Wissenschaft - OUP 02/2019
Das TarsaltunnelsyndromKompressionssyndrome am Fuß
Mathias Herwig, Jörg Jerosch
Zusammenfassung:
Die Diagnose eines Tarsaltunnelsyndroms ist weiterhin schwierig. Sie bedarf einer genauen
klinischen Untersuchung und kann durch elektrophysiologische und radiologische
Untersuchungen unterstützt werden. Die Klinik ist allerdings maßgebend.
Patienten mit einer Raumforderung oder deutlichen anatomischen Veränderungen können von
einer frühzeitigen OP profitieren. In unklaren Fällen sollte die konservative Therapie im Vordergrund stehen. Bei Therapieresistenz kann eine OP in Erwägung gezogen werden.
OP-Ergebnisse sind z.T. unbefriedigend und müssen im Aufklärungsgespräch mit dem
Patienten zur OP kritisch besprochen werden.
Schlüsselwörter:
Tarsaltunnel, N. tibialis, Nervenleitmessung, Nervenkompression Fuß,
Therapiealgorithmus Tarsaltunnelsyndrom
Zitierweise:
Herwig M, Jerosch J: Das Tarsaltunnelsyndrom.
OUP 2019. 8: 106–110
DOI 10.32387oup.2019.0106–0110
Summary: The diagnosis of a tarsal tunnel syndrome is still difficult. It requires a detailed clinical examination and can be supported by electrophysiological and radiological examinations. The clinic is however authoritative. Patients with a mass or significant anatomical changes may benefit from early surgery. In unclear cases, the
conservative therapy should be in the foreground. For resistance to therapy, surgery may be considered.
Operation results are sometimes unsatisfactory and must be discussed critically during the pre-operation
discussion with the patient.
Keywords: tarsal tunnel, tibial nerve, nerve conduction, nerve compression foot, therapy algorithm tarsal tunnel syndrome
Herwig M, Jerosch J: Tarsal tunnel syndrome.
OUP 2019. 8: 106–110 DOI 10.32387oup.2019.0106–0110
Johanna-Etienne-Krankenhaus Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin; Neuss
Einleitung
Das Tarsaltunnelsyndrom als Kompressionssyndrom des N. tibialis ist eine nur schwer zu diagnostizierende Pathologie am Fuß. In der Zusammenschau von Anamnese, Klinik und Diagnostik bleibt es weiterhin für den Therapeuten schwer, den richtigen Therapieweg für seinen Patienten zu finden.
Ziel dieses Artikels ist es, eine Übersicht über die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in Relation zur Literatur zu geben und Ihnen einen Therapiealgorithmus vorzuschlagen.
Als Ursache für neurogene Beschwerden am Fuß kommt eine Vielzahl an Differentialdiagnosen am Fuß in Betracht (Tab. 1). Zu den schwer diagnostizierbaren Pathologien in der orthopädischen Fußchirurgie zählt das Tarsaltunnelsyndrom. Dieses Kompressionssyndrom soll im Folgenden beleuchtet werden.
Zum ersten Mal wurde eine Schädigung des N. tibialis 1933 durch Pollock und Davis im Rahmen einer posttraumatischen Kompression beschrieben [16]. Eine weitere Beschreibung des Krankheitsbilds mit seinen Symptomen erfolgte durch Kopell und Thompson [11], der Begriff des Tarsaltunnelsyndroms allerdings wurde von Keck [9] und Lam [12] geprägt.
Beim Tarsaltunnelsyndrom handelt es sich um ein Engpasssyndrom des N. tibialis. Ähnlich zum Karpaltunnelsyndrom an der Hand kommt es hier zu einer Kompression des N. tibialis posterior oder einer seiner
Endäste nach Austritt aus dem Tarsaltunnel. Unspezifische Missempfindungen und Schmerzen des Fußes, meist einseitig, sind charakteristisch.
Anatomie
Der Tarsaltunnel ist ein osteofibröser Kanal. Durch diesen Kanal verlaufen die Sehnenscheiden des m. flexor digitorum longus, des m. flexor hallucis longus und des m. tibialis posterior sowie die Arteria und Vena tibialis und der N. tibialis posterior. Dieser teilt sich im Verlauf des Kanals in seine Endäste auf.
Der Kanal wird nach anterior durch die Tibia, nach lateral durch den proc. posterior tali und durch den proc. posterior calcanei sowie von medial durch das retinaculum flexorum begrenzt (Abb. 1).
Der N. tibialis posterior tritt in den Kanal ein und verzweigt sich in 93 % der Fälle innerhalb des Kanals in seine 3 Endäste (N. plantaris medialis, N. plantaris lateralis und N. calcanearis medialis) [6].
Der N. calcanearis medialis entspringt im posterioren Aspekt des N. tibialis posterior in etwa 75 % der Fälle und der N. plantaris lateralis in etwa 25 % der Fälle. Es handelt sich in 79 % der Fälle um einen einzelnen Endast und in 21 % um multiple Endäste [9]. Die calcanearen Äste entspringen in 39 % proximal des Tarsaltunnels, in 34 % innerhalb des Tarsaltunnels und in 16 % distal davon [6].
Anhand dieser anatomischen Beschreibung von Havel wird ersichtlich, dass der N. tibialis posterior an verschiedenen Stellen geschädigt werden kann und das Tarsaltunnelsyndrom unterschiedliche Symptome verursachen kann. Ist nur ein N. plantaris betroffen, spricht man von einem distalen Tarsaltunnelsyndrom.
Ätiologie
Die Ursache der klinischen Beschwerden liegt in einer Schädigung des Nervs oder seiner Aufzweigungen im Tarsaltunnel. Dies kann postoperativ, nach Trauma, durch Raumforderungen oder idiopathisch auftreten.
In 20 % der Fälle tritt das Tarsaltunnelsyndrom idiopathisch auf, in 80 %symptomatisch [3]. Am häufigsten mit 17–43 % treten die Beschwerden nach Trauma auf [14]. Die folgende Tabelle (Tab. 2) gibt eine Übersicht über die möglichen extrinsischen sowie intrinsischen Möglichkeiten der Schädigung des N. tibialis.
Klinik
Hauptsymptom betroffener Patienten sind meist brennende Schmerzen der Fußsohle und des medialen Fußrands. Je nach betroffenem Nervenast kann die Sensibilität unterschiedlich beeinträchtigt sein. Im Verlauf kann es zu Störungen der Hauttrophik und der motorischen Funktion kommen. So kann das aktive Abspreizen der Zehen eingeschränkt sein oder die Abduktion der Großzehen im Seitenvergleich abgeschwächt sein.