Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021
Die gefäßbedingte Claudicatio an Armen und BeinenEin buntes Potpourri an Differenzialdiagnosen
Im Stadium der IC ist insbesondere die konsequente Behandlung der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörung und Begleiterkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und chronische Niereninsuffizienz zu fordern. Medikamentöse Maßnahmen wie Thrombozytenaggregationshemmung und Statintherapie haben neben einer Lebensstiländerung (regelmäßige körperliche Bewegung, mediterrane Kost, Nikotinkarenz) bei der Behandlung der IC einen hohen Stellenwert. Chronisch entzündliche Erkrankungen wie die Parodontitis haben möglicherweise Einfluss auf den Krankheitsverlauf der pAVK, auch wenn bislang kein valider kausaler Zusammenhang besteht [4].
Aktuelle Leitlinien [1–3, 5–6] empfehlen die Kombination des Thrombozytenaggregationshemmers ASS (1 x 100 mg täglich) mit dem niedrig dosierten direkten Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto 2 x 2,5 mg täglich). Unter dieser dualen Therapie konnte in Studien (COMPASS, VOYAGER) neben einer Verringerung der kardiovaskulären Sterblichkeit erstmals auch eine Absenkung der Häufigkeit von Amputationen und Gefäßrevaskularisationen gezeigt werden. Generell gilt aber auch weiterhin, dass die Mortalität der pAVK sowohl von Ärzten als auch von Patienten unterschätzt wird und die Leitlinienempfehlungen im klinischen Alltag immer noch unzureichend umgesetzt werden, obwohl gerade die Statine nachweislich die schmerzfreie Gehstrecke verbessern [2].
Der Claudicatio-Schmerz ist typisch gefäßbedingt, wenn er reproduzierbar als belastungsabhängiger Muskelschmerz auftritt, der sich nach Ruhe innerhalb von wenigen Minuten bessert. In Abhängigkeit der Stenose- bzw. Verschlusslokalisation, können Schmerzen sowohl in der Glutealregion als auch an Oberschenkel-, Waden- und Fußmuskulatur auftreten. Zu bedenken ist, dass Diabetiker aufgrund der Neuropathie häufig keine Schmerzen haben. Beschrieben wird bei der IC die schmerzfreie maximale Gehstrecke. Die seitenvergleichende Pulsuntersuchung ist hilfreich, jedoch fehlerbehaftet. Sind die Pulse über der Arteria dorsalis pedis und der Arteria tibialis posterior seitengleich kräftig tastbar, schließt dies eine klinisch relevante pAVK mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Bei abgeschwächten oder nicht tastbaren Fußpulsen bzw. bei unklarer Symptomatik sollte jedoch in jedem Fall eine apparative Diagnostik angeschlossen werden. Die Extremitäten sollten hinsichtlich Hautstatus, Integrität, Turgor, Schweißbildung, Farbe und Muskelatrophie, Deformität und Temperatur zusätzlich beurteilt werden. Insbesondere beim Diabetiker ist die regelmäßige professionelle Fußuntersuchung von hoher Bedeutung.
Die dopplersonographische Messung der arteriellen Verschlussdrücke an A. dorsalis pedis und A. tibialis posterior gehört zur Basisuntersuchung des Gefäßstatus bei Verdacht auf eine pAVK. Zum Einsatz kommen in der Regel Taschendopplergeräte mit Stiftsonde mit 4 oder 8 MHz. Nach etwa 10 Minuten Ruhe werden am liegenden Patienten die Blutdruckmanschette, die ca. 10–12 cm breit ist, am Oberarm bzw. oberhalb des Knöchels aufgepumpt und der systolische Druckwert sowohl an der A. brachialis als auch an der A. dorsalis pedis und der A. tibialis posterior mit der Dopplersonde gemessen. Der ABI wird getrennt für jedes Bein berechnet und hierfür der höchste Wert am Knöchel durch den höchsten Wert am Arm geteilt [2]. Eine pAVK gilt als gesichert, wenn der ABI < 0,9 liegt (Tab. 2). Interessant ist, dass Claudicatiobeschwerden bei völlig unterschiedlichen ABI-Werten auftreten können.
Die intermittierende Claudicatio ist hinsichtlich der Mortalität eine unterschätzte Erkrankung und wird medikamentös unzureichend behandelt. Für die ABI-Berechnung sind der höchste Knöchelarteriendruck eines Beines und der höhere Armarteriendruck im Seitenvergleich maßgeblich. Die gefäßbedingte Claudicatio ist belastungsabhängig und sistiert bei Ruhe. Das Amputationsrisiko liegt unter 2 % in 10 Jahren.
Bei Diabetikern können in etwa einem Drittel der Fälle aufgrund der Mönckeberg-Mediasklerose falsch hohe ABI-Werte von ? 1,4 gemessen werden. Zudem finden sich falsch hohe Druckwerte bei peripheren Ödemen. Daher kann es sinnvoll sein, Claudicatiobeschwerden durch eine Belastungsuntersuchung auf dem Laufband zu objektivieren. Hierbei werden die schmerzfreie und die maximale Gehstrecke in der Laufbandergometrie bei einer Gehgeschwindigkeit von 3,0 km/h und 10 % Steigung bestimmt. Ergänzend kann auch eine ABI-Bestimmung vor und unmittelbar nach einer körperlichen Belastung herangezogen werden, um die hämodynamische Relevanz einer Stenose oder eines Verschlusses nachzuweisen. Die Abnahme des ABI um mehr als 20 % gilt diesbezüglich als beweisend. Ist der Patient nicht in der Lage, eine Belastung auf dem Laufband durchzuführen, kann die Belastung auch durch schnelles Gehen auf dem Flur auf einer definierten Strecke erfolgen oder mittels repetitiver aktiver Plantar-Flexion.
Die Differenzialdiagnose der IC ist bunt (Tab. 3). Neben neurogener und venöser Claudicatio sowie Arthrose und Poplitealaneurysma zeigen vor allem jüngere Menschen atypische Beschwerden und diverse Pathologien wie die zystische Adventitiadegeneration oder vaskuläre Kompressionssyndrome, die sowohl an der oberen als auch an der unteren Extremität auftreten und nicht selten eine Assoziation zu exzessiven sportlichen Tätigkeiten oder bestimmten Bewegungshaltungen (Musiker) aufweisen. Hierzu zählen das Thoracic-outlet-Syndrom, die iliakale Endofibrose (Fahrrradfahren), das Adduktorenkanal-Syndrom sowie das popliteale Entrapment-Syndrom und das chronische Kompartmentsyndrom [8, 10, 11].
Bei jüngeren Patienten, hoher sportlicher Aktivität oder einseitiger Belastung im Beruf mit spezifischen Haltungen muss an vaskuläre Kompressionssyndrome im Schultergürtel und Kniebereich gedacht werden.
An den Armen tritt eine Claudicatio durch arteriosklerotische Verschlussprozesse zum Beispiel an der A. subclavia deutlich seltener auf und kann mit zerebralen Symptomen wie z. B. Schwindel durch ein Stealsyndrom über die A. vertebralis vergesellschaftet sein. Häufiger sind vaskuläre Kompressions- oder Stealsyndrome durch einen Dialyseshunt oder entzündliche Gefäßerkrankungen (z.B. Riesenzellarteriitis oder Takayasu-Arteriitis).