Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Die gefäßbedingte Claudicatio an Armen und Beinen
Ein buntes Potpourri an Differenzialdiagnosen

Karin Pfister, Kyriakos Oikonomou, Peter Heiß, Birgit Linnemann, Wilma Schierling

Zusammenfassung:
Die gefäßbedingte Claudicatio ist eine unterschätzte Manifestation der peripher arteriellen Verschlusskrankheit und Ausdruck einer generalisierten Atherosklerose. Sie ist typischerweise belastungsabhängig und sistiert in Ruhe. Vor allem bei jüngeren Patienten und atypischen Beschwerden müssen Differenzialdiagnosen wie Kompressionssyndrome, Aneurysmen, Adventitiadegeneration und Vaskulitis beachtet werden. Entscheidend sind die medikamentöse Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren, das Gehtraining sowie die Nikotinkarenz. Invasive Maßnahmen zur Rekonstruktion der Strombahn werden sowohl offen wie interventionell interdisziplinär indiziert. Eine lebenslange Nachsorge ist erforderlich. Neue Therapiestrategien wie die Kombinationstherapie aus ASS 100 mg und Rivaroxaban 2 x 2,5 mg täglich sind zu berücksichtigen.

Schlüsselwörter:
Intermittierende Claudicatio, Belastungsabhängigkeit, COMPASS Regime, interdisziplinär, best-medical-treatment, Gehtraining, neue Therapiestrategien

Zitierweise:
Pfister K, Oikonomou K, Heiß P, Linnemann B, Schierling W: Die gefäßbedingte Claudicatio an Armen und Beinen. Ein buntes Potpourri an Differenzialdiagnosen.
OUP 2021; 10: 214–220
DOI 10.3238/oup.2021.0214–0220

Summary: Vascular claudication is an underdiagnosed manifestation of peripheral arterial disease and an expression of generalized atherosclerosis. It generally occurs after a predective level of exercise and stops by rest. Especially in younger patients with atypical symptoms, differential diagnoses such as compression syndromes, aneurysms, adventitia degeneration and vasculitis should be kept in mind. Best medical treatment of cardiovascular risk factors, exercise training, and nicotine abstinence are crucial. Interventional or surgical therapy has to be discussed in a interdisciplinary team. Lifelong follow-up is required. New therapeutic strategies such as combination therapy of ASA 100 mg and rivaroxaban 2 x 2.5 mg daily should be considered.

Keywords: intermittent claudication, exercise training, COMPASS regimen, interdisciplinary approach, best medical treatment

Citation: Pfister K, Oikonomou K, Heiß P, Linnemann B, Schierling W: Vascular claudication of upper and lower extremity. A wide range of differential diagnoses. OUP 2021; 10: 214–220. DOI 10.3238/oup.2021.0214–0220

Karin Pfister, Kyriakos Oikonomou, Wilma Schierling: Universitäres Gefäßzentrum Ostbayern des Universitätsklinikums Regensburg (UKR), Abteilung für Gefäßchirurgie

Peter Heiß: Universitäres Gefäßzentrum Ostbayern des Universitätsklinikums Regensburg (UKR), Institut für Röntgendiagnostik

Birgit Linnemann: Universitäres Gefäßzentrum Ostbayern des Universitätsklinikums Regensburg (UKR), Bereich Angiologie

Die gefäßbedingte intermittierende Claudicatio (IC) lässt sich als Ischämieschmerz erklären bei durch körperliche Belastung zunehmende Minderperfusion abhängiger Muskelgruppen. Am häufigsten ist die IC Ausdruck einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) der unteren Extremitäten und wird mit dem Stadium II nach Fontaine oder Rutherford Grad I oder Kategorie 1–3 beschrieben (Tab. 1). In den meisten Fällen liegt eine generalisierte Atherosklerose zugrunde, die sich an unterschiedlichen Organsystemen manifestieren kann. Zu den Hauptmanifestationen gehören neben der pAVK auch Carotisste-nose, koronare Herzkrankheit und stenosierende Prozesse der Nieren- und Mesenterialarterien. Nur etwa 5 % der pAVK-Fälle sind entzündlicher, genetischer oder traumatischer Ursache. Die Gesamtprävalenz der pAVK liegt bei etwa 3–10 %. Die Prävalenz steigt mit höherem Lebensalter. Im Alter über 70 Jahre findet sich in 15–20 % der Fälle eine pAVK; die Prävalenz steigt auf etwa 35 % bei den > 85-jährigen [7–10]. Aufgrund unserer Lebensumstände und der Alterung hat sich die Prävalenz der pAVK über die letzten Jahrzehnte deutlich erhöht. Weltweit sind etwa 200 Millionen Menschen an einer pAVK und etwa 500 Millionen an einem Diabetes mellitus erkrankt. Ein allgemeines Screening asymptomatischer pAVK Patienten wird nach aktueller Datenlage nicht empfohlen, das Verhältnis zu symptomatischen Risikopatienten beträgt etwa 4:1. Wenn Patienten aufgrund von kardialen oder pulmonalen Begleiterkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) oder einer fortgeschrittenen Gon- bzw. Coxarthrose nur eingeschränkt belastbar sind, tritt eine IC trotz bestehender pAVK erst spät oder gar nicht auf. Dies gilt in besonderem Maße für Patienten mit einem Diabetes mellitus, wenn aufgrund einer schweren sensomotorischen peripheren Polyneuropathie die Schmerzwahrnehmung eingeschränkt oder aufgehoben ist. Die IC tritt häufiger bei jüngeren Männern und Rauchern, in höherem Alter zunehmend auch bei Frauen und bei Adipositas auf. Die Lokalisation von Stenosen und Verschlüssen hängt zum Teil von den zugrundeliegenden vaskulären Risikofaktoren ab. Der Diabetes mellitus und die fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz gehen häufig mit einer pAVK vom Unterschenkel- oder Mehretagentyp einher, während sich bei starken Rauchern häufiger isolierte Beckenarterienste-nosen oder Verschlüsse finden.

Der Screening-Goldstandard für die Diagnose einer pAVK ist die arterielle Verschlussdruckmessung mit Berechnung des Knöchel-Arm-Index („ankle-brachial-index“, ABI). Bei einem ABI < 0,9 kann eine pAVK als gesichert gelten. Ein erniedrigter ABI ist zudem ein unabhängiger Indikator für eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität. Die Mortalitätsraten von Patienten mit asymptomatischer und symptomatischer pAVK wurden in der get ABI Studie aufgezeigt. Innerhalb von 3 Jahren verstarben 12,8 % und innerhalb von 5 Jahren 23,9 % der symptomatischen Patienten. Es wird angenommen, dass sich bei einem Viertel aller Patienten mit Claudicatio die Symptome unter konservativer Therapie spontan verbessern. In ca. einem Drittel bis zur Hälfte der Patienten bleibt die Symptomatik unverändert. Bei einem Viertel verschlechtert sich die Erkrankung. Die Prognose der Patienten wird hauptsächlich von kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen bestimmt. Entscheidend ist, dass das Risiko einer kritischen Extremitätenischämie bei diesen Patienten sehr gering ist und nur etwa 2 % eine Amputation innerhalb der nächsten 10 Jahre erleiden.

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