Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Chancen der Telemedizin für O&U

Trotz dieses Strukturwandels muss unbedingt eine hochqualitative und auch wirtschaftliche Patientenversorgung sichergestellt sein. Mittlerweile wird seit knapp 30 Jahren bundesweit fachbereichsübergreifend sehr intensiv an diversen präklinischen Methoden in diesem Zusammenhang geforscht, um Ideen und Möglichkeiten zu entwickeln, den Fachärzte- und Notarztmangel in ländlichen Gebieten zu überbrücken bzw. um die damit einhergehenden Probleme durch elektronische Lösungen zu kompensieren.

Anfänge der Telemedizin in Regensburg: NOAH

Die präklinischen Versorgungslücken vor allem in Flächenstaaten können sehr gut durch Telematik-Lösungen geschlossen werden. Die Telemedizin ist hier ein adäquates Instrument, um in der Notfallversorgung Distanzen zu überwinden und wichtige Informationen schnell vom Unfallort ins Krankenhaus zu transportieren. Vor allem in akut lebensbedrohenden Situationen ist ein rascher, elektronischer Austausch von Informationen essenziell. Hier sind Schlaganfall- und Herzinfarktnetzwerke bereits weit vorangeschritten, doch auch die Traumatologie mit ihren schwerstverletzten Patienten ist abhängig von bestmöglichen präklinischen Strukturen, gestützt von praktikablen telemedizinischen Systemen, mit denen es möglich ist, Patienten vom Unfallort bis zur Einlieferung ins Krankenhaus optimal zu versorgen.

Am Universitätsklinikum Regensburg gab es bereits vor 20 Jahren erste Vorstöße, mit Telematik-Lösungen die Kommunikation zwischen Präklinik und Klinik zu optimieren. Hierbei wurde das Augenmerk vor allem auf die strukturierte, elektronische Informationsübermittlung vom Notarzt zum Krankenhaus gelegt. Im Projekt NOAH (Notfall-Organisations- und Arbeitshilfe) [8] werden Daten an der Einsatzstelle elektronisch erhoben, die dann wenige Sekunden später in übersichtlicher, strukturierter Form der Rettungsleitstelle bzw. der Zielklinik zur Verfügung stehen. In einem Feldversuch konnte die prinzipielle technische wie auch konzeptionelle Eignung des NOAH-Systems für eine verlustfreie Datenübertragung belegt werden. Für das Zielkrankenhaus ergab sich durch den Einsatz des NOAH-Systems ein Zeitgewinn von über 20 Minuten. Auch konnte belegt werden, dass sich die Quantität und vor allem die Qualität der übermittelten Information deutlich verbesserte [9].

Im Regensburger Projekt NOAH wurde erstmals die Machbarkeit eines derartigen Datenübertragungssystems für den Rettungsdienst nachgewiesen. Diese innovative Projektidee wurde anschließend aufgegriffen und weiterentwickelt bis hin zum Notfall-Informations-Dokumentations-Assistenten (NIDA) [18]. Dieser ist ähnlich einem Tablet konzipiert und für den mobilen Einsatz in der Präklinik bestimmt. Das System dokumentiert und überträgt verschiedene Daten eines Notfalleinsatzes oder Krankentransports in die Zielklinik, z.B. Patientendaten, Vitaldaten, logistische Daten und medizinische Maßnahmen. Das NIDA-Pad konnte 2014 im Rahmen des Projekts „Telematik II“ durch das Bayerische Rote Kreuz und das Bayerische Innenministerium landesweit in allen öffentlich-rechtlichen Rettungsfahrzeugen der Rettungsdienstbereiche implementiert werden und ist heute aus der täglichen präklinischen Arbeit nicht mehr wegzudenken, da es Zeit spart und Leben rettet. Das NIDA-Pad erleichtert die präklinische Arbeit, indem es den Datenfluss beschleunigt und strukturiert. Dadurch werden Prozesse vereinfacht und Kommunikationsfehler weitgehend eliminiert. Darüber hinaus ist eine exakte und lückenlose Dokumentation möglich, sodass der gesetzlichen Forderung durch das BayRDG nach Qualitätsmanagement und wissenschaftlicher Auswertung entsprochen wird [19].

Etablierung in der Präklinik: Telenotarzt

Heute haben sich derartige präklinische Konzepte, deren Grundfunktionen bereits vor einigen Jahren im Regensburger NOAH-Projekt erstmals auf grundsätzliche Machbarkeit hin getestet worden sind, flächendeckend ausgebreitet. Beispielsweise hat sich der Aachener Telenotarzt-Dienst [21] etabliert, der notärztliche Kompetenz sofort und überall verfügbar macht. Der Telenotarzt-Dienst unterstützt vor allem die Rettungsdienste bei der präklinischen Versorgung und begleitet Patiententransporte. Die Kommunikationseinheit des Telenotarzt-Dienstes ermöglicht sichere und zuverlässige Sprach- und Datenkommunikation via Mobilfunk (Audio, Video, Vitaldaten, Fotos). Diese Art und Weise der Übertragung vielfältiger, relevanter Informationen sorgt letztendlich für eine höhere Qualität in der Versorgung von Notfallpatienten, steigert die Effizienz im Einsatz rettungsdienstlicher Ressourcen und verbessert den nahtlosen Informationsfluss entlang der gesamten Rettungskette.

Auch das Konzept „Telenotarzt Bayern“, das im Rettungsdienstbezirk Straubing seinen Ursprung nahm, revolutioniert derzeit die moderne rettungsdienstliche Versorgung [22]. Der Fokus liegt bei diesem eHealth-Modell auf der Unterstützung des Rettungsdienstes am Unfallort, um das therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Notarztes an der Unfallstelle zu verringern. Dem Telenotarzt steht modernste Technologie zur Verfügung, ihm werden Bilddaten und medizinische Daten live durch den Rettungsdienst vor Ort übertragen, sodass er unmittelbar virtuell in die Versorgung eingebunden ist. Bei Eintreffen des Notarztes vor Ort wird an diesen übergeben.

In beiden genannten Telenotarzt-Projekten wird explizit Wert auf die Datensicherheit gelegt, sodass die personenbezogenen Patientendaten bestmöglich nach neuesten Standards geschützt sind. Der Patient profitiert von diesen Systemen enorm, da das therapiefreie Intervall via Telemedizin verkürzt wird, indem frühestmöglich notärztliche Kompetenz zum Patienten getragen wird.

Inner- und interklinische Kommunikation: Telekooperation TNW/TKmed

Neben dem telemedizinischen Fortschritt im Bereich präklinischer Versorgungsstrukturen sind auch Modifizierungen der Kommunikation in der inner- und interklinischen Kommunikation zur Verbesserung der Versorgungsqualität unerlässlich. Bei der Behandlung von Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten ist der Einsatz telemedizinischer Mittel bereits weit fortgeschritten. Aber auch in unserem Fachbereich, der Orthopädie und Unfallchirurgie, profitieren wir vor allem bei der Schwerverletztenversorgung und Notfallmedizin in lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren von einer effizienten teleradiologischen Vernetzung.

Bereits im Jahr 2009 gab es im TraumaNetzwerk Ostbayern (TNO), bestehend aus 25 zertifizierten Traumazentren unterschiedlicher Versorgungsstufen, erste Überlegungen zu teleradiologischer Bildübermittlung innerhalb des TNO. Das rurale Ostbayern ist im Vergleich zu den Ballungsräumen dünn besiedelt, sodass weite Distanzen zwischen den Kliniken zu überbrücken sind. Das TNO hatte mit dem Universitätsklinikum Regensburg (UKR) lediglich einen einzigen zentralen Maximalversorger. Bislang gab es zwar Insellösungen im Bereich der Telemedizin auf dem Markt, die jedoch nicht herstellerunabhängig eingesetzt werden konnten. Die Kliniken arbeiten mit unterschiedlichen „klinikweiten Informationssystemen“ (KIS), die nur unzureichend mit teleradiologischen Systemen anderer Hersteller kompatibel sind. Die Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg zeigte daher großes Interesse daran, zeitnah eine funktionierende, schnittstellenkompatible und vor allem herstellerunabhängige elektronische Telekommunikation im regionalen TraumaNetzwerk Ostbayern zu implementieren und begann während der Jahre 2010–2012, einen neuen, für die regionalen Bedürfnisse passenden Prototyp namens Exdicomed zu entwickeln. Das vielversprechende ostbayerische Projekt Exdicomed konnte durch das Programm „Leitprojekte Medizintechnik“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie (StMWi) in Kombination mit EFRE-Fördermitteln (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung in Bayern) realisiert werden. Dieses innovative Projekt, welches gängige Dateiformate (DICOM, JPG, PDF etc.) verarbeiten kann, wurde flexibel, sicher, herstellerunabhängig und schnittstellenkompatibel gestaltet. Es war damit für alle interessierten Kliniken und TraumaNetzwerke in technischer Hinsicht problemlos nutzbar. Das TNO mit seinen 25 Kliniken stand während der Testphase als Pilotnetzwerk zur Verfügung. Bereits während der 2-jährigen Projektentwicklungsphase am UKR gab es sehr positive Resonanzen seitens der Pilotklinik auf dieses neuartige System. Es wurden rundum positive Auswirkungen auf die Versorgungsqualität beobachtet.

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