Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024
Symphysitis und Symphysenlockerung
Philipp Koehl, Markus-Johannes Rueth, Maria Dietrich, Mathias Wittmann, Alexander Schuh
Zusammenfassung:
Die Symphyse (Symphysis pubica) ist die Verbindung der beiden Schambeine und stellt anatomisch eine Synchondrose dar. Im normalen Zustand besteht beim Erwachsenen eine geringe Beweglichkeit der Symphyse mit einer Rotation von 3° und einer physiologischen Weite von 2–6 mm. Die Osteitis pubis (Symphysitis) kommt insbesondere bei Athleten mit Schuss-, schnellen Akzelerations- und Dezelerationsbewegungen sowie Richtungswechseln der Bewegung vor. Die Inzidenz der schwangerschaftsassoziierten Symphyseninstabilität beträgt bis zu 1:300. Beide Krankheitsbilder sollten zunächst intensiv konservativ auch mittels Ruhigstellung mit einem Becken- bzw. Symphysenkompressionsgurt behandelt werden. Die operative Behandlung der sportassoziierten Symphysitis ist die (mini-)offene oder endoskopische Kürettage/Teilresektion der Symphyse, die Symphyseodese mit Knochentransplantat oder Wedge-Resektion. Die operative Behandlung der schwangerschaftsassoziierten Symphyseninstabilität ist nach einer erfolglosen konservativen Therapie nach
6 Monaten, einer Symphysenweite > 2,5 cm, bzw. einer erneut aufgetretenen Instabilität
nach Abnahme des Beckengurts indiziert.
Schlüsselwörter:
Symphyse, Symphysitis, Instabilität, konservative Therapie, operative Therapie
Zitierweise:
Koehl P, Rueth M-J, Dietrich M, Wittmann M, Schuh A: Symphysitis und Symphysenlockerung
OUP 2024; 13: 4–9
DOI 10.53180/oup.2024.004-009
Summary: Symphysis (symphysis pubica) is the connection of the two pubic bones and anatomically represents a synchondrosis. In the normal state, there is little mobility of the symphysis in adults with a rotation of 3° and a physiological width of 2–6 mm. Osteitis pubis (symphysitis) occurs especially in athletes with shooting, rapid acceleration and deceleration movements as well as changes in the direction of movement. The incidence of pregnancy-associated symphyseal instability is up to 1:300. Both conditions should initially be treated intensively conservatively, including immobilization with a pelvic or symphysis compression belt. Surgical treatment of sports-associated symphysitis is (mini-) open or endoscopic curettage/partial resection of the symphysis, symphyseodesis with bone graft or wedge resection. Surgical treatment of pregnancy-associated symphyseal instability is indicated after unsuccessful conservative therapy of 6 months or if the symphysis pubis width is > 2.5 cm or if instability recurs after removal of the pelvic belt.
Keywords: Symphysis, symphysitis, instability, conservative therapy, operative therapy
Citation: Koehl P, Rueth M-J, Dietrich M, Wittmann M, Schuh A: Symphysitis and instability of the pubic
symphysis
OUP 2024; 13: 4–9. DOI 10.53180/oup.2024.004-009
P. Koehl: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz
M.-J. Rueth: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Sektion Sportorthopädie, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz
M. Dietrich: Frauenklinik, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz
M. Wittmann: Radiologisch-nuklearmedizinische Praxis, Weiden
A. Schuh: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sektion Muskuloskelettale Forschung, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz
Einleitung
Die Symphyse (Symphysis pubica) ist die Verbindung der beiden Schambeine und stellt anatomisch eine Synchondrose dar. Ihre Form unterliegt großen interindividuellen Variationen, welche häufiger bei Frauen als bei Männern beobachtet werden [7, 14, 18, 19]. Die Ossa pubica sind durch den 2–3 mm dicken, faserknorpelhaltigen Discus interpubicus fest verbunden. Eine dünne, unmittelbar dem Knochen angelagerte Zone besteht aus hyalinem Knorpel. Im Discus interpubicus befindet sich bei den meisten Menschen ein variabel ausgebildeter, mit Synovia gefüllter, schmaler Spaltraum. Zur weiteren Stabilisierung besteht ein kräftiger, 3-teiliger Bandapparat zwischen den beiden Schambeinen. Neben diesem passiven Halteapparat (Bänder, Gelenkkapsel, knöcherne Strukturen) wird die aktive Stabilisation durch die umgebende Muskulatur gewährleistet. Das Schambein dient auf beiden Seiten als Ansatz für die kranial gelegene Rumpfmuskulatur (M. pyramidalis, M. rectus abdominis). Zusätzlich bietet die Schambeinregion den Ursprung für die kaudal gelegene Adduktorenmuskulatur. Die Kombination der beiden Muskelgruppen führt zu einer aktiven Stabilisation der Symphyse [2, 10, 18, 22].
Im normalen Zustand besteht beim Erwachsenen eine geringe Beweglichkeit der Symphyse mit einer Rotation von 3° und einer physiologischen Weite von 2–6 mm. Auf die Symphyse wirken abhängig von der Positionierung des Körpers (z.B. Liegen, Stehen oder Gehen) Druck-, Scher-, Zug- und Schubkräfte ein [10]. Beim Stehen wirkt eine umgekehrt axiale Kraft auf das Becken. Die oberen Anteile der Symphyse bewegen sich aufgrund der Druckwirkung aufeinander zu, während die unteren Anteile eine auseinanderweichende Tendenz zeigen. Aus diesem Grund ist das Lig. pubicum inferius, welches wegen des bogenförmigen Verlaufs auch als Lig. arcuatum pubis bezeichnet wird, sehr kräftig ausgebildet. Beim Gehen wirken Scherkräfte auf das Becken ein. Die Symphyse ist beim „Wechselgang“ einer ständigen horizontalen Krafteinwirkung ausgesetzt. Das führende Bein drückt das ipsilaterale Os coxae nach kranial, während das kontralaterale Os coxae des Standbeins fixiert ist. Beim Sitzen wirken axiale Kräfte auf das Sitzbein. Hierbei wird durch die Kraftleitung Druck auf die Symphyse ausgeübt [2, 10, 17, 18].
Symphysenerkrankungen
Symphysitis
Die Osteitis pubis (Symphysitis) kommt insbesondere bei Athleten mit Schuss-, schnellen Akzelerations- und Dezelerationsbewegungen sowie Richtungswechseln der Bewegung vor; hiervon sind vor allem Fußballspieler betroffen [7, 10, 22]. Die typische Patientin/der typische Patient ist zwischen 18 und 35 Jahre alt, sowie sportlich (sehr) aktiv [10]. In der Literatur wird die Inzidenz bei Sporttreibenden zwischen 0,5 und 7 % angegeben, bei Fußballerinnen/Fußballern eine Inzidenz von 18 % postuliert [12]. Profifußballerinnen und -fußballer zeigen zumeist auch ohne Schmerzen Veränderungen der Symphyse. Oft können Tendinosen der Adduktorensehnen nachgewiesen werden, hierauf ist in der Bildgebung besonders zu achten. An der Symphyse wirken die Kräfte der Adduktorenmuskulatur und des M. rectus abdominis in entgegengesetzter Richtung. Bei Ausübung der oben aufgeführten Sportarten kommt es zu Scherbewegungen in der Symphyse durch einen ständigen Wechsel zwischen dem Stand- und dem Spielbein. Insbesondere die abrupten Stopp- und Schussbewegungen führen zu einem erhöhten Symphysenstress. Hierdurch ist die Symphyse bei sehr aktiven Sportlerinnen und Sportlern signifikanten Belastungen ausgesetzt, die im Langzeitverlauf verfrühte degenerative Veränderungen zur Folge haben können. Diese wiederum verursachen eine Entzündung des Symphysengelenks (Osteitis pubis) und eine hiermit assoziierte Instabilität [10, 22].