Arzt und Recht - OUP 12/2017

Aufklärung mehr als sechs Monate vor Eingriff unwirksam*
Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 15.11.2016 – 4 U 507/16 –

Kernaussage des Urteils: Ein „Orientierungsgespräch“ mit dem Arzt, das mehr als sechs Monate vor einer Operation stattfindet, stellt wegen des erheblichen zeitlichen Abstands, unabhängig vom Inhalt, keine ausreichende Aufklärung dar.

Zum Sachverhalt:

Die 1970 geborene Klägerin erlitt im Jahre 2001 eine Talusfraktur rechts, die konservativ behandelt wurde und fehlverheilt war. Sie stellte sich am 14.07.2008 im Hause der Beklagten in der Privatsprechstunde des Zeugen Prof. Dr. Z. wegen anhaltender Schmerzen vor. Es wurde eine eingeschränkte Gelenkfunktion im oberen und unteren Sprunggelenk rechts und eine Gehstrecke von 500 m festgestellt. Prof. Dr. Z. diagnostizierte eine schwere subtalare Arthrose und empfahl eine operative Versteifung des rechten unteren Sprunggelenks. Die Klägerin wurde am 09.02.2009 stationär bei der Beklagten aufgenommen. Sie unterzeichnete an diesem Tag eine Einverständniserklärung. Am 10.02.2009 wurde eine reorientierende subtalare Arthrodese mit trikortikalem Beckenkammspan vom ipsilateralen Beckenkamm und Resektion des Prozessus Fibularis tali bei Impingementsymptomatik durchgeführt. Sie erhielt einen Unterschenkelgehgips. Die Klägerin stellte sich am 30.03. sowie zuletzt am 19.05.2009 zur Kontrolle bei Prof. Dr. Z. vor. Es wurden Röntgenbelastungsaufnahmen angefertigt, die eine gute Durchbauung des Rückfußes mit einem Restvarus von 8° zeigten.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Behandlung im Hause der Beklagten sei fehlerhaft erfolgt. Die Implantate seien falsch eingesetzt worden und es hätte kein Gips angebracht werden dürfen. Sie leide nach wie vor unter starken Schmerzen. Sie könne den Fuß nur belasten, wenn sie seitlich rechts auftrete. Wegen der einseitigen Belastung seien bereits Schmerzen in der Hüfte und im linken Fuß aufgetreten. Sie sei im August 2010 bei einem Nachbehandler gewesen, der ihr eine Reoperation empfohlen habe. Es müsse auch das obere Sprunggelenk versteift werden. Die Behandler der Beklagten hätten es verabsäumt, die Versteifung des oberen Sprunggelenks sogleich vorzunehmen. Die Aufklärung sei unzureichend erfolgt. Sie habe aufgrund des langen Zeitraums keine Erinnerung mehr an die mündliche Aufklärung. Schon der Inhalt des Aufklärungsbogens sei aber nicht ausreichend. Sie sei auf keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten, wie z.B. die Umstellungsosteotonomie oder den Knorpelersatz, hingewiesen worden. Sie sei auch nicht auf die Gefahr der Schiefstellung des Fußes hingewiesen worden. Zudem sei die Aufklärung am Vorabend der Operation nicht rechtzeitig gewesen.

Aus den Gründen:

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 8000 Euro sowie ein Anspruch auf Feststellung der Erstattungsfähigkeit sämtlicher weiterer zukünftiger materieller Schäden zu gemäß §§ 280, 278, 253, 823 Abs. 1, 831 BGB.

Kein Behandlungsfehler

1. Ein Behandlungsfehler liegt nicht vor.

  • a) Die am 10.02.2009 im Hause der Beklagten durchgeführte Operation war indiziert.
  • b) Der Klägerin ist der Beweis für einen intraoperativen Behandlungsfehler nicht gelungen. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. H. geht der Senat davon aus, dass der Eingriff in der üblichen Technik korrekt durchgeführt wurde. Die intraoperativen und postoperativen Röntgenaufnahmen zeigen eine einwandfreie Positionierung des Sprungbeins und Fersenbeins zueinander und belegen das Gelingen der Operation.

Keine ordnungsgemäße Risikoaufklärung

Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für Zukunftsschäden wegen einer unzureichenden Risikoaufklärung zu. Die am 10.02.2009 bei der Klägerin durchgeführte Operation verletzte das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin und war mangels ordnungsgemäßer Aufklärung nicht wirksam.

Zu frühes Erstgespräch
nicht ausreichend

a) Der Beklagten ist der Beweis für eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht gelungen.

Das Orientierungsgespräch bei Prof. Dr. Z. am 14.07.2008 stellte schon wegen des großen zeitlichen Abstands von über sechs Monaten bis zur eigentlichen Operation am 10.02.2009 keine ordnungsgemäße Aufklärung dar (vgl. hierzu OLG Bremen, Urteil vom 16.04.2002 – 3 U 57/01; offen gelassen bei einem zeitlichen Abstand von Aufklärung zur Operation von sechs Wochen: BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13 – ArztR 2014, 232). Bei einem zeitlichen Abstand von mehr als sechs Monaten ist nach der Lebenserfahrung nicht mehr davon auszugehen, dass dem Patienten die Vor- und Nachteile sowie die Risiken eines Eingriffs noch gegenwärtig sind. Unabhängig davon hat der Zeuge Prof. Dr. Z. eine ausreichende Aufklärung bei dem Erstgespräch auch nicht bekunden können. Seiner Aussage zufolge ist dort zwar über die Operation und deren Chancen und Risiken gesprochen worden. Der Zeuge konnte jedoch weder konkret angeben, welche Risiken er gegenüber der Klägerin angesprochen hat, noch hat er eine übliche Praxis des Erstgesprächs dargelegt. Soweit der Zeuge auf seine Schreiben an die Fleischerei-Berufsgenossenschaft verwies, kann offenbleiben, ob sie der Klägerin zugegangen sind. Die Schreiben enthalten jedenfalls keine Hinweise auf Operationsrisiken, sondern beschränken sich auf die Darstellung des Befunds, die Diagnose sowie das empfohlene Prozedere.

Beweis für spätere ordnungsgemäße Aufklärung nicht erbracht

Für ein ordnungsgemäßes Aufklärungsgespräch am 9.02.2009 ist die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts ebenfalls beweisfällig geblieben. An den Beweis der geschuldeten Aufklärung dürfen zwar keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13 – ArztR 2014, 232). Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist; dies auch mit Rücksicht darauf, dass aus vielerlei verständlichen Gründen Patienten sich im Nachhinein an den genauen Inhalt solcher Gespräche, die für sie etwa vor allem von therapeutischer Bedeutung waren, nicht mehr erinnern (BGH, a.a.O.). Ein bei den Behandlungsunterlagen befindlicher Aufklärungsbogen ist – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – zugleich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs (BGH, a.a.O.).

Die von der Klägerin unterzeichnete Einverständniserklärung bietet indes keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für ein ausreichendes Aufklärungsgespräch. Unter der Überschrift „Allgemeines Operationsrisiko“ enthält sie lediglich eine stichwortartige Auflistung allgemeiner Operationsrisiken sowie die handschriftliche Eintragung: „Blutungen, Hämatome, Wundheilungsstörungen, Infektionen“ sowie – als mögliche Spätfolgen – „chronische Beschwerden, Folgeoperationen“. Das Feld für die Skizze der geplanten Operation ist frei. Ergänzt wird dies durch allgemeine Hinweise, wonach auf typische Risiken sowie die Notwendigkeit, die Vor- und die Nachteile des geplanten Eingriffs hingewiesen wurde. Ein solcher Aufklärungsbogen enthält keinen Bezug zu der konkret durchzuführenden Operation. Die allgemeinen Erklärungen benennen keine bestimmten Risiken und sind damit nichtssagend, weil sie dem Patienten keine Vorstellung von der vorgesehenen Operation und den konkret damit verbundenen Risiken verschaffen können. Wegen seines allgemein gehaltenen Inhalts ist einem solchen Vordruck keinerlei Indizwirkung für ein umfassendes Aufklärungsgespräch beizumessen, auf deren Grundlage den Angaben des vernommenen Arztes im Allgemeinen Glauben zu schenken wäre. Einen Beweis kann die Behandlungsseite dann nur noch führen, wenn sie Inhalt und Umfang des konkreten Aufklärungsgesprächs und nicht lediglich eine allgemeine Aufklärungspraxis darlegen und beweisen kann. Dieser Beweis ist hier nicht gelungen. Unabhängig von den Erinnerungslücken der Zeugen steht dem entgegen, dass die handschriftlichen Eintragungen in dem Einverständnisformular nicht von der Zeugin Dr. A. – die das Aufklärungsgespräch durchgeführt hat – stammen und weder von dieser noch von dem Zeugen Dr. Z. im Nachhinein zugeordnet werden konnten. Die Zeugin Dr. A. konnte sich zudem weder an die Klägerin und ein mit dieser geführtes Aufklärungsgespräch noch an den in der Patientenakte befindlichen Vordruck erinnern, gab aber im Widerspruch hierzu an, den Bogen in der Regel selbst auszufüllen, wenn sie das Aufklärungsgespräch führe. Die Versuche der Zeugin und der Beklagten, diese Widersprüche zu erklären, gehen über Spekulationen nicht hinaus. Der Aussage des Zeugen Prof. Dr. Z. über das Gespräch mit der Klägerin am Vorabend der Operation kann eine ordnungsgemäße Aufklärung gleichfalls nicht entnommen werden. Er hatte an dieses Gespräch keinerlei Erinnerung und konnte lediglich bekunden, dass er prinzipiell am Abend vor der Operation bei dem Patienten vorbeischaue, sich mit ihm bespreche und frage, ob noch Fragen offen seien.

Entgegen der Annahme des Landgerichts ist bei dieser Sachlage ein hinreichendes Aufklärungsgespräch nicht bewiesen. Der erneuten Einvernahme der Zeugen Dr. A. und Prof. Dr. Z. durch den Senat bedurfte es für diese Feststellung nicht. Der Senat verkennt dabei nicht, dass eine Wiederholung der Beweisaufnahme grundsätzlich geboten ist, wenn das Berufungsgericht Zeugenaussagen anders würdigen will als das erstinstanzliche Gericht (BGH, Urteil vom 21.09.2016 – VIII ZR 188/15 –). Dies hat seinen Grund indes darin, dass die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht ohne einen persönlichen Eindruck überprüft werden können. Darum geht es jedoch im Streitfall nicht, weil hier nicht die Glaubwürdigkeit der Zeugen, sondern der Inhalt ihrer Aussage in Rede steht. Ausschlaggebend ist, dass diese für den von der Beklagten zu führenden Beweis nicht ergiebig ist, was sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung auch ohne erneute Vernehmung erschließt.

b) Die Klägerin hat einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt. Sie hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat betont, dass sie bei Kenntnis des Risikos, dass sich ihr Zustand nicht bessern, sondern noch verschlimmern könne und auch das obere Sprunggelenk versteift werden müsse, der Operation nicht zugestimmt hätte. Wenn ihr mitgeteilt worden wäre, dass lediglich 50 % der Patienten eine nachhaltige Besserung erfahren, hätte sie sich in jedem Fall gegen die Operation entschieden. Der Senat glaubt der Klägerin. Trotz der ersichtlich großen Beschwerden beim Gehen erklärte sie, eine Revisionsoperation auch zum jetzigen Zeitpunkt aus Angst vor einem erneuten Eingriff nicht durchführen zu wollen.

c) Die Klägerin hat durch den vertrags- und rechtswidrigen Behandlungseingriff einen Schaden erlitten. Eine Gesundheitsbeschädigung liegt schon darin, dass die Klägerin überhaupt operiert wurde mit allen damit zusammenhängenden körperlichen Beeinträchtigungen, während sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung sich der Operation gar nicht oder viel später unterzogen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2016 – VI ZR 75/15 – ArztR 2016, 257; Urteil vom 13.01.1987 – VI ZR 82/86). Die Klägerin hat sich einer schmerzhaften Operation unterzogen und befand sich über 10 Tage in stationärer Behandlung. Anschließend musste sie einen Unterschenkelgips tragen. Die Mobilisation dauerte sechs Wochen. Auch unter Berücksichtigung der bestehenden Arthrose und der damit verbundenen schmerzhaften Bewegungseinschränkung stellt die dauerhafte Versteifung des rechten unteren Sprunggelenks einen ersatzfähigen Gesundheitsschaden dar. Diese Umstände rechtfertigen in der Gesamtwürdigung ein Schmerzensgeld in Höhe von 8000 Euro.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt

Dr. Wolfgang Bruns, Karlsruhe

Fussnoten

*Nachdruck aus ArztRecht 10/2017 mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Fiduciastraße 2, 76227 Karlsruhe, www.arztrecht.org

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