Arzt und Recht - OUP 06/2012
Bewertung von Ärzten durch Patienten im Internet
Das LG hatte die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Löschungs- oder Unterlassungsanspruch zu, da die nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vorzunehmende Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin und dem Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit der Beklagten zu einer zulässigen Verwertung der Daten durch die Beklagte führe.
Die Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter verfolgt, rügte in der Berufung Folgendes:
Das LG habe verkannt, dass nicht § 29 BDSG, sondern § 28 BDSG zur Anwendung komme, da die Datenerhebung „für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke“ erfolge, nicht aber „zum Zwecke der Übermittlung“. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 BDSG für die Zulässigkeit der Datenerhebung lägen jedoch nicht vor.
Zudem habe das LG für den Fall der Anwendung des § 29 BDSG die gebotene Interessenabwägung unzutreffend vorgenommen. Die von dem BGH in seiner „spickmich“ – Entscheidung aufgestellten Maßstäbe seien auf das streitgegenständliche Portal nicht anzuwenden, da es sich nicht um ein geschlossenes Internetportal (sog. Community-Forum) handele. Das Interesse der Klägerin überwiege jenes der Beklagten deutlich; schon der latente Verdacht der Manipulation müsse die Einträge unglaubwürdig erscheinen lassen. Die Sozialsphäre der Klägerin sei durch ihre Berufstätigkeit geprägt, die auf einem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aufbaue. Deshalb sei den Ärzten eine Werbung, die auf ungeprüfter Selbsteinschätzung beruhe, standesrechtlich nicht gestattet. Bei dem Portal der Beklagten sei der schönrednerischen Werbung durch konkurrierende Ärzte Tor und Tür geöffnet. Die Informationsinteressen der Nutzer des Portals könnten die Interessen der Klägerin ebenfalls nicht überwiegen, da die Bewertungen mangels Objektivität und Kompetenz der beurteilenden Laien für die Nutzer des Portals bei der Arztwahl als Information nicht werthaltig seien. Schließlich habe die Klägerin bei einer anonymen Bewertung keine Möglichkeit der Auseinandersetzung; Meinungsäußerungen aus der Masse heraus seien nicht schutzwürdig.
Die beklagte Betreiberin des Portals verteidigte das angefochtene Urteil. Nicht § 28, sondern § 29 BDSG finde Anwendung. Die Abwägung des Landgerichts sei fehlerfrei. Anonyme Meinungsäußerungen seien von Art. 5 GG geschützt. Dass die Beklagte das Bewertungsportal kommerziell betreibe, sei unerheblich. Die Beklagte schließe durch vielfältige Sicherungsmaßnahmen Missbrauch nach Möglichkeit aus. Standesrechtliche Werbeverbote bänden nur Angehörige des jeweiligen Berufsstands; zudem gehöre es zu den Berufspflichten eines Arztes, das Recht seiner Patienten auf freie Arztwahl zu achten. Der Vortrag der Klägerin zu etwaiger unlauterer Selbstdarstellung anderer Ärzte sei zudem unsubstantiiert; ein Recht auf Löschung könne sich allenfalls auf eine konkrete Rechtsverletzung beziehen, nicht aber auf das Verhindern von Meinungsäußerungen im Allgemeinen. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, eine Registrierung für den Abruf von Ärztedaten und Bewertungen vorzusehen.
Aus den Gründen
Das LG hat nach Auffassung des OLG zu Recht erkannt, dass der Klägerin weder ein Anspruch auf Löschung noch auf Unterlassung der Veröffentlichung ihrer persönlichen Daten bestehend aus Name, ärztlichen Tätigkeitsgebieten, Gesamt- und Einzelbewertungen sowie aus Kommentaren der Nutzer zusteht:
Soweit es um den Namen, die Adresse und den Tätigkeitsbereich der Klägerin geht, sind diese Daten bereits in allgemein zugänglichen Quellen (z.B. Gelbe Seiten) vorhanden, so dass ihr Erheben, Speichern, Verändern oder Nutzen nach § 29 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 BDSG grundsätzlich zulässig ist.
Allerdings ist mit dem BGH für die Frage der Zulässigkeit auf eine Würdigung im Zusammenhang mit der Bewertungsmöglichkeit und der Speicherung der Bewertungen abzustellen, weil nur die gemeinsame Verwendung der Daten den von der Beklagten verfolgten Zweck des Betreibens eines Arztempfehlungsportals erfüllt. Danach ist die Datenverarbeitung gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 BDSG zulässig, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Klägerin als Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung hat.
Der wertausfüllungsbedürftige Begriff des „schutzwürdigen Interesses“ verlangt nach der Rechtsprechung des BGH eine Abwägung des Interesses des Betroffenen (Arzt) an dem Schutz seiner Daten und des Stellenwerts, den die Offenlegung der Daten für ihn hat, mit den Interessen der Nutzer (Patient), für deren Zwecke die Speicherung erfolgt, unter Berücksichtigung der objektiven Wertordnung der Grundrechte. Im Streitfall hat dabei eine Abwägung zwischen dem Schutz des Rechtes der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG zu erfolgen.
Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass die Grundsätze, die der BGH in dem bereits erwähnten Urteil zu einem Lehrerbewertungsportal aufgestellt hat und auf die sich das LG im Rahmen seiner Abwägung stützt, bereits deshalb nicht herangezogen werden könnten, weil es sich vorliegend – anders als in der Entscheidung des BGH – nicht um ein geschlossenes Internetportal handelt.
Zwar trifft zu, dass der BGH bei der Überprüfung des Verhältnisses zwischen Rechtsgüterschutz und -beschränkung im Rahmen der von ihm vorgenommenen Abwägung auch darauf abgestellt hat, dass die dortige Beklagte durch die Registrierung der Nutzer den Zugriff auf Informationen über eine Lehrkraft einer bestimmten Schule beschränkt, die Registrierung die Kenntnis der Schule voraussetzt, Mehrfachregistrierungen mit derselben E-Mail-Adresse nicht möglich sind und die Daten weder über eine Suchmaschine noch über die Internetadresse nur mit Eingabe des Lehrernamens angerufen werden können. Dies ist hier insofern anders, als das Portal der Beklagten einschließlich der Bewertungen ohne jegliche Beschränkungen zugänglich ist und die Bewertungen zudem auch z.B. über Google aufrufbar sind.