Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023

Akute Syndesmosenverletzung
Aktuelle Therapieempfehlungen

Lars Bühring, Franziska Mitrovics, Atesch Ateschrang

Zusammenfassung:
Der bisherige Standard zur Behandlung der akute Syndesmosen Läsion ist die Stellschrauben Osteosynthese. Während der vergangenen Jahre wurden zunehmende Erfahrungen mit Suture-Button Systemen gemacht und die Stabilisierung der vorderen instabilen Syndesmosenverletzung mit z.B. dem TightRope System mehr in den Vordergrund gerückt. Die knöcherne ventrale und dorsale Syndesmosenverletzung im Sinne von Avulsionsfrakturen sind insbesondere bei Frakturen des dorsolateralen Malleolus mit der Klassifikation nach Haraguchi und Bartoní?ek erfasst worden. Resultierend aus der Klassifizierung können intraoperative Therapiestrategien festgelegt werden. Die Stellschraubenentfernung nach acht Wochen postoperativ sollte nach neuester Studienlage nicht mehr regelhaft durchgeführt werden.

Schlüsselwörter:
Syndesmosenverletzung, TightRope®, Stellschraube, Stellschraubenentfernung, Sprunggelenk

Zitierweise:
Bühring L, Mitrovics F, Ateschrang A: Akute Syndesmosenverletzung.
Aktuelle Therapieempfehlungen
OUP 2023; 12: 68–71
DOI 10.53180/oup.2023.0068-0071

Therapy strategies of anterior and posterior syndesmosis injuries with syndesmotic screw vs. TightRope® system of distal tibiofibular joint. Is the removal of a syndesmotic screws still necessary?

Summary: In recent history stabilisation of anterior syndesmosis injuries with a TightRope® system shifted more in focus towards “classic” syndesmotic screw osteosynthesis. In several studies is an advantage documented in functional outcome and correct reposition of distal tibiofibular joint towards syndesmotic screw implantation. Avulsions-fractures of anterior and posterior syndesmosis injuries are described by a new classification Haraguchi and Bartoní?ek. Therapy strategies result out of this classification. Referring to present studies syndesmotic screws should not be regularly removed any longer.

Keywords: Syndesmotic injuries, syndesmotic screw, tight rope, removal of a syndesmotic screw, ankle

Citation: Bühring L, Mitrovics F, Ateschrang A: Acute syndesmosis injury. Summary of therapy guidelines
OUP 2023; 12: 68–71. DOI 10.53180/oup.2023.0068-0071

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akad. Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JG-U Mainz, Ev. Stift St. Martin, Koblenz

Einleitung

Syndesmosenverletzungen kommen in ca. 10–20 % aller Sprunggelenksfrakturen vor und sind damit eine häufig auftretende Begleitverletzung [6]. Letztere können systematisch in weichteilige ligamentäre Verletzungen und knöcherne Avulsionsfrakturen differenziert werden. Hinsichtlich der knöchernen Avulsionsverletzungen können diese in ventrale und dorsale Lokalisationen differenziert werden. Ventral werden fibulare Avulsionen als Wagstaffe-Le Fort-Fragment und tibiale als Tubercule de Tillaux-Chaput bezeichnet. Die dorsalen Avulsionsfrakturen werden als Volkmann-Fragment bezeichnet. Die bisherige Standard-Methode zur Stabilisierung der akuten Syndesmosen-Läsion stellt die Stellschrauben-Osteosynthese (SSO) dar. Während der vergangenen Jahre wurden vermehrte Erfahrungen mit Suture-Button-Systemen (SB) gesammelt, wobei in diesem Zusammenhang die TightRope®-Technik durch ein besonderes sich zuziehendes Fadensystem etabliert. Ziel dieses Artikels ist die Zusammenfassung der aktuellen Erfahrungen zur Stabilisierung der Syndesmose mit der SSO- und alternativen SB-Techniken.

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Anamnestisch kommen Syndesmoseverletzungen hauptsächlich im Zuge von Distorsionen des Sprunggelenkes (OSG) vor. Klinisch und inspektorisch können sich leichte bis ausgeprägte Schwellungen darstellen. Hämatome entwickeln sich in der Mehrzahl erst nach mehreren Stunden oder Tagen. Die schmerzhafte Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks ist das Leitsymptom mit belastungsabhängigen Schmerzen. Der „Frick“- und „Squeeze“-Test sind häufig positiv. Die Ottawa-Ankle-Rules können als Leitfaden genutzt werden, um ggf. eine Röntgenaufnahme zu vermeiden. Allerdings empfiehlt es sich, die Indikation zur konventionellen radiologischen Bildgebung nicht zuletzt aus medico-legalen Gründen großzügig zu stellen.

Bildgebung

Die standardisierte Bildgebung der ersten Wahl ist die Röntgenaufnahme des oberen Sprunggelenks in 2 Ebenen (Mortise View mit 20°-Innenrotation und streng seitlicher Projektion). Bei V.a.-Fraktur oder Erweiterung des „tibiofibular clear space“ (über 6 mm), „medial clear space“ (über 4 mm) bzw. Inkongruenzen oder Asymmetrien der Sprunggelenksgabel in der „Shenton-Linie“ sollte großzügig eine CT-Bildgebung angeschlossen werden. Ergänzend ist bei isolierter Innenknöchelfraktur bei indirekter Kraft-Einleitung auf das OSG eine erweiterte Bildgebung zum Ausschluss einer Maisoneuve-Verletzung obligat [7]. Röntgenaufnahmen des gesamten Unterschenkels können hohe Fibulafrakturen detektieren, schließen aber eine Syndesmosenverletzung nicht aus, da diese auch rein ligamentär ohne begleitende Fibulafraktur bestehen kann. Um rein ligamentäre Läsionen zu identifizieren, sollte eine Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) erfolgen.

Merke: Werden knöcherne OSG-Läsionen identifiziert mit Verdacht auf begleitende Syndesmosen-Läsionen und Luxationsfrakturen, so sollte die Diagnostik großzügig um eine Computer-Tomographie ergänzt werden. Letztere ist für die präoperative Planung mit Wahl der Zugangs- und Repositionsmodalitäten und der damit verbundenen Lagerung strategisch relevant [4, 8, 10].

Klassifikation

Syndesmosenverletzungen werden durch die Danis-Weber-Klassifikation und der darauf aufbauenden AO-Klassifikation reliabel klassifiziert. Die Danis-Weber-Klassifikation bezieht sich auf eine isolierte Fraktur der distalen Fibula in Bezug auf ihre Frakturhöhe und damit koinzident bestehender Syndesmosen-Beteiligung. Weber A-Frakturen liegen infrasyndesmal, Weber B-Frakturen transsyndesmal und Weber C-Frakturen suprasyndesmal. Die AO-Klassifikation basiert auf der Danis-Weber-Klassifikation und berücksichtigt die Frakturhöhe der distalen Fibula und Begleitverletzungen wie bspw. stabilitätsgefährdende Begleitverletzungen wie Frakturen des Innenknöchels und einer Volkmann-Beteiligung im Sinne von knöchernen Syndesmosenavulsionsfrakturen. Ergänzend wurden in der aktuellen Version der AO-Klassifikation die Avulsionsfrakturen miterfasst. Die Lauge-Hansen-Klassifikation ist nicht optimal zur Erfassung aller Sprunggelenksfrakturen und wird daher in Deutschland wenig angewendet [8].

Während der vergangenen Jahre kam zusätzlich die CT-basierte Klassifikation nach Haraguchi und Bartoní?ek zur Beschreibung der Avulsionsfrakturen der hinteren Syndesmose bzw. des Volkmann-Fragmentes zur Anwendung [4, 5]. Hieraus lassen sich durch Grad der Dislokation direkte Therapiestrategien ableiten (Abb. 3) [4, 9].

Konservative Therapie

Isolierte Außenbandrupturen und nicht wesentlich dislozierte distale Fibulafrakturen Typ Weber A können mit einer anliegenden Sprunggelenksorthese ausbehandelt werden. Nach Konsolidierung der Weichteile kann Vollbelastung innerhalb weniger Tage erreicht werden. Stabile, nicht dislozierte Weber B-Frakturen Typ AO B1, sowie stabile vordere Syndesmosenverletzungen können in einem Unterschenkel-Gips mit Teilbelastung für 6 Wochen an Unterarmgehstützen ausbehandelt werden. Die radiologische Verlaufskontrolle empfiehlt sich nach 10–14 Tagen und anschließend nach 6 Wochen, um Sekundärdislokationen auszuschließen und im Weiteren die zunehmende knöcherne Konsolidierung zu objektivieren.

Operative Therapie
der vorderen
Syndesmosenverletzung

Die instabile isolierte vordere Syndesmosenverletzung wird häufig mittels Stellschrauben oder einem sogenannten „Suture-Button“-Prinzip (SB) operativ stabilisiert. Eine Weiterentwicklung dieses Prinzips ist die Stabilisierung mittels TightRope®. Bei knöchernen Begleitpatholgien wie z.B. distaler Fibulafrakturen wird zunächst die anatomische offene Reposition der Fraktur und Stabilisierung mittels Plattenosteosynthese durchgeführt. Bei verbliebener Instabilität der vorderen Syndesmose mit einem tibiofibularen „clear space über 6 mm“ oder Instabilität im Hook-Test wird eine Repositionszange mittig auf den lateralen und medialen Malleolus mit Neutralstellung des oberen Sprunggelenks platziert. Dieses Repositionsmanöver kann bei isolierter vorderer Syndesmosenruptur auch geschlossen erfolgen, wobei allerdings die Gefahr besteht, eine ungenügende Reposition in der Inzisur zu übersehen. Um dies zu vermeiden, sollte entweder die offene Darstellung der Syndesmose erfolgen oder eine additive 3D-Bildgebung. Im eigenen Vorgehen erfolgt die offene Reposition zur sicheren Beurteilung der Syndesmose. Zwei 3,5 mm Kortikalis-Schrauben werden über die distale Fibula von dorso-lateral in einem Anteversionswinkel von ca. 15–20° parallel mit einem Abstand von 2–3 Zentimeter zur distalen tibialen Gelenkfläche unter Durchleuchtung eingebracht. Der Fuß wird in Neutralposition gehalten, um das „Loading“ auf das obere Sprunggelenk möglichst gering zu halten [2]. In der Regel wird eine tricorticale Verankerung angestrebt (Abb. 1).

Bei ca. 30–40 % der Stellschraubenstabilisierungen besteht nach postoperativ durchgeführter 3D-Bildgebung eine ungenügende Reposition und bei bis zu 10–15 % zeigt sich eine verbliebene ligamentäre Insuffizienz der Syndesmose nach Stellschraubenentfernung [11]. Die Stabilisierung des distalen Tibiofibulargelenks mittels TightRope® System, eine Form der flexiblen Stabilisierung, hatte während der letzten Jahre eine zunehmend gleichwertige Akzeptanz erreicht [12]. Das Stabilisierungsprinzip ähnelt dem der Stellschrauben-Osteosynthese (SSO). In gleicher Ausrichtung wie die SSO wird, parallel mit einem Abstand von ca. 2 cm zur distalen tibialen Gelenkfläche, ein Bohrkanal angelegt. Es erfolgt die Reposition des distalen Tibiofibulargelenks mittels Repositionszange. Der Suture-Button wird von lateral der distalen Fibula durch den Bohrkanal über die mediale tibiale Cortex herausgeführt und gedreht („geflippt“). Die Fadenpaare werden über ein Mädchenfänger-Prinzip, welches im TightRope® integriert ist, zusammengezogen, so dass hierdurch die Fibula und Tibia zusammengehalten werden (Abb. 2). Es gibt erste Berichte, dass die Zahl von ungenügenden Repositionen und sekundären Diastasen des distalen Tibiofibulargelenks reduziert werden kann [12].

Operative Therapie der vorderen und hinteren Syndesmosenverletzung bei knöchernen Avulsionsfrakturen

Die knöchernen Syndesmosenverletzungen unterteilen sich in die ventralen knöchernen Avulsionsfrakturen wie z.B. das Tubercule de Tillaux-Chaput-Fragment (tibiale Avulsionsfraktur) und das Wagstaffe-Le Fort-Fragment (ventrale fibulare Avulsionsfraktur) sowie in die dorsalen tibialen Avulsionsfrakturen im Sinne einer Volkmann-Fraktur. Die ergänzende CT-Diagnostik ist von großer Bedeutung, um die operative Strategie und die damit verbundene Lagerung zu planen [4, 8–10]. Bei Volkmann-Frakturen ist häufig die Seitenlagerung indiziert, um die Volkmann-Fraktur über einen dorsolateralen Zugang direkt mit einer Schrauben- oder Plattenosteosynthese offen zu reponieren. Durch Ligamentotaxis reponiert sich die distale Fibula korrekt in die konkave Inzisur des distalen Tibiofibulargelenks. Die vorderen Avulsionsfrakturen wie das tibiale Tubercule de Tillaux-Chaput-Fragment werden im eigenen Vorgehen je nach Größenverhältnissen mit Schrauben oder bei kleinen Fragmenten knotenfreien Ankern sowie einer additiven SSO addressiert.

Intraoperative
3D-Bildgebung

Idealerweise sollte die intraoperative 3D-Bildgebung zur Reposition und Stabilisierung genutzt werden, da jüngste Studien deutliche Vorteile der Repositionsqualität und damit indirekt klinischen Ergebnisse zeigten [1, 17]. Im eigenen Vorgehen steht allerdings diese Möglichkeit nicht zur Verfügung, so dass die direkte offene Einsichtnahme erfolgt. Diese kann zuverlässig die Abweichung der Fibula nach ventral ausschließen, welche das Hauptproblem darstellt. Des Weiteren können wir die Nutzung eines 2,0 mm Kirschner-Drahtes empfehlen, der von streng lateral so eingebracht wird, dass bei Kompression der Syndesmose, der Kirschner-Draht das Abweichen der Fibula nach ventral verhindert. Dieses günstige technische Manöver verhindert zuverlässig eine unzureichende Reposition und das „Herausdrücken“ der Fibula nach ventral aus der Inzisur unter Anwendung der komprimierenden Repositionszange. Der Kirschner-Draht sollte bis zum Eindrehen der Stellschrauben verbleiben.

Nachbehandlung

Sechs Wochen Teilbelastung mit 20 kg an Unterarmgehstützen in einem Orthesenstiefel mit 0°-Stellung.

Entfernung Stellschraube

Im deutschsprachigen Raum wird z.Zt. die Entfernung der SSO nach 8 Wochen postoperativ ambulant empfohlen.

Eine nicht durchgeführte Stellschraubenentfernung konnte in einer aktuellen Metaanalyse mit 522 Patientinnen und Patienten sowie in einer radiologischen retrospektiven Studie keinen relevanten Nachteil in der Funktion und radiologischen Stellung des oberen Sprunggelenks gegenüber der erfolgten Metallentfernung nachweisen [13–15]. Das Komplikationsrisiko und die Kosten vs. dem Nutzen einer Stellschraubenentfernung stehen daher jetzt auf dem weiteren Prüfstand und werden kritisch diskutiert [16]. Die Stellschraubenentfernung sollte nach neuesten Erkenntnissen mit den zu behandelnden Patientinnen und Patienten offen besprochen werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Lars Bühring

Klinik für Orthopädie und

Unfallchirurgie

Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein

Ev. Stift St. Martin

Johannes-Müller-Str. 7

56068 Koblenz

lars.buehring@gk.de

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