Informationen aus der Gesellschaft - OUP 07-08/2016
Spannende Medizin, kontroverse Politik64. Jahrestagung der VSOU e.V. in Baden-Baden
Evidenzbasierte Medizin und politische Aspekte des ärztlichen Handelns prägten die 64. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen, die vom 28. bis 30. April in Baden-Baden stattfand. Die beiden Kongresspräsidenten Prof. Joachim Grifka (Regensburg/Bad Abbach) und Univ.-Prof. Ulrich Stöckle (Tübingen) hatten die Vielseitigkeit des gemeinsamen Faches überzeugend in ein kompaktes Programm gegossen. Die 2790 nach Baden-Baden gereisten Teilnehmer goutierten die Programmvielfalt, die sich in mehr als 400 Vorträgen und Veranstaltungen zeigte.
Nicht die reine Lehre, sondern die praktische Umsetzung einer guten und sicheren Behandlung prägte das Baden-Badener Kongressprogramm für orthopädische und unfallchirurgische Erkrankungen oder Verletzungen. Das bedeutet, dass neben der Leitlinien-gerechten Therapie immer auch auf die jeweils vorliegende Befundkonstellation verwiesen wurde, die im Einzelfall dazu führen kann, von vorhandenen Leitlinien begründet abzuweichen.
Schwere Monoverletzungen sowohl unter dem Aspekt der Primärbehandlung mit entsprechender Wiederherstellung der Anatomie wie auch unter dem Blickwinkel der Rehabilitation bildeten neben den Verletzungen im Alter einen von zahlreichen medizinischen Schwerpunkten der Tagung. Ein Kongress-Novum stellte dazu die Aufklärung über medico-legale Aspekte bei einzelnen ausgewählten Therapieoptionen dar. Dazu äußerten sich themenspezifisch Juristen ebenso wie medizinische Gutachter.
Mit 360 Teilnehmern eine der bestbesuchten Veranstaltungen war die Session zu Muskelverletzungen, die von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und seinen beiden Praxiskollegen Dr. Peter Ueblacker und Dr. Lutz Hänsel gestaltet wurde. Die Sportorthopäden stellten die Ergebnisse einer von Müller-Wohlfahrt initiierten Münchener Konsensuskonferenz vor, in der Muskelverletzungen in „funktionell“ und „strukturell“ mit entsprechend angepassten Therapieoptionen unterteilt werden. Ebenso stark frequentiert war das Podium mit Teamärzten aus dem Spitzensport. Die Sportärzte berichteten von erfolgreich funktionierenden interdisziplinären Abstimmungen mit Allgemeinärzten, Psychologen und natürlich den Physiotherapeuten. Wichtigste Aussage des Podiums zum Thema Verantwortlichkeit: Wer für die medizinische Abteilung das Sagen hat, müsse unbedingt unabhängig von Trainer und Sportdirektor sein!
Die 64. VSOU-Jahrestagung war sicherlich auch eine der politischsten Tagungen der VSOU bislang. Insbesondere die jüngst aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichene Arthroskopie bei Gonarthrose, von Grifka als „einsame Entscheidung“ bezeichnet, sorgt im Fach für Aufregung – und bei den Patienten für einen flächendeckend frühzeitigen Einbau von Knie-TEP. Besonders kritisiert wurde, dass der Gemeinsame Bundesausschuss nicht dem Protestschreiben des Fachs, dafür aber einer zweifelhaften Studieninterpretation gefolgt sei.
Eine Podiumsdiskussion zur inzwischen gescheiterten GOÄ-Reform attestierte nicht nur den Orthopäden und Unfallchirurgen, sondern allen Ärzten, dass sie sich im Kampf um eine bessere GOÄ „unter Wert“ verkauften. Man müsse selbstbewusster den Wert der eigenen Arbeit definieren, lautete ein Tenor der Runde. Und: Honorare in angemessener Höhe seien, so das einhellig Fazit der lebhaften Diskussion, auf Dauer ohne Zusatzversicherungen für die Patienten kaum zu realisieren.
Sicherlich ein Höhepunkt der Tagung war der Festvortrag von Prof. Herbert Prantl im Rahmen der Eröffnungsfeier mit dem Thema „Medizin zwischen Ökonomie und Ethik“. In einem leidenschaftlichen Plädoyer gegen die „Verbetriebswirtschaftisierung“ der Medizin wandte sich Prantl dagegen, den „Wert des Menschen am Lineal der Ökonomie“ zu messen. Ein starker Staat sei ein solcher, der sich um das Wohl der Benachteiligten kümmere und nicht – wie beim Beispiel börsennotierter Klinikketten – um das von Shareholdern. Prantl verwies zum Abschluss auf eine Inschrift im Foyer der Wiener Frauenklinik, die Kaiser Joseph II. bei der Gründung der Klinik anbringen ließ: „In diesem Haus sollen die Patienten geheilt und getröstet werden.“ Prantls Schluss-Kommentar: „Das ist medizinische Ethik.“
Am Kongresssamstag fand die Premiere des neuen Formats „Weiterbildungs-Contest“ statt. In Kurzvorträgen präsentierten die Nachwuchsmediziner zunächst ihre Themen und traten anschließend in Halbfinals und dem Finale – beim Einzug begleitet von Musik – in „K.o.-Runden“ gegeneinander an. Am Ende erhielten Magdalena Wozniak vom Klinikum Osnabrück und Hanno Schenker von der Universitätsklinik Aachen die meisten TED-Stimmen aus dem Auditorium und durften sich über den Preis freuen, eine Einladung zum kanadischen Orthopädenkongress vom 16. bis 19. Juni in Quebec. Zur Überraschung aller wurden sie unmittelbar nach ihrem Sieg via Skype vom Vorstand der Canadian Orthopaedic Association (COA) beglückwünscht und eingeladen.
Mit dem Carl-Rabl-Preis 2016 wurden Prof. Dr. Michael Strobel und PD Dr. Thore Zantop für ihr Buch „Arthroskopische Chirurgie – Kniegelenk“ ausgezeichnet. Der diesmal geteilte Jahresbestpreis der Zeitschrift Orthopädische und Unfallchirurgische Praxis ging an PD Dr. Stefan Huber-Wagner für den Beitrag „Moderne CT-Bildgebung im Rahmen der Schockraumversorgung Schwerverletzter“ aus Heft 1/2015 und an Univ.-Prof. Dr. Reinhard Graf für den Artikel „Aktueller Stand der sonografischen Diagnostik kindlicher Hüftreifungsstörungen“ aus Heft 2/2015.
Die VSOU-Vortragspreise gingen an Dr. Christian Fischer (Heidelberg) für den Vortrag „Kontrastverstärkter Ultraschall (CEUS) und Elastografie zur Bestimmung der Deltoideus-Integrität nach inverser Schulterprothese“; an PD Dr. Karl-Heinz Wildmer (Schaffhausen) für den Vortrag „Warum Hüftprothesenschäfte mit normalen CCD-Winkeln gegenüber valgischen bevorzugt werden sollten“; an Dr. Klaus Edgar Roth (Mainz) für „Ein individualisiertes Implantat in der Therapie des zirkumskripten Knorpeldefektes am Schafsmodell“; an PD Dr. Michael Müller (Berlin) für „Aktuelle Klassifikation und Therapiestrategien azetabulärer Defekte in der Hüftrevisionsendoprothetik“ und an Dr. Oliver Ludwig (Saarbrücken) für den Vortrag „Beeinflussung der Steigbügel-muskulatur über sensomotorische Einlagenelemente“.
Last but not least zeigten sich die in Baden-Baden präsenten 139 Aussteller auf der Industrieschau durchweg zufrieden mit der Resonanz. Vor allem der gute Mix aus chirurgischen und konservativen Themen, der damit für alle Orthopäden und Unfallchirurgen interessante Themen anbietet, sei ein wichtiger Konzeptteil, der auch von den Firmen begrüßt wird.
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