Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015
Behandlungsstrategien und Komplikationsmanagement dorsaler Fusionen bei Osteoporose
Stephanie A. Hopf1, Peer Eysel1, Max J. Scheyerer1
Zusammenfassung: Osteoporose gehört zu den häufigsten Erkrankungen des höheren Lebensalters. Erstmanifestation sind häufig Wirbelkörperfrakturen, die nicht selten eine operative Stabilisierung benötigen. Aber auch degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule nehmen mit höherem Patientenalter an Bedeutung zu und werden vor dem Hintergrund der stetig steigenden Lebenserwartung und dem Anspruch der Patienten zunehmend häufiger therapiebedürftig. Daher ist anzunehmen, dass wir uns künftig vermehrt mit den Problemen der dorsalen Instrumentierung bei Osteoporose beschäftigen müssen. Pedikelschraubenlockerungen und -ausrisse sowie Anschlussfrakturen mit konsekutiver Kyphosierung sind in diesem Zusammenhang besonders zu nennen. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, einen Überblick über schraubenspezifische Einflussfaktoren sowie Techniken der Verankerung und Instrumentierung zu geben, um das Auftreten besagter Komplikationen zu vermeiden.
Schlüsselwörter: Osteoporose, dorsale Instrumentierung, Pedikelschraubenlockerung, Zementaugmentation
Zitierweise
Hopf SA, Eysel P, Scheyerer MJ. Behandlungsstrategien und Komplikationsmanagement dorsaler Fusionen bei Osteoporose.
OUP 2015; 11: 549–554 DOI 10.3238/oup.2015.0549–0554
Abstract: Osteoporosis is one of the most common diseases of the elderly. Initial manifestations are often vertebral fractures, which require surgical stabilization. However, with increasing age degenerative changes of the spine could be observed more often, too. Due to constantly increasing patient age and the patients’ growing demands, many of them need surgical therapy. Therefore it seems necessary to assume, that in the future we have to deal more often with complications of dorsal instrumentation in case of osteoporosis. In this context screw loosening, screw pull-out as well as adjacent fractures with consecutive kyphosis have to be mentioned. The aim of the present work is to provide an overview of the different pedicle screw designs and associated surgical techniques of fixation and instrumentation in order to avoid the occurrence of aforementioned complications.
Keywords: Osteoporosis, dorsal instrumentation, pedicle screw loosening, pedicle screw augmentation
Citation
Hopf SA, Eysel P, Scheyerer MJ. Treatment strategies and complication management of spinal fusion in osteoporotic patients.
OUP 2015; 11: 549–554 DOI 10.3238/oup.2015.0549–0554
Einleitung
Osteoporose ist definiert als pathologischer Knochenschwund, welcher den organischen und mineralischen Anteil des Knochens gleichermaßen betrifft [20]. Es handelt sich um eine systemische Skeletterkrankung, welche durch eine Verschlechterung der mikroarchitektonischen Grundstruktur des Knochengewebes und eine niedrigere Knochenmasse charakterisiert ist.
Betrachtet man die Bevölkerung der OECD- Länder, so weisen 15 % der Frauen über 65 Jahren eine sichtbare Osteoporose auf. Jenseits des 75. Lebensjahres haben bereits 30 % der Frauen eine osteoporotische Fraktur erlitten. Bedingt durch den demografischen Wandel ist künftig von einer zunehmenden Bedeutung diese Patientenkollektivs auszugehen. So wird der Anteil der über 65-Jährigen auf 21 % – in Deutschland sogar auf 29 % – innerhalb der nächsten Jahre ansteigen.
Häufigste Erstmanifestation der Osteoporose sind neben Schenkelhalsfrakturen Brüche der Wirbelköper – meist des thorakolumbalen Überganges. Zahlen belegen, dass die 5-Jahres-Mortalität nach osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen jene nach Schenkelhalsfrakturen deutlich übersteigt (72 % versus 59 %), womit eine im Allgemeinen deutliche Unterschätzung dieser Frakturentität unterstellt werden muss [14].
Die am häufigsten zu beobachtenden osteoporotischen Frakturen an der Wirbelsäule sind Kompressionsfrakturen, welche nach der gängigen AO-Klassifikation als Typ-A-Frakturen klassifiziert werden [24]. Diese führen neben den lokalen Veränderungen zu einem Strukturwandel des jeweiligen Bewegungssegments mit zunehmender Kyphosierung der Wirbelsäule. Dadurch bedingt stellt sich eine Verlagerung des Körperschwerpunkts nach ventral ein, mit nachfolgender Veränderung des sagittalen Profils der Wirbelsäule [16]. Die damit einhergehende vermehrte Beanspruchung der posterioren muskulären wie auch ligamentären Elemente führt zu einer Inbalance sowie Insuffizienz der autochthonen Rückenmuskulatur. Neben einer allgemeinen Progredienz der Schmerzsymptomatik bewirkt diese Veränderung einen bis um das 5-fachen erhöhten Druck auf die benachbarten Wirbelkörper [25]. Folge sind Anschlussfrakturen; ein Phänomen, das auch als „vertebral fracture cascade” bezeichnet wird.
Daneben führt die progrediente Kyphosierung zu einer Einschränkung des Atemvolumens, einer Einschränkung der Lebensqualität, einer Verminderung der Ganggeschwindigkeit und zu zunehmender Immobilisation [22]. Zu erstgenannten zeigten klinische Untersuchungen eine Abnahme des Tidalvolumens um 9 % pro frakturierten Wirbelkörper der thorakalen Wirbelsäule [24].
In Abhängigkeit vom Ausmaß der Pathologie, der Komorbiditäten, des Alters und des Leidensdrucks des Patienten existieren verschiedene konservative wie auch operative Behandlungsansätze [24]. Neben der dorsalen Instrumentierung muss im Bereich der operativen Schiene auch die Kypho- und Vertebroplastie Erwähnung finden. Der Erfolg beider Maßnahmen ist von verschiedenen Faktoren abhängig (Tab. 1) und bleibt nach S3– Leitlinie im Einzelfall unklar. Ein klarer schmerzreduzierender Effekt muss den Verfahren allerdings zugesprochen werden [10, 27].
Aber nicht nur osteoporosebedingte Wirbelkörperfrakturen machen die Behandlung des älteren Patienten speziell und benötigen häufig einer operativen Stabilisierung mittels dorsaler Instrumentierung. Auch begleitende altersbedingte und degenerative Prozesse, wie beispielsweise Bandscheibendegenerationen, degenerative Spondylolisthesen, osteochondrotische Veränderungen und Wirbelgleiten, treten in diesem Kollektiv vermehrt auf und erfordern unter Umständen einer operativen Behandlung.
Dabei bedingt die verminderte Knochendichte ein erhöhtes Auftreten postoperativer Komplikationen. Zu nennen sind im Besonderen Pedikelschraubenausrisse und Lockerungen, einhergehend mit einer Kyphosierung und Veränderung der sagittalen Balance sowie ferner Anschlussfrakturen der benachbarten Segmente [5] (Abb. 1).
Daher müssen die Besonderheiten, welche mit dem Krankheitsbild der Osteoporose einhergehen, in der instrumentierenden Wirbelsäulenchirurgie erkannt und berücksichtigt werden, um die genannten postoperativen Komplikationen zu reduzieren und etwaig notwendig werdende Revisionsoperation zu vermeiden.