Arzt und Recht - OUP 12/2013
Beratung vor Regress – Widerspruch gegen Beratung?
Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe
Einleitung
Seit dem 01.01.2012 gilt gemäß dem durch das Versorgungsstrukturgesetz neu eingefügten § 106 Abs. 5e SGB V die Regel „Beratung vor Regress“. Bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arznei- und Heilmittelverordnungen um mehr als 25 % darf zunächst von den Prüfeinrichtungen lediglich eine Beratung verhängt werden. Ein Regress darf hingegen erst bei einer darauffolgenden Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % und auch erst für den Prüfzeitraum (Richtgrößenprüfung: in der Regel das Kalenderjahr) festgesetzt werden, der auf die Beratung folgt. Wird demnach beispielsweise für das Jahr 2009 im Widerspruchsverfahren vor dem Beschwerdeausschuss durch Widerspruchsbescheid eine Beratung (in der Regel als Anlage zum Widerspruchsbescheid) festgesetzt und erteilt, dem Vertragsarzt aber erst im Jahr 2012 zugestellt, kann ein Regress erst für das darauffolgende Jahr 2013 bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % festgesetzt werden.
Diese Regelung hat bereits dazu geführt (und wird auch in Zukunft dazu führen), dass vermehrt Beratungen festgesetzt und erteilt werden. Allein deshalb drängt sich umso mehr die Frage auf, in welchen Fällen auch gegen eine Beratung, die ja keine „finanziellen Schmerzen“ verursacht, Widerspruch eingelegt werden sollte. Die im Folgenden dargestellten Entscheidungen des Bundessozialgerichts verdeutlichen die Rechtslage. Die zweite Entscheidung soll hierbei darauf aufmerksam machen, dass nunmehr unter Umständen auch Verfahrenskosten bereits im Widerspruchsverfahren in die Überlegungen einzubeziehen sind.
BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az. B 6 KA 40/12 R
Zum Sachverhalt
Die aus 2 Fachärzten bestehende Gemeinschaftspraxis wendete sich gegen die Festsetzung einer Beratung im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung aufgrund von Richtgrößen für das Jahr 2006.
Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkasse setzte mit Bescheid gegen die Gemeinschaftspraxis wegen Überschreitung der Richtgröße der Fachärzte einen Regress in Höhe von 2.789,37 € fest. Ihre Verordnungskosten hätten im Jahr 2006 einschließlich Sprechstundenbedarf brutto 767.142,29 € betragen bei einem Richtgrößenvolumen von 502.227,56 €. Eine Summe in Höhe von 126.745,27 € brachte die Prüfungsstelle in Abzug, weil sie Verordnungen für Indikationsgebiete betrafen, die als Praxisbesonderheiten in der Prüfungsvereinbarung festgelegt waren. Weitere 7.900,76 € zog die Prüfungsstelle für Mehraufwendungen für einen erhöhten Anteil an speziellen Patienten (6,8 % gegenüber 1,3 % in der Vergleichsgruppe) ab.
Soweit die Gemeinschaftspraxis sich darauf berufen habe, dass sie eine Vielzahl von Pflegeheimpatienten behandele, habe sie weder zu den von ihr namentlich benannten 20 Patienten, die Verordnungskosten von mehr als 2.000,00 € verursacht hätten, noch zu den 200 pauschal angegebenen Pflegeheimpatienten Angaben zu Indikation, Diagnose, Name der Versicherten, Krankenkassenversichertennummer, verordneten Arzneimitteln sowie Menge und Quartalskosten der Einzelmedikamente gemacht. Soweit der durchschnittliche Rentneranteil der Fachgruppe um 25 % überschritten sei, sei dies mit der höheren Richtgröße für Rentner berücksichtigt worden. Es verbleibe eine Überschreitung der gewichteten Richtgröße von 25,92 %.
Auf den Widerspruch der Gemeinschaftspraxis, zu dessen Begründung sie erneut auf die Praxisbesonderheit „Heimbetreuung“ verwies, hob der beklagte Beschwerdeausschuss mit Bescheid den Regress auf und setzte eine Beratung fest. Er führte unter anderem aus, Pflegeheimpatienten könnten wegen einer aufwendigen Betreuung eine Besonderheit darstellen. Es verbleibe eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens von 20,93 %, sodass eine Beratung festzusetzen sei.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.
Zur Begründung ihrer Sprungrevision trägt die Gemeinschaftspraxis vor, der Umfang der ihr auferlegten Darlegungspflichten sei rechtswidrig.
Aus den Gründen
Die zulässige Sprungrevision der Gemeinschaftspraxis ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts unbegründet.
Die Gemeinschaftspraxis sei durch den angefochtenen Bescheid zwar formell beschwert im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG und damit klagebefugt. Sie erstrebe die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme, die sie als rechtswidrig beanstandet.
Ein nachteiliges Einwirken auf die Rechtssphäre der Klägerin fehle nicht etwa deshalb, weil der angefochtene Bescheid keine materielle Ausgleichspflicht festsetzt, sondern nur eine immaterielle Maßnahme der „Beratung“. Auch bei der Beratung nach § 106 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V handele es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine Sanktion im Falle der Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Das Sozialgericht habe zu Recht darauf hingewiesen, dass Richtgrößen nach der Intention des Gesetzgebers eine Steuerungsfunktion zukommt und dies im Wortlaut des § 84 Abs. 6 Satz 3 SGB V zum Ausdruck kommt. Danach leiten die Richtgrößen den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Leistungen nach § 31 SGB V nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Steuerungsfunktion werde über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen abgesichert (vgl. BT-Drucks. 12/3608 S. 100 zu Nummer 56 <§ 106> zu Buchst. f). Wie jede Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung ziele auch die Beratung nach § 106 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V letztlich auf eine Verhaltensänderung.
Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme stehe im Ermessen der Prüfgremien (vgl. BT-Drucks. 14/6309 S. 11 zu Nummer 4 <§ 106> zu Buchst. b), soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird.