Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017
Der Spätinfekt in der Kniegelenkendoprothetik Diagnostik und TherapieDiagnosis and therapy
Biomarker rücken in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der weiterführenden Diagnostik. Einen besonderen Stellenwert nimmt hier das Alpha-Defensin im Gelenkpunktat ein. Eine pathologische Erhöhung kann, neben erhöhten Leukozytenzahlen, sowie einer starken Erhöhung der Leukozyten-Diesterase als richtungsweisend für einen chronischen periprothetischen Infekt gewertet werden. Insbesondere die Zellzahlbestimmung in der Gelenkflüssigkeit mit Nachweis einer Leukozyten-Diesterase eröffnet die Möglichkeit einer notfallmäßigen Schnelldiagnostik.
Bildgebende Verfahren
Bei Verdacht auf einen Spätinfekt ist die Durchführung konventioneller Röntgenaufnahmen des betroffenen Kniegelenks in 2 Ebenen mit Ganzbeinstandaufnahme obligatorisch. Radiologische Hinweise auf das Vorliegen einer chronischen Infektion sind dabei periprothetische Lockerungssäume, zystische und lytische Veränderungen sowie periartikuläre Verkalkungen. Des weiteren können konkurrierende Ursachen der Beschwerden ausgeschlossen werden. Die Computer- und MR-Tomografie können ebenfalls ergänzende Informationen liefern, so kann in Kombination mit einer Fistulografie der Verlauf einer Gelenkfistel bildlich dargestellt werden. Aufgrund der Artefaktbildung bei einliegender Kniegelenkendoprothese ist deren diagnostischer Einsatz jedoch individuell abzuwägen bzw. die CT mit Metallartefaktsupprimierung durchzuführen. Mittels moderner bildgebender Verfahren kann die Anreicherung granulozytärer Zellen visualisiert werden. Aufgrund einer geringen Spezifität sollten jedoch PET sowie die Skelettszintigrafie nur bei speziellen Indikationen Verwendung finden (Abb. 2).
Histologische und mikrobiologische Diagnostik
Die Entnahme von mikrobiologischen Abstrichen und Gewebeproben zum kulturellen Keimnachweis sollte im Rahmen von Knieprothesenausbau- bzw. Wechseloperationen erfolgen. Die Histologie ist ein wichtiger Bestandteil bei der oft schwierigen und unsicheren Diagnostik der periprothetischen Infektion. Hierbei sollten 3–6 Gewebeproben aus Bereichen mit höhergradigem Infektverdacht entnommen werden, wobei die Chance auf positive Kulturen mit der Anzahl der gewonnenen Biopsien steigt. Gewebeproben aus der periimplantären Membran geben histomorphologisch Aufschluss über die jeweilige Gelenkpathologie: Die Neo-Synovialitis zeigt den Abrieb-induzierten Typ (Typ I), den Infektionstyp (Typ II), den Mischtyp (Typ III) und den Interferenztyp (Typ IV). Des weiteren können auch Arthrofibrosen histophathologisch graduiert werden. Die Histomorphologie des Knochens kann bei lang andauernder Infektion das Bild einer chronischen Osteomyelitis aufweisen [1].
Wichtig sind der adäquate Transport und die schnelle Prozessierung im mikrobiologischen Labor. Es sollte beachtet werden, dass ein gewonnener Abstrich aus einer Fistel aufgrund hoher Kontamination mit Hautflora allenfalls als Screeningverfahren und zum Ausschluss multiresistenter Keime Verwendung finden sollte, nicht jedoch um eine antibiotische Therapie einzuleiten.
Flüssigkeiten, die über die Kniegelenkpunktion gewonnen wurden, können in Blutkulturflaschen transportiert werden. Es ist zu beachten, dass die Kniegelenkpunktion unter streng aseptischen Bedingungen erfolgen muss. Vorab ist es notwendig, die Haut mit einer spitzen Skalpellklinge allschichtig zu perforieren, um einer Kontamination mit der Hautflora vorzubeugen. Durch die Sonikation (Ultraschallbehandlung) der Explantate im Rahmen der Wechseloperation kann der beim chronischen Infekt als geschlossen anzusehende Biofilm von der Kniegelenkprothese abgelöst und ebenfalls mikrobiologisch untersucht werden. Hierdurch kann die Quote der positiven Kultur-Ergebnisse deutlich erhöht werden. Eine Bebrütungszeit von 14 Tagen ist zu empfehlen, wobei bei prolongierter Bebrütung auch die Kontaminationshäufigkeit zunimmt und dies bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden muss.
Behandlungsalgorithmus
Die Therapie der chronischen Knieprotheseninfektion orientiert sich insbesondere am Patienten selbst, dessen Anspruch an Funktionsfähigkeit und Behandlungsergebnis, Begleiterkrankungen sowie dem operativen Risikoprofil, sie muss daher individuell mit dem Patienten besprochen und auf seine Bedürfnisse hin abgestimmt werden. Im Rahmen der Behandlung steht dem behandelnden Chirurgen von einer alleinigen Antibiotikatherapie über die septische Kniegelenkarthrodese bis hin zur Oberschenkelamputation das gesamte Spektrum der septischen Chirurgie zur Verfügung.
Im Gegensatz zur akuten Infektion, wo bei gut behandelbaren Erregern und fest sitzender Kniegelenkprothese ein prothesenerhaltender Therapieversuch möglich ist, erfolgt beim chronischen Spätinfekt zur Sanierung der Infektion in der Regel der Prothesenausbau, bzw. Wechsel. Dieser kann ein- oder zweizeitig erfolgen. Reine Palliativmaßnahmen, wie eine alleinige antibiotische Therapie sowie ein isoliertes Débridement mit Synovialektomie und Einlage einer Dauer-Drainage können beim entsprechenden Patienten (Hochrisikopatient, fortgeschrittenes Patientenalter) ebenfalls eine Therapiemöglichkeit darstellen und sollten individuell abgewogen werden.
Die eher selten indizierte primäre Wechseloperation sollte beim Spätinfekt nur bei bekanntem Erreger und klinisch guter Weichteilsituation Anwendung finden. Grundsätzlich hängt der Erfolg der Therapie vornehmlich von der Radikalität des Debridements ab. Zu beachten ist, dass potenziell infizierte Knochenareale sowie Knochenzement aufgrund des hohen Rezidivrisikos vollständig entfernt werden müssen und in keinem Fall belassen werden dürfen. Beim zweizeitigen Prothesenwechsel ist zur Überbrückung ein entsprechendes Totraum- und Weichteilmanagement essenziell [3]. Hier können artikulierende Antibiotikaspacer Anwendung finden. Die Gleitfähigkeit des Gewebes als auch die Weichteilspannung nach Entfernung der Kniegelenkprothese können somit erhalten werden. Die Wirksamkeit der hohen lokalen Antibiotikadosen ist dabei jedoch noch nicht abschließend wissenschaftlich untersucht. Verwendung finden in der Regel konfektionierte Antibiotikaspacer und PMMA Zemente mit Gentamycin, Vancomycin und Clindamycin. Über jede andere Antibiotikabeischmischung muss der Patient vorab explizit aufgeklärt werden, zudem muss die juristisch als Off-label-use gewertet werden. Ebenfalls ist zu bedenken, dass der eingebrachte antibiotikabeladene Platzhalter nach Antibiotikafreisetzung selbst als Infektfremdkörper fungieren kann. Abhängig vom Erregerspektrum, der Knochensubstanz sowie der Weichteilsituation, kann der Prothesenwiedereinbau entweder bereits 2–3 Wochen nach dem Prothesenausbau unter laufender antibiotischer Therapie erfolgen, oder verzögert nach bis zu 2–3 Monaten [6]. Die Luxationsgefahr eines vorkonfektionierten oder „handmade“ Spacers aus Antibiotika-PMMA-Zement ist nach Knieprothesenausbau im Vergleich zur Hüftgelenkendoprothetik als eher gering einzuschätzen. Als Ursache zeigt sich häufig eine ungenügende Weichteilspannung. Ein luxierter Spacer sollte, falls notwendig, operativ reponiert werden, da ein luxierter Platzhalter die Weichteilspannung erhöht und den operativen Wiedereinbau somit deutlich erschwert. Bei zweitzeitigem Eingriff mit mehrwöchigem prothesenfreien Intervall ist eine nochmalige Labor- sowie mikrobiologische Diagnostik vor erneuter Implantation der Kniegelenkendoprothese empfohlen. Hier ist neben einer erneuten offenen Revision, auch die Kniegelenkpunktion möglich. Die Mobilisierung nach einzeitigem- bzw. zweizeitigem Prothesenwechsel muss individuell bewertet werden und reicht von Bettruhe über Entlastung im Rollstuhl bis hin zur Mobilisierung mit Teilbelastung, wobei eine Teilbelastung im Sinne eines Sohlenkontakts zur frühzeitigen Re-Mobilisierung angestrebt werden sollte.