Informationen aus der Gesellschaft - OUP 02/2017
Reisebericht Deutsch- Lateinamerikanisches FellowshipSantiago de Chile (Chile), Buenos Aires (Argentinien), Rio de Janeiro (Brasilien), Punta Cana (Dominikanische Republik)
Im Rahmen des Deutsch-Lateinamerikanischen Fellowships der DGOOC (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie) in Kooperation mit der SLAOT (Sociedades y Asociaciones Latinoamericanas de Ortopedia y Traumatologia) hatten wir, Felix Greimel (Bad Abbach), Andreas Toepfer (München) und Matthias Wimmer (Bonn), im Herbst 2016 gut
3 Wochen lang die Möglichkeit, ausgesuchte Zentren sowie den SLAOT-Kongress in Südamerika zu besuchen.
Nach hervorragender Unterstützung und Vorbereitung der Reise durch Professor Werner Siebert, Kassel, sowie seiner Mitarbeiterin Sabrina Imeraj starteten wir via Madrid bzw. Sao Paulo in langen 16 Stunden nach Santiago de Chile. Da wir uns zu Beginn der Reise nicht kannten, nutzen wir den Tag der Ankunft, um uns bei einer Wanderung auf den „Cerro San Cristobal“, einem Aussichtshügel mit Blick über die Stadt und auf die majestätischen Anden, näher kennenzulernen.
Aufgrund einer eher spontanen Organisationsweise der chilenischen Kollegen erfuhren wir erst nach der Ankunft in Santiago, dass wir von den Chefärzten und leitenden Ärzten von drei großen und sehr renommierten Privatkliniken empfangen und betreut werden sollten: Dr. Christian Oritz (Clinica Alemana), Dr. Roberto Raiman (Clinica Las Condes) sowie Dr. Fernando Gonzalez (Clinica MEDs). Sowohl bauliche Ausstattung, technische Ausrüstung mit absolutem Spitzen-Standard und neuesten Geräten als auch das hohe operative Niveau beeindruckten uns sehr. Allen zuvor genannten Kliniken ist gemein, dass die leitenden Ärzte anteilig (z.T. auch komplett) Gesellschafter der Klinik sind und somit sowohl an wichtigen Entscheidungen als auch am Gewinn partizipieren – und dies bei einer Größenordnung von jeweils deutlich über 100 Ärzten in der jeweiligen Orthopädischen Abteilung.
Relativierend ist anzumerken, dass dieses exzellente Versorgungsniveau aufgrund von Einkommensverhältnissen und Versicherungsstatus nur für ca. 10 Prozent der chilenischen Bevölkerung verfügbar ist. In allen Kliniken genießen die Ärzte in Weiterbildung eine sehr gute Ausbildung mit Rotation zwischen den einzelnen Teams – in Chile ist der Facharztstatus bereits nach 3 Jahren erreicht, anschließend erfolgt i.d.R. ein weiteres Jahr der Subspezialisierung.
Neben vielen Eindrücken aus den verschiedenen Kliniken ließ der straffe Zeitplan am letzten Tag eine Bergtour auf den 2750 m hohen „Cerro Provincia“ zu, sodass wir zum Abschied neben dem verschneiten Andenpanorama sogar einen seltenen Condor bestaunen konnten.
Die zweite Station unserer Reise war Buenos Aires. Dank perfekter Vorbereitung seitens der argentinischen Kollegen wurden wir bereits am Flughafen herzlich in Empfang genommen und konnten in den folgenden Tagen sowohl die Arbeit im Hospital Universitario Austral (Privatklinik) unter Dr. Carlos Autoino als auch im Hospital Fernandez, einem der größten öffentlichen Krankenhäuser der Stadt, unter Dr. Horacio Caviglia kennenlernen. Obwohl das Hospital Fernandez als Aushängeschild der Stadt gilt, erwartete uns hier die Realität des öffentlichen Gesundheitssektors mit entsprechender Ausstattung, Bausubstanz und Räumlichkeiten. Orthopädische Implantate oder Osteosynthesematerial sind i.d.R. erst nach Genehmigung durch die zuständige Behörde bestell- bzw. verfügbar, sodass z.B. Patienten mit Schenkelhalsfraktur oder pertrochantärer Fraktur mehrere Tage unter Extension auf eine operative Versorgung warten, da ad hoc keine Implantate verfügbar sind. Die Arbeitszeitbelastung für die Assistenten ist sehr hoch (ca. 05.00 Uhr bis 22.00 Uhr) und die Motivation zum „Lernen“, aber auch zur „Lehre“ beim Team, außergewöhnlich. Es wird versucht, fehlende Infrastruktur durch Arbeitsleistung und Einsatz der Assistenz zu kompensieren. Aufgrund fehlender Ausstattung, welche wir zur Erleichterung unseres Arbeitsalltags gewohnt sind, kann effektiv oft nicht viel Arbeit erledigt werden; oft ist der Personalaufwand ungewohnt hoch, z.B. bis zu 18 Personen (ärztlich und nicht-ärztlich) im OP-Saal.
Mit 13 Millionen Einwohnern in der Metropolregion ist Buenos Aires die größte Stadt Argentiniens und hat kulturell viel zu bieten. Insbesondere nachts ist, wie auch in anderen südamerikanischen Städten, besonders in den ärmeren Vierteln Vorsicht geboten.
Der nächste Stopp unserer Reise, Rio de Janeiro, war für uns alle ein „erstes Mal“ und entsprechend schon bei der Anreise zum Hotel aufgrund des phantastischen Ausblicks auf die malerischen Strände der Copacabana, Ipanema und Leblons mit dahinter aufragenden Berühmtheiten wie dem Pao de Acucar (Zuckerhut) oder dem Corcovado mit der Cristo-Statue ein ganz besonderes Erlebnis.
Klinisch wurden wir im nationalen orthopädischen Referenzzentrum, dem Instituto Nacional de Traumatologia e Ortopedia („INTO“), durch Dr. Joao Mauricio Baretto und Dr. Naasson Cavanellas in Empfang genommen. Trotz öffentlichem Status stehen dort alle modernen Therapieformen durch 300 Orthopäden mit 18 OP-Sälen zur Verfügung. Die Patienten aus ganz Brasilien warten lange auf ihre Versorgung – ca. 4–5 Jahre auf eine Knie- oder Hüftprothese bzw. 7–8 Jahre auf einen Wirbelsäuleneingriff. Entsprechend fortgeschritten und eindrücklich zeigen sich Krankheitsbilder bzw. Degenerationszustand in der Bildgebung. Exemplarisch warten aktuell ca. 300 Patienten mit gesicherten periprothetischen Infekten nach Knie-TEP auf eine operative Versorgung – in Deutschland unvorstellbar. Am letzten Tag hatten wir die Möglichkeit, das größte Traumazentrum Rios, das Hospital Municipal Miguel Cuoto, unter Leitung von Dr. Vincenzo, kennenzulernen. Die massive Gewaltkriminalität in Rio und Brasilien dominiert dort die Arbeit der Kollegen – allein in Rio werden pro Tag ca. 14 Morde verübt, die Kollegen behandeln monatlich ca. 500 Schussverletzte sowie mindestens doppelt so viele Stichverletzte. In der Nacht vor unserer Hospitation fand in einer Favela unweit unseres Hotels – eigentlich in sicherer Lage direkt an der Copacabana – eine Schießerei zwischen Gangs und der Polizei statt, deren Schüsse bis ins Hotel hörbar waren und deren 4 Schussverletzte, von denen 3 verstarben, wir anschließend in der Klinik zu Gesicht bekamen. In der Klink sind diverse private Sicherheitsdienste und Militärpolizei bzw. Spezialeinheiten der Polizei mit entsprechender Gefechtsausrüstung omnipräsent, wie wir sie nur aus dem Fernsehen kennen. Die extrem motivierten ärztlichen Kollegen haben eine sehr hohe Arbeitszeitbelastung und arbeiten mit einer spärlichen Ausstattung. Beispielsweise stehen kaum Röntgenschürzen und aus Kostengründen grundsätzlich keine winkelstabilen Plattensysteme oder intramedulläre Nägel zur Verfügung. Entsprechend hängt der Operationserfolg, welcher in Relation zu den Möglichkeiten jedoch sehr gut ist, im Wesentlichen vom Improvisationstalent des Operateurs ab.
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