Arzt und Recht - OUP 04/2013
Die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
Für alle anderen Arztgruppen und somit auch für Orthopäden werden nach der Ärzte-Zulassungsverordnung vollständig und ordnungsgemäß gestellte Anträge zunächst noch nach altem Recht beschieden. Hierzu ordnet § 63 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie an, dass für Zulassungsanträge dieser Arztgruppen die „alte“ Bedarfsplanungsrichtlinie weitergilt. Erst wenn der Landesausschuss Beschlüsse über eine etwaige Überversorgung und hieraus resultierende Zulassungsbeschränkungen nach neuem Recht getroffen hat, was spätestens bis zum 30.06.2013 erfolgen muss (§ 63 Abs. 2), gilt für Zulassungsanträge dieser Arztgruppen ebenfalls das neue Recht14.
Nach § 63 Abs. 6 Bedarfsplanungs-Richtlinie gelten diese Übergangsbestimmungen ausdrücklich auch für Anträge auf Genehmigung von Anstellungen in Medizinischen Versorgungszentren oder bei Vertragsärzten.
9.
Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen (§ 26)
Schon die bis zum 31.12.2012 geltende Bedarfsplanungs-Richtlinie 2007 enthielt in § 23 Regelungen über das Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen (sog. partielle Entsperrung eines Planungsbereichs). Nachdem das Bundessozialgericht mit Urteil vom 23.02.2005 (ArztR 2006, 48 f.) das sog. Windhundprinzip bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern um einen nach partieller Entsperrung eines Planungsbereichs zu besetzenden Vertragsarztsitz als verfassungswidrig erachtet hatte, wurde die Bedarfsplanungs-Richtlinie für diesen Fall dahin geändert, dass der Zulassungsausschuss unter mehreren Bewerbern im partiell entsperrten Planungsbereich nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung derjenigen Kriterien zu entscheiden hatte, die nach § 103 Abs. 4 und Abs. 5 SGB V für das sog. Nachbesetzungsverfahren im gesperrten Planungsbereich gelten. Diese Auswahlkriterien sind nunmehr in § 26 Abs. 3 um die Kriterien
- bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes
und
- Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (siehe z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Barrierefreiheit)
ergänzt worden.
Nach der alten Bedarfsplanung wurde bei Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen eine volle weitere Arztstelle im Bedarfsplan ausgewiesen. Nach neuem Recht kann nur noch eine Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag erfolgen bzw. eine hälftige Anstellungsgenehmigung erteilt werden, wenn bereits mit der hälftigen Zulassung oder der hälftigen Anstellungsgenehmigung wieder Überversorgung eintritt (§ 26 Abs. 1). Damit soll der bisherige Aufrundungseffekt auf eine ganze Arztstelle vermieden werden15.
10. Zusammenfassung und Bewertung
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bedarfsplanung mit der Einführung neuer Versorgungsebenen, der Einbeziehung neuer Arztgruppen und der Schaffung neuer (insbesondere auch kleinerer) Planungsbereiche komplexer geworden ist. Wesentliche Bereiche der Bedarfsplanung (insbesondere: Sonderbedarf) sind noch nicht neu geregelt. Es steht zu befürchten, dass sich auch diesbezüglich die Komplexität der Bedarfsplanung weiter erhöhen wird. Durch die Weiterentwicklung des Demografie-Faktors als feste Berechnungsgröße könnten weitere vertragsärztliche Versorgungsaufträge entstehen, während es im Übrigen wohl nur zu Verschiebungen kommen wird.
Die noch komplexere Struktur der Bedarfsplanung dürfte zu einem (noch) höheren Verwaltungsaufwand führen. Wegen teilweise unscharfer Formulierung und systematischer Widersprüche zu bestehenden gesetzlichen Regelungen (z.B. Berücksichtigung ermächtigter Ärzte trotz Vorrang der vertragsärztlichen Zulassung gemäß § 31 Abs. 1 Ärzte-ZV, §§ 116, 116a, 118a Abs. 1, 119 Abs. 1, 119a SGB) ist eine hohe Fehleranfälligkeit mit entsprechendem Konfliktpotential und gerichtlichen Auseinandersetzungen zu befürchten. Ob die neue Bedarfsplanung das ärztliche „Angebot“ und die Versorgungsbedürfnisse der Patienten besser in Einklang bringt, ist offen. Verfassungsrechtlich bedenklich (Artikel 12, Artikel 3 GG) ist die These, dass für die neubeplanten Arztgruppen aus „historischen“ Gründen von vornherein zunächst von einer Zulassungssperre auszugehen ist („110%-These“), da nach dem Eindruck der Verfasser z.B. bei Pathologen und Humangenetikern eine Überversorgung weder 2010 bestand noch gegenwärtig besteht. Die Veränderung der Planungsbereiche wird auch nicht ohne Auswirkungen auf die Verlegung von Praxissitzen und Kooperationen bleiben. Während für Ärzte, die künftig in kleineren Planungsbereichen tätig sind, eine Verlegung erschwert wird, ergeben sich für die Ärzte in den weiter zugeschnittenen Versorgungsbereichen, allen voran also für die Arztgruppen der spezialisierten fachärztlichen Versorgung, erweiterte Verlegungsmöglichkeiten. Für die Arztgruppen in den kleineren Planungsbereichen könnte die vermehrte Gründung überörtlicher (planungsbereichsübergreifender) Berufsausübungsgemeinschaften eine Antwort auf diese Entwicklung sein.
Für Orthopäden und Unfallchirurgen sind neben den für alle Arztgruppen geltenden Änderungen keine gravierenden Neuerungen absehbar: Es gelten insbesondere weiterhin der Landkreis, die kreisfreie Stadt oder die Kreisregion als Planungsbereich, lediglich die Spannbreite der Verhältniszahlen hat sich geringfügig verringert.
Das Ergebnis dieser Reform kann abschließend erst nach Inkrafttreten der noch ausstehenden Regelungen beurteilt werden. Wegen der bereits jetzt erkennbaren Mängel wird es einmal mehr die Aufgabe der Rechtsprechung sein, in den kommenden Jahren Rechtsklarheit herbeizuführen.
Korrespondenzadresse
RA Dr. Bernhard Debong
RA Dr. Christoph Osmialowski
Kanzlei für ArztRecht
Fiduciastraße 2
76227 Karlsruhe
kanzlei@arztrecht.org
www.arztrecht.org
Fussnoten
Beschluss vom 20.12.2012, veröffentlicht am 31.12.2012 im Bundesanzeiger (BAnz AT 31.12.2012 B 7) www.bundesanzeiger.de
zur Zielsetzung der Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie vgl. insbesondere auch die Tragende(n) Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie auf der Internetseite des GBA unter www.g-ba.de
Tragende Gründe a.a.O. Seite 12
Tragende Gründe a.a.O. Seite 13
Als Planungsbereich für die spezialisierte fachärztliche Versorgung hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Raumordnungsregion in der Zuordnung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung festgelegt. Diese entspricht 96 großen, flächigen Gebieten, die in der Wechselwirkung städtischer und ländlicher Gebiete weitgehend ein eigenes Versorgungsgleichgewicht herstellen sollen. Vgl. dazu näher Tragende Gründe a.a.O. Seite 12