Supraspinatus-Insertion sind hier nachweisbar, z.B. als Heteroechogenität der Sehnentextur, Verlust der Anisotropie bei nicht mehr gesunder Sehne, Querschnittszunahme bei Tenodynie, Kalzifizierung und Kontinuitätsverlust partiell, transmural oder total mit Verlust der Konvexität („Rabenschnabel“) der kranialen Sehnenkontur (Abb. 7, Tab. 1).