Originalarbeiten - OUP 03/2012
Der kindliche idiopathische KlumpfußThe idiopathic clubfoot
T. K. Lichtinger1, K. Mladenov2, C. v. Schulze Pellengahr1, L. V. v. Engelhardt1, W. Teske1
Zusammenfassung: Der idiopathische (angeborene) Klumpfuß ist eine häufige orthopädische Erkrankung des Kindes. In den letzten Jahren hat sich das therapeutische Konzept von aufwendigen Operationen zu wenig invasiven Methoden hinentwickelt. Aktuell setzt sich das weitgehend konservative Vorgehen nach Ponseti vielerorts durch. Bei frühzeitiger Redressionsbehandlung und fein abgestimmter operativer Therapie mit konsequenter Nachbehandlung können meist sehr gute und gute Ergebnisse erzielt werden. Restdeformitäten und Rezidive kommen vor und erfordern eine entsprechende konservative und operative Behandlung.
Schlüsselwörter: Klumpfuß, Diagnose, Therapie, Ergebnisse
Abstract: The idiopathic clubfoot is a common orthopaedic disease of the infantile foot. Recently the management of the idiopathic clubfoot changed. Extensive release surgery was the gold standard a few years ago whereas nowadays the nonsurgical approach of Ponseti is the treatment of choice in most cases. Early gentle manipulations, stepwise casting and well planned surgery are necessary to achieve good and excellent results. In addition relapses and residual deformities need still adequate conservative and surgical treatment.
Keywords: clubfoot, diagnosis, therapy, results
Der angeborene Klumpfuß (Abb.1) ist die zweithäufigste orthopädische Erkrankung bei Neugeborenen und die bedeutendste kinderorthopädische Fußdeformität. Er ist von den sekundären Klumpfüßen, wie sie bei neuromuskulären Erkrankungen und Syndromen vorkommen, abzugrenzen. In Mitteleuropa liegt die Häufigkeit des idiopathischen Klumpfußes bei 1–2 Fällen pro 1000 Geburten, so dass man bei knapp 700000 Geburten in Deutschland von ungefähr 1000 neuen Fällen pro Jahr ausgehen kann. Jungen sind doppelt so oft betroffen wie Mädchen. Eine beidseitige Klumpfußdeformität ist nicht selten. Da bei Kindern mit Klumpfüßen überdurchschnittlich häufig eine Hüftgelenkdysplasie vorliegt, sollte grundsätzlich zeitnah auch eine Hüftsonographie durchgeführt werden.
Die Ätiologie ist bis heute nicht eindeutig geklärt und man geht von einer multifaktoriellen Genese aus. Diskutiert werden unter anderem eine genetisch bedingte pathologische Kollagensynthese, eine primäre kartilaginäre Fehlanlage, mechanische Einflüsse im Uterus, neuromuskuläre Störungen sowie Umweltfaktoren [1].
Pathoanatomisch handelt es sich um eine Fehlrotation von Os calcaneus, Os cuboideum und Os naviculare in
medioplantarer Richtung um den Talus herum. Der Talus ist im Vergleich zu Kalkaneus, Navikulare und Kuboid stärker deformiert. Der Kalkaneus ist in erster Linie nach innen rotiert und die Achsen von Talus und Kalkaneus können dadurch parallel zu liegen kommen. Das Navikulare kann bis zum Innenknöchel nach innen um den Taluskopf gedreht sein. Das Kuboid ist ebenfalls nach innen rotiert. Die Weichteile am medialen Fußrand sind verdickt und verkürzt. Histologisch finden sich hier Fibrosierungen. Achillessehne, Tibialis posterior- Sehne und Zehenbeuger sind zum Teil ganz erheblich verkürzt und kontrakt.
Inzwischen ist eine pränatale Ultraschalldiagnostik des Klumpfußes in der 11. bis 18. Lebenswoche möglich. Entscheidend ist jedoch die klinische Untersuchung des Neugeborenen. Der Rückfuß steht in Spitzfuß und in Varusposition. Der Vorfuß ist in vermehrter Supination und Adduktion. Durch die Plantarstellung des ersten Zehenstrahls entsteht eine Hohlfußkomponente. Zusätzlich findet man eine dorsoplantare mediale Hautfalte und eine typischerweise hypotrophierte Wadenmuskulatur („Klumpfußwade“). Die verkürzte Achillessehne lässt sich meist gut als derber Strang tasten.
Die Einteilung nach Schwergraden erfolgt anhand des klinischen Befundes. Es gibt verschiedene allgemein anerkannte Einteilungssysteme. Häufig wird das praxisnahe System nach Dimeglio et al. [2] verwendet. Hierbei wird zwischen benigner (soft-soft), moderater (soft-stiff), schwerer (stiff-soft) und sehr schwerer (stiff-stiff) Ausprägung des Krankeitsbildes anhand eines Punktesystems unterschieden.
Röntgenaufnahmen sollten wegen des verzögerten Auftretens der Knochenkerne erst ab dem dritten bis vierten Lebensmonat angefertigt werden. Als standardisierte Aufnahme empfiehlt sich die Einstelltechnik nach Simons [3]. Der Fuß wird a.-p. unter Belastung in einem Winkel von 30° zur Vertikalen und seitlich mit Brettchenunterlage in maximaler Dorsalextension geröntgt. Der talokalkaneare Winkel ist reduziert oder aufgehoben (Normalwerte: seitlich 30–50°, a.-p. 20–40°). Die Sonographie ist in geübten Händen eine gute Methode zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung [4], hat sich aber bisher nicht allgemein durchgesetzt. Die Kernspintomographie und die Computertomographie sind im Rahmen der üblichen Diagnostik nicht erforderlich und bleiben speziellen Fragestellungen vorbehalten.
Die Therapie stützt sich grundsätzlich auf die drei Säulen: Gipsredression, Schienenversorgung mit Physiotherapie und die operativen Maßnahmen. Es hat sich bewährt, das Therapieverfahren anhand des Schweregrades des Klumpfußes auszuwählen.
Konservative Therapie
Der Typ 1 (soft-soft) entspricht der Klumpfußhaltung, die in der Regel sehr gut mit elastischer Bandagierung, Physiotherapie, Schienen und Gipsen behandelt werden kann.
Alle anderen Typen (Typ 2 bis 4) benötigen Etappengipse. Optimal ist ein früher Therapiebeginn in der ersten Lebenswoche. In der Regel ist mit ein- bis zweimaligen Gipswechseln pro Woche innerhalb eines Monats eine schrittweise Redression zu erreichen. Der Typ 2 (soft-stiff) lässt sich leichter redressieren als der pathologischere Typ 3 (stiff-soft). Beim sehr rigiden Typ 4 (stiff-stiff) sind die Redressionserfolge geringer, worauf auch schon die synonyme Bezeichnung „pseudoagrypotischer Klumpfuß“ hinweist.
Bewährt haben sich Oberschenkelgipse die zweizeitig angelegt werden, indem zuerst der Unterschenkelteil und anschließend der Oberschenkelteil angelegt wird (Abb 2). Bei den Redressionsmanövern setzt sich zunehmend die Technik nach Ponseti durch, bei der das untere Sprungelenk um den fixierten Taluskopf rotiert wird (Abb. 3). Erst nachdem die Mittel und Rückfußkomponenten korrigiert sind, kann mit der Spitzfußkorrektur begonnen werden. Die Spitzfußkorrektur muss dosiert erfolgen. Andernfalls kann sich eine iatrogene „Tintenlöscher“ (Rocker-Bottom) Fußdeformität einstellen, da das Fersenbein in diesem Alter noch nachgiebiger ist als die Achillessehne. Meist ist deshalb als kleiner Eingriff eine Durchtrennung der Achillessehne notwendig (s. auch unter Operative Therapie).