Übersichtsarbeiten - OUP 12/2017

Das Wesen der Osteomyelitis – die „duale Entität“*
Vorschlag für eine alternative Klassifikation der OsteomyelitisProposal for an alternative classification of osteomyelitis

Die antibiotische Behandlung hängt ab von der Anflutung des korrekten Wirkstoffs in ausreichender Konzentration und Dauer im befallenen Gewebsareal (sowohl Knochen als auch Weichgewebe). Speziell diese Faktoren werden durch 2 Charakteristika muskuloskelettaler Infektionen signifikant beeinflusst:

  • die Biofilmbildung
  • die muskuloskelettalen Infektionen als duale Entität

Biofilm

Ursprünglich in meeresbiologischen Studien entdeckt, ist das Phänomen der Biofilmbildung durch Erreger, welche muskuloskelettale Infektionen hervorrufen können, seit langem bekannt [3, 4]. Die Biofilmbildung führt dazu, dass diese Erreger durch die im Rahmen der Infektions-Behandlung applizierte Antibiotika nur unzureichend, schlimmstenfalls gar nicht erreicht werden können. Aktuelle Arbeiten belegen beispielsweise, dass posttraumatisch applizierte Antibiotika nach einem Zeitintervall von 12–24 Stunden inzwischen metabolisch inaktiv gewordene Bakterien in einem Biofilm nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erreichen [13]. Demnach ist die frühestmögliche Applikation von Antibiotika – möglichst innerhalb eines Zeitraums von 12–24 Stunden – extrem wichtig [9, 17]. Es entsteht also in vivo eine hohe Resistenz gegenüber den eingesetzten Chemotherapeutika. Dieses kann zur Chronifizierung der Erkrankung führen [11]. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade Staphylococcus aureus und Staphylococcus epidermidis, welche auch heute noch als häufigste Erreger muskuloskelettaler Infektionen gelten, diese Fähigkeit besitzen [11]. Die Überwindung dieser Barriere steht im Zentrum der aktuellen Forschung. Hierbei spielt die Entwicklung moderner antimikrobieller Ansätze eine Rolle, ebenso wie neue, infektresistente Biomaterialien [1].

Die Häufigkeit von Biofilmen bei Infektionen in der Orthopädie und Unfallchirurgie kann, basierend auf der aktuellen Literatur, nicht sicher eingeschätzt werden [13].

Der Nachweis von Biofilmen in vivo ist mit herkömmlichen Methoden (mikrobiologische Untersuchung mithilfe einer Agarplatte) nicht möglich. Moderne Verfahren, wie der PCR-Test (Polymerase chain reaction test) können bakterielle DNA nachweisen und ermöglichen auch bei bereits laufender Antibiotikatherapie eine Keimidentifikation [13]. Eine Differenzierung zwischen vitalen und avitalen Erregern oder regulärer Hautflora ist nicht möglich [13].

Ein vielversprechender neuer Ansatz ist die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Arbeiten von Palmer konnten zeigen, dass mit dieser Methode neben kulturell nicht nachweisbaren Erregern auch eine Einschätzung über ihre Mengenverteilung, ihre Vitalität und ihre Lokalisation in situ möglich ist [10, 12].

Der muskuloskelettalen
Infekt als duale Entität

Die Interaktion der infektverursachenden Erreger, allen voran Staphylokokken, mit dem Zielorgan der muskuloskelettalen Infektionen (Knochengewebe und umgebendes Weichgewebe) ist für das Verständnis der Erkrankung und die sich daraus ergebenden Vorgaben für ihre Erkrankung ebenso wichtig wie ihre oben angesprochene Fähigkeit zur Biofilmbildung. Über eine Vielzahl von biomechanischen Mechanismen führt der Erregerkontakt am Knochen und dem umgebenden Weichgewebe zu einer unterschiedlich stark ausgeprägten lokalen Entzündungsreaktion („-itis“), gleichzeitig kommt es zu einer Zerstörung der Knochenmatrix und der Hawers’schen Kanäle. Dieses führt zu einer progredienten Knochennekrose, die in der Bildung ausgedehnter avitaler Knochenareale sowie Sequester münden kann (Osteonekrose) [7, 8]. In Analogie zu den keiminduzierten morphologischen Veränderungen am Knochen treten diese auch an den Weichgeweben auf [6].

Weil regelhaft bei der histopathologischen Analyse muskuloskelettaler Infektionen das Nebeneinander von entzündlichen Veränderungen mit vitalem (Knochen-) Gewebe einerseits und andererseits avitale Gewebsareale sowohl in den Weichteilen als auch am Knochen nachweisbar ist, schlagen wir vor, die muskuloskelettalen Infektionen zukünftig als eine duale Entität zu definieren. Dabei spielt neben dem oben beschriebenen Nebeneinander von Entzündung und Nekrose der Nekrosegrad im Sinne des Nekrose-Anteils eine entscheidende Rolle. Insofern ist es sinnvoll, die Unterteilung im Sinne einer nekrotischen versus non-nekrotischen-Osteomyelitis weiterzuführen. Wesentlich ist es in diesem Kontext zu bemerken, dass histopathologische Diagnosen mit Aussagen zu Quantitäten von pathologischen Veränderungen eine Repräsentativität des Materials voraussetzten, somit sollte genügend Material aus unterschiedlichen Lokalisationen zur histopathologischen Begutachtung vorliegen.

Klassifikationskriterien der HOES-Klassifikation

Mit dem Ziel einer standardisierten Betrachtung der histopathologischen Aufarbeitung im Rahmen der Diagnostik bei muskuloskelettalen Infektionen, speziell mit Blick auf das Vorkommen und die Intensität von nekrotischen Veränderungen, wurde durch Tiemann und Krenn im Jahr 2014 der „histopathological osteomyelitis evaluation score“ (HOES) entwickelt [14].

Die zentralen Klassifikationskriterien der HOES-Klassifikation basieren auf einer Diagnostik von nekrotischen und nicht-nekrotischen Gewebeveränderungen. Die ersten beiden histopathologischen Klassifikationskriterien, A1 (Osteo-necrosis) und A2 (soft tissue-necrosis) bewerten in einer für die histopathologische Diagnostik üblichen semiquantitativen, abgestuften Weise (nicht vorhanden, leichtgradig, mäßiggradig und schwergradig) die Nekrosen-Ausbildung in Knochengewebe und in fibrösen Geweben (Abb. 1, 2).

Es wird empfohlen, im histopathologischen Befund auch einen Flächenanteil/den relativen Flächenanteil dieser Nekrosenbildung zu bewerten und als Prozentsatz anzugeben. Das Kriterium A3 bezieht sich auf den Anteil von neutrophilen Granulozyten, welcher zumeist Ausdruck einer Keimpräsenz, aber auch Ausdruck einer frischen Nekrosenbildung ist. Die Kriterien C1 (Bone neogenesis/fibrosis) und C2 (Lymphocyte/macrophage infiltrate) bewerten reparative Umbauvorgänge und entzündliche Infiltrationen ohne Nachweis von nekrotischen Gewebsabschnitten. Zu fordern wäre, dass auf Basis dieser HOES-Klassifikation die therapeutische Konsequenz erwächst, ob durch das Vorliegen von Nekrosen eine chirurgische Therapie erforderlich ist und durch das Vorliegen von nicht nekrotischen, reparativen Gewebeveränderungen eine antibiotische und somit nicht chirurgische Therapie. Kritisch ist für die Aussagekraft von histopathologischen Diagnosen die Repräsentativität von Gewebeproben, insbesondere bei heterogen ausgebildeten Läsionen, wie beispielsweise bei Osteomyelitiden. Somit sollten die Proben aus unterschiedlichen Lokalisationen entnommen werden, im Idealfall unter Berücksichtigung der bildgebenden Befunde; ein Prinzip, welches beispielsweise für die Tumordiagnostik einen notwendigen Qualitätsstandard darstellt.

Dualität von Osteomyelitiden

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