Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015
Behandlungsstrategien und Komplikationsmanagement dorsaler Fusionen bei Osteoporose
Stephanie A. Hopf1, Peer Eysel1, Max J. Scheyerer1
Zusammenfassung: Osteoporose gehört zu den häufigsten Erkrankungen des höheren Lebensalters. Erstmanifestation sind häufig Wirbelkörperfrakturen, die nicht selten eine operative Stabilisierung benötigen. Aber auch degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule nehmen mit höherem Patientenalter an Bedeutung zu und werden vor dem Hintergrund der stetig steigenden Lebenserwartung und dem Anspruch der Patienten zunehmend häufiger therapiebedürftig. Daher ist anzunehmen, dass wir uns künftig vermehrt mit den Problemen der dorsalen Instrumentierung bei Osteoporose beschäftigen müssen. Pedikelschraubenlockerungen und -ausrisse sowie Anschlussfrakturen mit konsekutiver Kyphosierung sind in diesem Zusammenhang besonders zu nennen. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, einen Überblick über schraubenspezifische Einflussfaktoren sowie Techniken der Verankerung und Instrumentierung zu geben, um das Auftreten besagter Komplikationen zu vermeiden.
Schlüsselwörter: Osteoporose, dorsale Instrumentierung, Pedikelschraubenlockerung, Zementaugmentation
Zitierweise
Hopf SA, Eysel P, Scheyerer MJ. Behandlungsstrategien und Komplikationsmanagement dorsaler Fusionen bei Osteoporose.
OUP 2015; 11: 549–554 DOI 10.3238/oup.2015.0549–0554
Abstract: Osteoporosis is one of the most common diseases of the elderly. Initial manifestations are often vertebral fractures, which require surgical stabilization. However, with increasing age degenerative changes of the spine could be observed more often, too. Due to constantly increasing patient age and the patients’ growing demands, many of them need surgical therapy. Therefore it seems necessary to assume, that in the future we have to deal more often with complications of dorsal instrumentation in case of osteoporosis. In this context screw loosening, screw pull-out as well as adjacent fractures with consecutive kyphosis have to be mentioned. The aim of the present work is to provide an overview of the different pedicle screw designs and associated surgical techniques of fixation and instrumentation in order to avoid the occurrence of aforementioned complications.
Keywords: Osteoporosis, dorsal instrumentation, pedicle screw loosening, pedicle screw augmentation
Citation
Hopf SA, Eysel P, Scheyerer MJ. Treatment strategies and complication management of spinal fusion in osteoporotic patients.
OUP 2015; 11: 549–554 DOI 10.3238/oup.2015.0549–0554
Einleitung
Osteoporose ist definiert als pathologischer Knochenschwund, welcher den organischen und mineralischen Anteil des Knochens gleichermaßen betrifft [20]. Es handelt sich um eine systemische Skeletterkrankung, welche durch eine Verschlechterung der mikroarchitektonischen Grundstruktur des Knochengewebes und eine niedrigere Knochenmasse charakterisiert ist.
Betrachtet man die Bevölkerung der OECD- Länder, so weisen 15 % der Frauen über 65 Jahren eine sichtbare Osteoporose auf. Jenseits des 75. Lebensjahres haben bereits 30 % der Frauen eine osteoporotische Fraktur erlitten. Bedingt durch den demografischen Wandel ist künftig von einer zunehmenden Bedeutung diese Patientenkollektivs auszugehen. So wird der Anteil der über 65-Jährigen auf 21 % – in Deutschland sogar auf 29 % – innerhalb der nächsten Jahre ansteigen.
Häufigste Erstmanifestation der Osteoporose sind neben Schenkelhalsfrakturen Brüche der Wirbelköper – meist des thorakolumbalen Überganges. Zahlen belegen, dass die 5-Jahres-Mortalität nach osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen jene nach Schenkelhalsfrakturen deutlich übersteigt (72 % versus 59 %), womit eine im Allgemeinen deutliche Unterschätzung dieser Frakturentität unterstellt werden muss [14].
Die am häufigsten zu beobachtenden osteoporotischen Frakturen an der Wirbelsäule sind Kompressionsfrakturen, welche nach der gängigen AO-Klassifikation als Typ-A-Frakturen klassifiziert werden [24]. Diese führen neben den lokalen Veränderungen zu einem Strukturwandel des jeweiligen Bewegungssegments mit zunehmender Kyphosierung der Wirbelsäule. Dadurch bedingt stellt sich eine Verlagerung des Körperschwerpunkts nach ventral ein, mit nachfolgender Veränderung des sagittalen Profils der Wirbelsäule [16]. Die damit einhergehende vermehrte Beanspruchung der posterioren muskulären wie auch ligamentären Elemente führt zu einer Inbalance sowie Insuffizienz der autochthonen Rückenmuskulatur. Neben einer allgemeinen Progredienz der Schmerzsymptomatik bewirkt diese Veränderung einen bis um das 5-fachen erhöhten Druck auf die benachbarten Wirbelkörper [25]. Folge sind Anschlussfrakturen; ein Phänomen, das auch als „vertebral fracture cascade” bezeichnet wird.
Daneben führt die progrediente Kyphosierung zu einer Einschränkung des Atemvolumens, einer Einschränkung der Lebensqualität, einer Verminderung der Ganggeschwindigkeit und zu zunehmender Immobilisation [22]. Zu erstgenannten zeigten klinische Untersuchungen eine Abnahme des Tidalvolumens um 9 % pro frakturierten Wirbelkörper der thorakalen Wirbelsäule [24].
In Abhängigkeit vom Ausmaß der Pathologie, der Komorbiditäten, des Alters und des Leidensdrucks des Patienten existieren verschiedene konservative wie auch operative Behandlungsansätze [24]. Neben der dorsalen Instrumentierung muss im Bereich der operativen Schiene auch die Kypho- und Vertebroplastie Erwähnung finden. Der Erfolg beider Maßnahmen ist von verschiedenen Faktoren abhängig (Tab. 1) und bleibt nach S3– Leitlinie im Einzelfall unklar. Ein klarer schmerzreduzierender Effekt muss den Verfahren allerdings zugesprochen werden [10, 27].
Aber nicht nur osteoporosebedingte Wirbelkörperfrakturen machen die Behandlung des älteren Patienten speziell und benötigen häufig einer operativen Stabilisierung mittels dorsaler Instrumentierung. Auch begleitende altersbedingte und degenerative Prozesse, wie beispielsweise Bandscheibendegenerationen, degenerative Spondylolisthesen, osteochondrotische Veränderungen und Wirbelgleiten, treten in diesem Kollektiv vermehrt auf und erfordern unter Umständen einer operativen Behandlung.
Dabei bedingt die verminderte Knochendichte ein erhöhtes Auftreten postoperativer Komplikationen. Zu nennen sind im Besonderen Pedikelschraubenausrisse und Lockerungen, einhergehend mit einer Kyphosierung und Veränderung der sagittalen Balance sowie ferner Anschlussfrakturen der benachbarten Segmente [5] (Abb. 1).
Daher müssen die Besonderheiten, welche mit dem Krankheitsbild der Osteoporose einhergehen, in der instrumentierenden Wirbelsäulenchirurgie erkannt und berücksichtigt werden, um die genannten postoperativen Komplikationen zu reduzieren und etwaig notwendig werdende Revisionsoperation zu vermeiden.
Operative Therapie
Ziel der dorsalen Instrumentierung ist die Stabilisierung und Fusion der betroffenen Segmente sowie die Wiederherstellung des sagittalen Profils der Wirbelsäule. Dabei müssen bei der Verankerung der Implantate die verschiedenen biomechanischen Eigenschaften des Wirbelkörpers sowie externen Faktoren, welche das klinische Ergebnis des Verfahrens beeinflussen können, bedacht werden [13].
So unterscheidet sich die Anatomie und Knochendichte der Wirbelkörper der Patienten im Brustwirbelbereich gegenüber den Wirbelkörpern der Lendenwirbelsäule bzw. des lumbosakralen Übergangs. Externe Faktoren wie das weibliche Geschlecht, die weiße Rasse, geringes Körpergewicht, Demenz und ein reduzierter Allgemeinzustand weisen häufig auf eine niedrigere Knochenqualität hin [10].
Bei der primären operativen Stabilisierung ist neben der Länge der Instrumentierung auch die Wahl des Stabmaterials zu bedenken (z.B. Titan versus Cobalt-Chrom). Durch die unterschiedlichen Elastizitätsmodule der Materialien lässt sich die Steifigkeit sowie Elastizität des Konstrukts maßgeblich beeinflussen. Im osteoporotischen Knochen empfiehlt es sich, Materialien mit niedriger Steifigkeit wie Titanstäbe zu verwenden, um den Stress auf die Schrauben und den umliegenden Knochen zu reduzieren und so das Auftreten von Lockerungen und Ausrissen der Schrauben zu vermeiden [24].
Auch ist zum Erhalt der Rigidität der Instrumentierung eine gute Verankerung der Schrauben im Pedikel wichtig, da hierdurch über 60 % der Ausrisskräfte bestimmt werden. Bei unzureichender Knochenqualität sollte immer zur Vermeidung einer sekundären Dislokation oder eines Ausrisses der Schrauben die Zementaugmentation in Erwägung gezogen werden [2].
Die Fusion von Wirbelkörpersegmenten geht mit einer Veränderung der Statik einher. Dadurch erhöhen sich die einwirkenden Kräfte auf die umliegenden Bewegungssegmente und es kann zum Auftreten von Anschlussfrakturen kommen. Längerstreckige Instrumentierungen führen dabei zu einer Umverteilung dieser Kräfte und damit zu einer geringeren Krafteinwirkung auf jedes einzelne Bewegungssegment. Dies reduziert die Frakturrate der benachbarten Wirbelkörper [10].
Aber auch bei längerstreckigen Fusionen ist der Wiederherstellung sowie dem Erhalt des sagittalen Profils der Wirbelsäule stets Rechnung zu tragen. Das Grundprinzip besteht dabei in einer Verlängerung der ventralen und einer Verkürzung der dorsalen Säule. Reicht die dorsale Instrumentierung zur Wiederherstellung des Gesamtprofils der Wirbelsäule nicht aus, kann bei starker Imbalance des sagittalen Profils die dorsale Fusion durch eine Facettektomie oder eine Osteotomie ergänzt werden.
Sollten dabei nur geringe segmentale Korrekturen erforderlich sein, ist meist eine Facettektomie ausreichend. Auf diese Weise lassen sich für jedes Segment Korrekturen von 2–5° erzielen. Bei höhergradigen Korrekturen wird meiste eine Osteotomie notwendig. Dabei können je nach Verfahren Korrekturen von 5–40° erreicht werden. Das größte Korrekturausmaß lässt sich bei kurzstreckigen Kyphosen durch die Pedikelsubstraktionsosteotomie erzielen (Abb. 2). Hier erfolgt die Entnahme eines Knochenkeils aus den dorsalen Elementen und dem Wirbelkörper, wobei die Lamina und die Pedikel beidseits entfernt und die Osteotomie verschlossen wird. Durch die translatorische Instabilität in der anteroposterioren Ebene besteht eine erhöhte Gefahr neurologischer Schäden. Dieser erweisen sich als geringer bei der Osteotomie nach Ponte (partielle Resektion der superioren und inferioren Facettengelenke) oder der Smith-Peterson-Osteotomie (V-förmige interlaminäre segmentale Resektion). Multisegmental durchgeführt sind beide die Therapie der Wahl bei längerstreckiger Kyphosierung.
Probleme der dorsalen Instrumentierung bei Osteoporose
Neben den üblichen peri- und postoperativen Komplikationen müssen im Zusammenhang mit der dorsalen Instrumentierung der osteoporotischen Wirbelsäule eine unzureichende Implantatverankerung mit Lockerung oder Ausriss der Schrauben erwähnt werden sowie die Ausbildung von Anschlussfrakturen der benachbarten Segmente. Beide Komplikationen bedingen Schmerzen, Immobilisation sowie eine progrediente Kyphosierung der betroffenen Segmente mit konsekutiver Veränderung der sagittalen Balance [5].
Um insbesondere den Schraubenausrissen oder -lockerungen, als zentralem Problem, entgegenzuwirken, sollten bei der Versorgung der osteoporotischen Wirbelsäule einige Faktoren bedacht werden. Diese beinhalten, neben der bereits zuvor geschilderten Wahl des Stabmaterials sowie der Instrumentationslänge, das Schraubendesign und die Insertions- sowie Augmentationstechnik.
Schraubendurchmesser
Als wichtigster Parameter zur Vermeidung eines Schraubenausrisses an der Wirbelsäule gilt der äußere Schraubendurchmesser [9, 21, 30]. So zeigten zahlreiche biomechanischer Arbeiten übereinstimmend, dass sich bei größer werdendem Durchmesser der Schraube das Risiko eines Ausrisses signifikant reduziert. Auch in der Revisionschirurgie lässt sich ähnliches beobachten. So ergaben sich nach Lockerung einer 6-mm-Schraube erst bei Verwendung einer nicht zementaugmentierte Schraube mit 8 mm signifikant höhere Ausrisskräfte. Darüber hinaus besaß die nicht zementaugmentierte 8-mm-Schraube sogar eine höhere Ausrisskraft gegenüber der 6-mm-Schraube, die mit Zement augmentiert wurde [15].
Schraubenlänge
Der Schraubenlänge kommt bei der operativen Revision nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Während im gesunden Knochen die Schraubenlänge zu einer Erhöhung der Ausrisskraft führt, zeigt sich im osteoporotischen Knochen nur ein marginaler Unterschied der Ausrisskraft im Vergleich zum gesunden Knochen [30]. Zusammenfassend ist der Schraubendurchmesser wesentlich bedeutender als die Schraubenlänge [23].
Schraubendesign
Der Einfluss der Schraubenform sowie des Gewindes wird kontrovers diskutiert. Theoretisch bergen konische Schrauben den Vorteil der höheren Stresskonzentration im Pedikel – bedingt durch den größeren Durchmesser – sowie einer bessere Kompression des umliegenden Gewebes mit konsekutiver Verdichtung des spongiösen Knochens. Allerdings zeigte sich im Langzeitverlauf kein signifikanter Unterschied bezüglich der Ausrisskraft in Abhängigkeit vom Schraubendesign (konisch versus zylindrisch) [6].
Schraubenmaterial
Insbesondere im osteoporotischen Knochen ist ein hohes Maß an Flexibilität der Schrauben mit daraus folgender Stressreduktion auf den umliegenden Knochen von Bedeutung. Ferner fördert eine gute Biokompabilität des verwendeten Materials die Osteointegration. Diese Punkte berücksichtigend, erscheint die Verwendung von Titanschrauben gegenüber Edelstahlschrauben von Vorteil zu sein. Diese zeigten in tierexperimentellen Studien eine erhöhte Osteointegration; der Nutzen hinsichtlich einer etwaigen Steigerung der Ausrissfestigkeit war allerdings marginal [8]. Dennoch bleibt der Einfluss der Osteointegration auf die Inzidenz von Schraubenlockerungen zu diskutieren.
Selbstschneidende Schrauben
versus Gewindeschneiden
Bei der Implantation der Schrauben werden gewindeschneidende und selbstschneidende Schrauben unterschieden. Selbstschneidende Schrauben zeigten in Studien eine höhere Ausrisskraft gegenüber jenen, bei denen zuvor das Gewinde im Knochen präpariert wurde. Andere demonstrierten eine reduzierte Festigkeit der Schraubenhalterung durch das Gewindeschneiden, sodass insbesondere im osteoporotischen Knochen ausschließlich selbstschneidende Schrauben verwendet werden sollten. Bedacht sein muss in diesem Zusammenhang lediglich das bei selbstschneidenden Schrauben erhöhte Drehmoment, welches das Risiko einer Fraktur des Pedikels beinhaltet [7, 20].
Neben dem Schraubendesign ist die Art der Fixierung ein weiterer zu beeinflussender Faktur, um die Inzidenz von Schraubenlockerungen zu reduzieren. In diesem Zusammenhang ist die Vorbohrung der Schraube, der Winkel der Schraubenrichtung, die bikortikale Fixation sowie die Augmentationstechnik zu beachten.
Vorbohrung
Zur Implantation der Schraube erfolgt die Vorbohrung des Schraubenlochs. Basierend auf Ausrissversuchen definierten Batulla et al. die sog. „critical pilot hole size“. Dabei soll die Vorbohrung idealerweise einen Durchmesser von 71,5 % der später implantierten Schraube haben [1]. Ist die Vorbohrung zu klein, erhöht sich das Drehmoment und somit das Frakturrisiko des osteoporotischen Knochen erheblich. Ist die Vorbohrung zu groß, ist die Befestigung insuffizient und es bedarf weiterer Maßnahmen wie der Verwendung eines größeren Durchmessers der Schrauben oder der Zementaugmentation.
Implantationswinkel
Ein weiterer präventiver Faktor ist der Winkel der implantierten Schrauben. Biomechanische Untersuchungen an langen Röhrenknochen zeigten, dass die optimale axiale Ausrichtung abhängig ist vom Ausmaß der Osteoporose [18]. Auf die Wirbelsäule lässt sich dieses Modell auf Grund von strukturellen sowie morphologischen Gegebenheiten nicht gänzlich übertragen. Hier zeigte sich, dass eine Schraubenrichtung von etwa 10° in medialer wie auch kaudaler Richtung die Ausrissfestigkeit maßgeblich erhöht im Vergleich zum anatomischen Winkel. Letztgenannter orientiert sich an einer mit 10° medialen sowie 22° kraniokaudalen Richtung [18].
Bikortikale Fixierung
Die bikortikale Verankerung der Schrauben ist eine gängige Technik insbesondere bei der Instrumentierung von SWK1. Ziel ist es dabei, die Stabilität im Knochen zu erhöhen. So kann experimentell eine Steigerung der Ausrissfähigkeit auf bis zu 44 % erreicht werden. Allerdings konnte bei bikortikaler Fixation eine vermehrte Verbiegung der Schrauben beobachtet werden, ebenso eine erhöhte Inzidenz von Brüchen des Pedikels. Ursächlich hierfür ist eine Verlagerung des Drehpunkts an die anteriore Kortikales mit daraus resultierender Veränderung des wirkenden Drehmoments („Scheibenwischerphänomen“) [3]. Auch die Gefahr von Gefäßverletzungen durch bikortikal eingebrachte Schrauben begründet, dass diese Technik nur in Ausnahmefälle sowie zur Instrumentierung von SWK 1/2 angewandt werden sollte.
Implantationstiefe
Bei guter Knochenqualität beträgt die optimale Tiefe der eingebrachten Schrauben rund 80 % der gesamten Wirbelkörperlänge. Auf diese Weise konnte eine signifikante Steigerung der Ausrissfestigkeit um über 30 % im Vergleich zu kürzeren Implantationstiefen erzielt werde [17]. Im osteoporotischen Knochen stellte sich der Unterschied allerdings als nur marginal dar, sodass der Verankerungstiefe einer eher untergeordnete Bedeutung zukommt [30]. Diskutiert wurde ebenfalls, dass durch ein Versenken des Schraubenkopfs in den Pedikel mit folgender Verkürzung des Hebelarms und der damit assoziierten Reduktion der wirkenden Kräfte eine Abnahme der Rate an Schraubenlockerungen erzielt werden könnte. Anders als zu erwarten zeigte sich bei Anwendung dieser Technik in einigen Studien eine signifikant niedrigere Ausrissfestigkeit der Schrauben sowie ein erhöhte Inzidenz von Pedikelbrüchen bzw. Lockerungen im kortikalen Knochen. Basierend hierauf wurde die Technik wieder verlassen [20].
Zementaugmentation
der Schrauben
Neben dem Schraubendurchmesser erhöht die Zementaugmentation der Schrauben deren Festigkeit im osteoporotischen Knochen am deutlichsten [4]. Über das Ausmaß der Festigkeit entscheidet neben dem verwendeten Zement die Technik der Zementierung.
Material
Derzeit stehen verschiedene Zementsorten zur Verfügung. Am häufigsten zur Anwendung kommt Polymethylmetaacrylat (PMMA), welcher die Ausrissfestigkeit mit bis zu 348 % am deutlichsten zur erhöhen vermag. Nachteilig wirkt sich allerdings die im Rahmen der Aushärtung von PMMA entstehende exotherme Reaktion von bis zu 110 °C aus. Diese kann zur Entstehung von thermischen Nekrosen sowie neuronalen Schädigungen führen. Darüberhinaus ist PMMA nicht biokompatibel, geht daher keine Verbindung mit dem Knochen ein und bleibt immer ein Fremdkörper. Anders hingegen Calciumphosphat, welches osteokonduktive Eigenschaften besitzt. Auch verfestigt es sich im Rahmen einer endothermen Reaktion und verhindert somit das Auftreten von thermischen Schädigungen des umliegenden Gewebes. Die Steigerung der Ausrissfestigkeit ist etwas geringer als von PMMA, beträgt aber immerhin 244 %, sodass Calciumphosphat trotz der langen Aushärtungszeit von nahezu 24 Stunden eine Alternative zu PMMA darstellt. Hydroxylappatit oder Zementmischungen wie beispielsweise Calciumphosphat-Calciumsulfatgemisch steigern die Ausrissfestigkeit in geringerem Maße.
Augmentationstechnik
Zum Einbringung des Zements in den Knochen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung:
- a) Einbringen des Zementes in ein vorgefertigtes Schraubenloch mit anschliessender Insertion der Schraube,
- b) Einbringen des Zementes in einen ähnlich der Ballonkphoplastie vorpräparierten Hohlraum mit anschliessender Insertion der Schraube, sowie
- c) Zementieren von bereits gesetzten Schrauben durch die Verwendung von perforierten Schrauben (Abb. 3). Insbesondere im osteoporotischen Knochen erscheint letztgenanntes Verfahren die sichere Alternative zu sein bei vergleichbaren Ausrisskräften [2, 10, 28]. Dabei ist auf einen langstreckigen Zementmantel um die Schraube zu achten, insbesondere im Pedikel- Wirbelkörperübergang [2, 11, 28].
Alternative Techniken zur
Zementaugmenation
Alternativ kann bei Zementallergien eine spreizbare Pedikelschraube oder eine Art „Dübel” verwendet werden. Die spreizbaren Pedikelschrauben zeigen ebenso signifikant höhere Fusions- mit signifikant reduzierten Lockerungsraten im Vergleich zur herkömmlichen Instrumentation [29]. Somit stellen sie eine sichere Alternative zur Zementaugmentation dar [29]. Das Einbringen von speziellen Dübeln, welche sich ventral des Pedikel-Wirbelkörperübergangs aufspreizen, führt ebenso zu einer Erhöhung der Ausrissfestigkeit [19]. Allerdings fehlt es hierbei noch an Studien, welche den Langzeitverlauf dokumentieren.
Länge der Instrumentierung
Langstreckige Instrumentierungen führen zu einer Umverteilung der einwirkenden Kräfte auf die umliegenden Bewegungssegmente und damit zu einer geringeren Krafteinwirkung auf jedes einzelne Bewegungssegment und somit auch auf die dort befindlichen Schrauben. Zudem erhöht sich die Stabilität des gesamten Konstrukts. Allerdings muss festgehalten werden, dass die Zementaugmentation einen höheren Einfluss auf die Stabilität hat als die Verlängerung um ein Segment.
Fazit für die Praxis
Durch den demografischen Wandel und das damit verbundene vermehrte Auftreten von Osteoporose, osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen und degenerativen spinalen Prozessen nimmt die Bedeutung der Therapie sowie das Komplikationsmanagement nach dorsaler Stabilisierung künftig weiter an Bedeutung zu.
Die häufigsten Komplikationen der dorsalen Instrumentierung sind Pedikelschraubenlockerungen und -ausrisse sowie Wirbelkörperkompressionsfrakturen der angrenzenden Segmente mit konsekutiver Kyphosierung und Veränderung der sagittalen Balance der Wirbelsäule. Als zentrale Entität muss allerdings die Schraubenlockerung bzw. deren Ausriss angesehen werden.
Unter Berücksichtigung der folgenden Faktoren lässt sich diese Hauptkomplikation reduzieren:
- 1. Schraubenspezifische Faktoren
Großer Durchmesser
Suffiziente Verankerung im Pedikel durch entsprechendes Schraubendesign (Gewinde, konische Schrauben)
Ggf. bikortikale Verankerung
Verwendung von selbstschneidenden Schrauben
Biokompatibles Schraubenmaterial (Titan)
- 2. Schraubeninsertionswinkel idealerweise in 10° medialer sowie kaudaler Richtung
- 3. Zementaugmentation der Schrauben mit PMMA oder Calciumphosphat über perforierte Schrauben
- 4. Länge der Instrumentierung
- 5. Verwendung von Titanschrauben sowie Titanstäben zur Reduktion der Stressübertragung auf die Schrauben
Interessenkonflikt:
Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Dr. med Max J. Scheyerer
Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Universitätsklinikum Köln (AöR)
Kerpener Straße 62, 50937 Köln
max.scheyerer@uk-koeln.de
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Fussnoten
1 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Köln