Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Behandlungsalgorithmus Ellenbogenluxation

Für die „einfache“ Ellenbogenluxation ohne höhergradige Instabilität ist die frühfunktionelle Therapie aktuell evidenzbasierter Behandlungsstandard [2]. Dementsprechend sollte eine prolongierte Ruhigstellung (> 3 Wochen) des Ellenbogengelenks als konservative Therapiemaßnahme in jedem Fall vermieden werden. Als schmerztherapeutische Maßnahme ist eine kurzzeitige Ruhigstellung (max. 1 Woche) effektiv [26]. Entscheidend für den Erhalt der Gelenkbeweglichkeit ist jedoch ein frühzeitiges aktives bzw. aktiv-assistiertes Übungsprogramm [27–30].

Im eigenen Vorgehen wird nach der Reposition das Gelenk initial für max. 1 Woche in einer dorsalen Gipsschiene und anschließend für weitere 6 Wochen in einer beweglichen Orthese (zur Reduktion von Scherkräften) ruhiggestellt. Bei Ruptur der lateralen Stabilisatoren wird das Gelenk in Pronation, bei Ruptur der medialen Stabilisatoren in Supination eingestellt und beübt [11, 12]. Bei Ruptur beider Kollateralkomplexe wird das Gelenk in Neutralstellung ruhiggestellt und mobilisiert. Ab der 2. Woche post trauma wird mit aktiven Bewegungsübungen begonnen. Durch isometrische Anspannungsübungen wird das Gelenk aktiv zentriert. Die zusätzlich aktive Beübung der Hand- und Fingerbeuger bzw. -strecker verstärkt diesen Effekt [30]. Die Übungsbehandlungen sollten außerdem unter physiotherapeutischer Kontrolle in Rücklage und „Überkopfposition“ durchgeführt werden, um den zusätzlichen komprimierenden Effekt der Schwerkraft auf das Gelenk auszunutzen und so die Gelenkzentrierung zu verbessern [31]. Eine initiale Strecklimitierung in der Orthese sollte spätestens in der 3. Woche freigegeben bzw. minimiert werden. Innerhalb der ersten 3 Wochen erfolgt wöchentlich eine radiologische Kontrolle der Gelenkkongruenz (drop sign!). Nach 6 Wochen werden Alltagsaktivitäten freigegeben und Kraftaufbauübungen dürfen begonnen werden.

Bei bestehender Subluxation, aber auch bei ausbleibender Bewegungsverbesserung sollte frühzeitig ein Verfahrenswechsel erwogen werden, um eine Einsteifung des Gelenks zu verhindern. Unserer Erfahrung nach ist eine primäre Kapsel-Band-Rekonstruktion nach mehr als 2 Wochen nicht mehr in jedem Fall möglich. Wenn innerhalb der ersten 3 Wochen eine zunehmende Bewegungseinschränkung auftritt, ist von einer unzureichenden Stabilität des Ellenbogens auszugehen und eine operative Stabilisierung anzustreben. Auch für persistierende bewegungsabhängige Schmerzen ist in der Regel eine insuffiziente Muskelführung oder eine zunehmende Gelenkfibrosierung ursächlich. In diesen Fällen sollte dann die Rekonstruktion bzw. eine Sehnenersatzplastik durchgeführt werden.

Operative Stabilisierung

Die Operation wird in Rückenlage mit dem zu operierenden Arm (fakultativ Blutsperre) auf einem röntgendurchlässigen Armtisch durchgeführt. Vor Schnitt wird erneut die Stabilität mittels BV geprüft und dokumentiert

Die operative Stabilisierung beginnt auf der Lateralseite des Ellenbogens (s. Algorithmus Abb. 5). Im eigenen Vorgehen wird standardmäßig der Kocher-Zugang verwendet. In vielen Fällen zeigt sich nach dem Hautschnitt bereits ein Ein- oder Abriss des Extensorenansatzes am Epicondylus lateralis sowie des lateralen Kapselbandapparats. Ist dies nicht der Fall, werden die Extensorenansätze subperiostal vom lateralen Epikondylus abpräpariert, um den Kapselbandkomplex darzustellen. Abgeschlagene knorpelige Fragmente am Radiuskopf bzw. am Capitulum („Osborne-Cotterill-Lesion“) werden entfernt. Zur Rekonstruktion des LUCL werden die Bandstümpfe mit Fiberwire-Fäden armiert und mittels Fadenanker an ihrem physiologischen Insertionspunkt am Capitulum reinseriert.

Alternativ kann auch ein Internal bracing mittels Fibertape im Verlauf des LUCLs durchgeführt werden (Abb. 6), sofern eine suffiziente Armierung bzw. Reinsertion nicht mehr möglich ist. Die genaue Kenntnis des Bandverlaufs ist dabei essenziell. Die Refixation der Extensoren-Gruppe am Epikondylus lateralis kann ebenfalls mittels Fadenanker oder transossär durchgeführt werden.

Bei gleichzeitig vorliegender medialer Instabilität werden über einen zweiten, medialen Zugang (bevorzugter Hotchkiss-Zugang („over the top“) mit Darstellung des N. ulnaris) der MCL-Komplex und ggf. die Flexor-Pronator-Ansätze rekonstruiert [32]. Die häufig ausgerissene ventrale Gelenkkapsel am Proc. coronoideus kann ebenfalls über den Hotchkiss-Zugang durch Fadenanker refixiert werden (Abb. 6). Beide Kollateralband-Komplexe und Muskelansätze werden in 90°-Flexion fixiert. Nach der Rekonstruktion beider Kollateralband-Komplexe wird in einer erneuten BV-Stabilitätsprüfung die kongruente Gelenkartikulation kontrolliert. Zeigt sich nach allen genannten Rekonstruktionsmaßnahmen weiterhin eine Inkongruenz oder Reluxationstendenz, ist die Anlage eines Bewegungsfixateurs indiziert, um eine sichere Gelenkführung zu gewährleisten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass nur durch die absolut exakte Einstellung des Isometriezentrums eine zentrierte Gelenkführung durch den Bewegungsfixateur erreicht werden kann. Die Indikation des Bewegungsfixateurs sollte daher kritisch abgewogen und dessen Anwendung mit größter Sorgfalt durchgeführt werden.

Die Nachbehandlung lehnt sich an die konservative Therapie an und beinhaltet ebenfalls ein frühfunktionelles aktives Übungsprogramm in Kombination mit einer Bewegungsorthese (siehe konservative Therapie!). Die häufig in Verkürzung refixierten Kollateralbandkomplexe werden durch die Vorgabe eines Extensionslimits in der initialen postoperativen Phase geschützt. Ab dem 2. postoperativen Tag wird unter physiotherapeutischer Anleitung mit aktiven Übungsbehandlungen begonnen. Normale Alltagsbelastungen sollten frühestens 6 Wochen (ligamentäre Heilung!), Kraftaufbauübungen frühestens nach 3 Monaten beginnen.

Zusammenfassung

Das therapeutische Vorgehen bei der „einfachen“ Ellenbogenluxation bedarf der genauen Beurteilung klinischer und radiologischer Stabilitätskriterien. Dabei ist ein systematisches diagnostisches Vorgehen essenziell, um eine fehlerhafte Einschätzung der Ellenbogenstabilität zu vermeiden. Wesentliches Kriterium für den Therapieentscheid ist die dynamische, aktive Stabilisierung durch die Gelenk-übergreifenden (und somit das Gelenk zentrierenden) Muskelgruppen. Um eine optimale Wiederherstellung der Ellenbogenfunktion zu gewährleisten, sollte zudem der körperliche Anspruch und das Patientenalter bei der Therapieentscheidung Berücksichtigung finden.

Der Behandlungsstandard für die konservative Therapie ist die frühfunktionelle aktive Beübung unter engmaschiger klinischer und radiologischer Kontrolle. Indikationen für die operative Behandlung sind Reluxationen, persistierende Subluxationen/Inkongruenzen und intraartikuläre Pathologien (z.B. freie Gelenkkörper).

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