Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017
Der Spätinfekt in der Kniegelenkendoprothetik Diagnostik und TherapieDiagnosis and therapy
Christoph Ihle1, Christian Arnscheidt1, Anna Schreiner1, Ulrich Stöckle1, Ingo Flesch1
Zusammenfassung: Die periprothetische Kniegelenkinfektion zählt zu den gravierendsten Komplikationen in der Endoprothetik. Ihr Auftreten kann neben einer massiven Einschränkung der Lebensqualität, einen Funktionsverlust der Extremität bis hin zur Oberschenkelamputation bewirken. Das richtige und zeitgerechte Management beinhaltet jedoch die Chance, dass in der Mehrzahl der Fälle eine dauerhafte Infektionsfreiheit erreicht werden kann. Hier steht dem Chirurgen das gesamte Spektrum der septischen Chirurgie zur Verfügung. Schlussendlich ist dies jedoch nur über ein interdisziplinäres Zusammenspiel von Chirurgie, Mikrobiologie, Pathologie, Physiotherapie und Pflege möglich. Der vorliegende Übersichtsartikel gibt einen Überblick zur den diagnostischen und therapeutischen Fortschritten bei der periprothetischen Spätinfektion bei einliegender Kniegelenkendoprothese.
Schlüsselwörter: Knieprotheseninfektion; Spätinfekt
Zitierweise
Ihle C, Arnscheidt C, Schreiner A, Stöckle U, Flesch: Der Spätinfekt in der Kniegelenkendoprothetik. Diagnostik und Therapie.
OUP 2017; 9: 432–436 DOI 10.3238/oup.2017.0432–0436
Summary: The periprosthetic infection is one of the most devastating complications after knee arthroplasty. It can lead to reduced quality of life, loss of knee function and even to lower limb amputation. With an adequate and case-specific treatment, the majority of these periprosthetic infections can be controlled and successfully treated. Successful treatment of periprosthetic infections request an interdisciplinary communication and interaction between surgeons, microbiologists, pathologists, physiotherapist and nursing staff. The present review article summarizes novel strategies and innovations in the diagnosis and therapy of late-onset periprosthetic knee infections.
Keywords: periprosthetic knee joint infection, late-onset infection
Citation
Ihle C, Arnscheidt C, Schreiner A, Stöckle U, Flesch: Late-onset infections after total knee arthroplasty. Diagnosis and therapy.
OUP 2017; 9: 432–436 DOI 10.3238/oup.2017.0432–0436
Einleitung
Im Rahmen des demografischen Wandels mit stetig steigenden Zahlen im Bereich der endoprothetischen Versorgung des Kniegelenks steht die Diagnostik und Therapie der Früh- sowie Spätinfektion bei einliegender Kniegelenkendoprothese als eine der nach wie vor relevanten endoprothetischen Komplikationen weiterhin im Blickpunkt des allgemeinen Interesses [8]. Die Relevanz eines standardisierten Algorithmus in der Diagnostik und Therapie periprothetischer Infektionen wurde jüngst mit einer Übersichtsarbeit als Leitthema im Deutschen Ärzteblatt unterstrichen [4]. Mit einer Inzidenz von < 2 % liegt der Infekt der Kniegelenkendoprothese vor der deutlich seltener vorkommenden Infektion der Hüftprothese (< 1 %). Im Bereich der Revisions- sowie Tumorendoprothetik sind Inzidenzen bis zu 15 % beschrieben [7]. Neben der Art und Lokalisation der Prothese spielen Patienten-assoziierte Faktoren eine entscheidende Rolle für das Auftreten einer Infektion, z.B. das Patientenalter, das Vorhandensein von chronischen Nebenerkrankungen (Nieren- und Leberinsuffizienz, Erkrankung des rheumatischen Formenkreises, Immunsuppression, Diabetes mellitus, Übergewicht sowie Nikotin- und Alkoholabusus), die Operationsindikation (Notfall-, Elektiv- oder Revisionsoperation), sowie die chronische Kolonisierung der Patienten mit multiresistenten Keimen. Die Unterteilung der periprothetischen Infektion in Früh- und Spätinfektion orientiert sich dabei am primären Auftreten der ersten Infektionssymptome. Es ist zu beobachten, dass der Frühinfekt in der Regel ein anderes Keimspektrum vorweist, als der Spätinfekt. Das Keimspektrum bei Spätinfekten setzt sich hauptsächlich aus koagulase-negativen Staphylokokken zusammen, aber auch aus gram-negativen Stäbchen. Charakteristikum der Keime bei Spätinfekten ist die Fähigkeit der Biofilmbildung. Im Gegensatz zum Frühinfekt ist die Biofilmbildung beim Spätinfekt bereits als geschlossen anzusehen. Die Grenze, wann ein Frühinfekt endet, liegt bei 3 Wochen und hat sich innerhalb der letzten Jahre zunehmend nach vorne verschoben. Während der Frühinfekt klinisch durch akute Entzündungszeichen charakterisiert ist, bietet der Spätinfekt das Bild einer chronischen Inflammation mit persistierendem Gelenkerguss, Kapselverdickung, Synovialitis, und Belastungsschmerzen. Die folgende Arbeit soll anhand von aktuellen Leitlinien sowie Expertenmeinungen eine Übersicht über diagnostische Möglichkeiten sowie Strategien zur Behandlung der Spätinfektion im Bereich der Kniegelenkendoprothetik geben.
Klinisches Bild
und Diagnostik
Der chronische Belastungsschmerz und die häufig subklinische Beschwerdesymptomatik mit chronischer Kapselverdickung und Ergussbildung sind das Leitsymptom der Spätinfektion bei einliegender Kniegelenkendoprothese. Klassische, akute Infektzeichen wie Rötung, Schwellung, akuter und starker Schmerz mit deutlich eingeschränkter Funktionsfähigkeit werden häufig verneint und sind vorwiegend dem Frühinfekt zuzuordnen. Zu beachten ist jedoch der hämatogen gestreute Sekundärinfek z.B. im Rahmen einer Urospesis, bei dem ebenfalls akute Zeichen einer Gelenkinfektion bei vorangegangener Beschwerdefreiheit auftreten können. Als Major-Kriterium einer Spätinfektion kann die Ausbildung einer chronischen Gelenkfistel mit ggf. eitriger Sekretion und Keimnachweis gewertet werden. Die chronische Schmerzhaftigkeit des Gelenks kann mit einer in der Bildgebung eruierbaren Implantatlockerung, bzw. einem Implantatversagen einhergehen. Das Vorhandensein von Eiter, der nachweislich in Kontakt mit der Endoprothese steht, wird ebenfalls als beweisend für eine Infektion angesehen [3] (Abb. 1).
Laborchemische Untersuchung
Während beim Frühinfekt typischerweise eine starke Erhöhung der Entzündungsparameter im Labor zu beobachten ist, sind diese beim Spätinfekt allenfalls gering erhöht. Empfohlen wird die Bestimmung von BSG, CRP sowie Leukozyten, wobei kein Laborparameter eine ausreichende Sensitivität bzw. Spezifität aufweist, einen periprothetischen Infekt eigenständig nachzuweisen [2, 5]. Auch beim Frühinfekt zeigt sich weder der absolute CRP-Wert, noch der CRP-Verlauf über die ersten 5 Tage nach der operativen Versorgung als prädiktiver Marker zur Diagnostik [9]. Normale Leukozytenzahlen und ein normaler CRP-Wert schließen einen chronischen periprothetischen Infekt daher ebenfalls nicht aus, sind als Monitoring Parameter über längere Behandlungsverläufe jedoch zu empfehlen.