Übersichtsarbeiten - OUP 09/2015
Arzneimittelrechtliche Zulassung von Kortikoiden bei wirbelsäulennahen InjektionenDer deutsche Weg im Widerspruch zur internationalen EvidenzThe German way contrary to international evidence
Des Weiteren liegt dem Autor ein Schreiben vor, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit Datum vom 12. Dezember 2014 an alle Kassenärztlichen Vereinigungen geschickt wurde, in dem über die Erweiterung der Indikation von Volon A 40 informiert wurde. Hier findet sich folgende Textpassage:
„Das BfArM weist im Rahmen der Indikationserweiterung von Volon A 40 Kristallsuspension 1 ml und 5 ml auf zwei wichtige Aspekte hin:
Einschränkung auf lateralen (extraduralen) Zugangsweg: Prinzipiell existieren zwei Zugangswege, um den Wirkstoff Triamcinolonacetonid an die Nervenwurzel zu applizieren: der Zugangsweg von lateral mit perineuroforaminaler Applikation an die austretende Wurzel (extradural) und der epidurale Zugangsweg, bei dem sich der Wirkstoff vom Epiduralraum aus entlang der Wurzel nach kaudal verteilt. Die beiden Arzneimittel sind ausschließlich für den lateralen (extraduralen) Zugangsweg zugelassen, die epidurale Anwendung ist hiervon ausgeschlossen.
Anwendung bei einer PRT möglich: Das BfArM bestätigt, dass die Anwendung von Volon A 40 Kristallsuspension 1 ml und 5 ml auch im Rahmen einer periradikulären Therapie (PRT) unter CT-Kontrolle zugelassen ist. Dies gilt bei Beachtung der zugelassenen Indikationen und bei Beachtung der genannten Einschränkung hinsichtlich des Zugangsweges.
Die Indikationserweiterungen beruhen auf Expertengutachten, Literaturdaten und Post-Marketing-Daten (PSUR-Daten). Änderungen für weitere Produkte liegen dem BfArM derzeit nicht vor.“
Diese Information wurde von den KVen zum Teil an ihre Mitglieder weitergegeben, z.B. von der KV Rheinland-Pfalz, und ist im Internet abrufbar [3].
Hierzu bedarf es mehrerer Bemerkungen, da sich die Terminologie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht mit den international beschriebenen Zugangswegen deckt.
Es wird im besagten Schreiben postuliert, dass es einen sogenannten lateralen Zugangsweg gebe, der extradural liege. Beide Termini finden sich nicht in der internationalen Literatur. Bei einem Zugang von seitlich (lateral) in Richtung auf das Neuroforamen wird international von einem transforaminalen Zugang gesprochen (Abb. 1). Dieser ist in der Literatur gut beschrieben und Evidenzen hierzu wurden insbesondere in den letzten 5 Jahren mehrfach beschrieben, zuletzt von Manchikanti 2013 [4]. Dieser Zugang wird regelhaft in der Literatur unter Fluoroskopie durchgeführt [4]. Es wird in den einschlägigen Leitlinien der ISIS und der ASIPP, die im angloamerikanischen Sprachraum in Lehrbüchern zitiert werden [4, 6, 10], gefordert, dass mittels Kontrastmittelgabe eine intravasale Nadellage ausgeschlossen wird und bei dem Verteilungsmuster des Kontrastmittels sieht man regelhaft, dass sich dieses sowohl nach kaudal in Richtung des Nervs als auch nach cranial und damit epidural ausbreitet (Abb. 2) [5]. Eine epidurale Injektion von Volon A 40 wird jedoch explizit vom BfArM von der Zulassung ausgeschlossen. Als Beispiel wird hier der interlaminäre Zugang angesprochen, der epidural sei und hierfür keine Zulassung bestehe. Insofern ist die Definitionsunterscheidung, die im besagten Schreiben vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte getroffen wird, völlig unklar.
Warum wurde ein kristallines Kortikoid zugelassen?
Mit der weiter oben beschriebenen Zunahme der Frequenz von Injektionen epidural an der Wirbelsäule häuften sich auch zum Teil erhebliche neurologische Komplikationen mit Paraplegien, Quadriplegien und auch Hirnstamminfarkten zum Teil mit Todesfolge, die in der Literatur beschrieben wurden [6]. Unter der Annahme, dass ein kristallines Kortison eine bessere Langzeitwirkung hat durch das längere Verweilen der Kristalle am Injektionsort, wurde traditionell sehr häufig Triamcinolon oder ein anderes kristallines Kortison eingesetzt [7]. Dieser Aspekt ist mittlerweile durch mehrere Publikationen aus neuerer Zeit widerlegt worden [8]. Bereits früh wurde das Problem der Partikelgröße von Steroiden gesehen, bei kristallinen Kortikoiden liegt die Größe mit > 10 µm regelhaft über derjenigen von Erythrozyten mit 7,5 µm. Besonders im Experiment bestätigte sich die Problematik der kristallinen Kortikoide. Hier wurden Schweinen beide Steroid-arten verabreicht. Die Verabreichung erfolgte intraarteriell in die Arteria vertebralis. Alle Tiere, denen kristallines Kortikoid injiziert wurde, verstarben, während alle mit nicht kristallinem Kortikoid überlebten [9]. Auch die in der Literatur beschriebenen, schwierigen neurologischen Komplikationen betreffen fast ausschließlich Injektion mit kristallinen Steroiden. Dies wurde auch von der FDA im erwähnten Papier bestätigt.
Es stellt sich die Frage, ob die Gefahr schwerwiegender Komplikationen allen Injektionsorten gleich ist? Grundsätzlich besteht die größte Gefahr auch von der Anatomie her bei zervikaler transforaminaler Injektion. Hier zeigt sich eine sehr große Nähe zu Arteria spinalis und deren Ästen mit erheblicher Verletzungsgefahr und Gefahr von spinalen Infarkten. Als Folge davon hat eine der großen amerikanischen Gesellschaften, nämlich die ASIPP (American Society of Pain Physicians) bereits vor einigen Jahren die transforaminale Injektion zervical nicht mehr empfohlen. Auch in einem Standardwerk für Injektionen in Großbritannien [10] wird diese Injektion nicht mehr empfohlen. Dies unter anderem auch deshalb, weil für den ungefährlicheren interlaminären Zugang gleiche Evidenzen bestehen wie für den transforaminalen [11]. Dennoch erhielt aber Volon A jetzt die Zulassung für genau diese Injektionsarten.
Im thorakalen und lumbalen Bereich findet sich die Arteria radikularis magna, auch genannt Arteria Adamkiewicz, die sich weitgehend auf der linken Seite des Spinalkanals befindet und in Variationen bis Höhe LWK 5 beschrieben wird [12].
Auch diese anatomische Besonderheit und erhöhte Gefahr beim transforaminalen Zugang thorakal und lumbal wurde auf dem beschriebenen FDA Advisory Meeting im November 2014 erörtert, dennoch hat sich das Komitee mit überwältigender Mehrheit von 15 zu 7 Stimmen dafür ausgesprochen, weiterhin sämtliche Injektionsformen unter Berücksichtigung der Indikationen zuzulassen und betonte die Wichtigkeit, eine intravasale Injektion durch die Gabe von Kontrastmittel und Überprüfung der Verteilung zu vermeiden. Auch wurde nochmals bestätigt, dass weiterhin Steroide in den USA nicht zugelassen sind für epidurale Injektionen, was sich ja mit der deutschen Zulassung deckt.