Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020
Die Rolle des Scapula-Notching bei inverser Schulterendoprothese
Jerosch Jörg, Lars Victor von Engelhardt
Zusammenfassung:
Scapula-Notching ist ein häufiger radiologischer Befund nach Implantation einer inversen Schulterendoprothese. Über die klinische Bedeutung ist man sich noch im Unklaren. Die Inzidenz und das Ausmaß des Scapula-Notchings hängen von dem Prothesendesgin und der operativen Technik ab. Implantat-bedingte Faktoren sind Größe, Form und Position der Glenosphäre, die Inklination des humeralen Hals-Schaft-Winkels, das Implantat-Offset und die ursprünglichen nativen Formen der Scapula.
Schlüsselwörter:
inverse Schulterendoprothese, Scapula-Notching, Prophylaxe
Jerosch J, von Engelhardt LV: Die Rolle des Scapula-Notching bei inverser Schulterendoprothese. OUP 2020; 9: 036–042. DOI 10.3238/oup.2019.0036–0042
Summary: Scapula notching is a common radiographic finding occurring after reverse total shoulder arthroplasty. The clinical importance of notching is unclear. The incidence and severity of scapula notching is related to prosthetic design and surgical technique. Implant design factors include size, shape, and position of the glenosphere, inclination of the humeral neck-shaft angle, implant offset, and native scapular anatomy.
Keywords: inverse shoulder replacement, scapula notching, prophylaxis
Citation: Jerosch J, von Engelhardt LV: The role of scapula notching in reverse total shoulder replacement.
OUP 2020; 9: 036–042. DOI 10.3238/oup.2019.0036–0042
Jörg Jerosch: Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss
Lars Victor von Engelhardt: Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke
Einleitung
Bei den Schulterprothesen nimmt der Anteil von inversen Prothesen bis hin zu den schaftfreien Systemen in den letzten Jahren deutlich zu [18] Die Komplikationsrate ist erfreulich gering. So zeigen Registerdaten nur eine sehr geringe 10-Jahres-Infektrate für anatomische Prothesen von 1,4 % und von 3,1 % bei inversen Prothesen; bei Männer liegt das Infektrisiko bei inversen Prothesen mit 8,0 % jedoch deutlich höher [25]. Ein spezifisches Problem bei inversen Prothesen ist das sog. Scapula-Notching. Gemeint ist hiermit eine Osteolyse im unteren Bereich des Scapulahalses [34] (Abb. 1).
Einige Studien gehen von einer negativen Beeinflussung des funktionellen Ergebnisses durch Scapula-Notching aus [24, 28, 33, 34, 37]. Im vorliegenden Review werden Pathogenese, radiologische Einteilung, designbedingte Implikationen, Operationstechnik und vorbeugende Strategien dargestellt.
Pathogenese
1985 führte Grammont das inverse Schulterprothesen-Konzept ein [33] (Abb. 2). Eines der typischen biomechanischen Charakteristika war die Medialisation des Rotationszentrums der glenoidalen Prothesenkomponente. Anders als bei früheren inversen Prothesen mit fehlender Medialisation des Drehzentrums konnten hierdurch die Scherbelastung und der Hebelarm reduziert werden. Die Distalisation der glenoidalen Komponente diente weiterhin zur Vorspannung des M. deltoideus. Diese beiden Faktoren führten zu einer deutlich geringeren Glenoidlockerung im Vergleich zu den vorhergehenden früheren Prothesen-Designs. Bedingt hierdurch kam es jedoch zu einem Kontakt zwischen cranialen medialen humoralen Komponenten (Polyethylen) und dem Scapulahals bei der Arm-Adduktion. Dieses führte zum Knochenverlust, Polyethylen-Abrieb, Osteolyse und glenoidaler Implantatlockerung bis hin zum Versagen des Implantats mit reduziertem klinischen Ergebnis [24].
Inzidenz
Die Inzidenz des Scapula-Notching zeigt erhebliche Variationen zwischen 4,6 % bis zu 96 %. In einem systematischen Review zeigte sich eine Inzidenz zwischen 4,6 % und 50,8 % [2]. Neuere Studien, die das Implantat-Design und die Implantatpositionierung berücksichtigen, zeigen eine Inzidenz zwischen 10 % und 30 % [10, 11, 28]. Eine relevante Variable ist der Nachuntersuchungszeitraum [23, 28]. Bei früherem Nachuntersuchungszeitraum zeigt sich eine geringere Inzidenz [28]. 2008 publizierten beispielsweise Cuff et al. [6, 7] eine 0%ige Inzidenz bei 26 Patienten nach 2 Jahren. Bei derselben Kohorte zeigt sich nach 5 Jahren jedoch eine Zunahme des Scapula-Notchings auf 9 %.
Anatomische Bedingungen
Üblicherweise zeigt sich eine Retroversion des Glenoid in Relation zum Scapulahals zwischen 2° Anteversion und 7° Retroversion [9, 14]. Der Glenoid-Tilt in Relation zur lateralen Begrenzung der Scapula beträgt 40–50° nach kranial [1]. Verschiedene Studien haben dargelegt, dass eine zunehmende Länge des Scapulahalses die Inzidenz zum Scapula-Notching reduziert [12, 30]. Die Scapulahals-Länge wird gemessen als Distanz zwischen der lateralen Scapula-Säule und der artikulierenden Gelenkfläche des Glenoids auf einer a.p.-Aufnahme ( Abb. 3 ). In Kadaverstudien mit 442 Scapulae zeigten 221 Kadavern eine mittlere Scapulahals-Länge von 10,6 ± 3,3 mm [12]. Männliche Probanden haben tendenziell einen längeren Scapulahals als weibliche. In einer Analyse von 50 inversen Schulterprothesen fand sich ein Scapula-Notching bei einer mittleren Scapulahalslänge von 8,9 mm, verglichen zu denen mit einer mittleren Scapulahals-Länge von 12,1 mm, deutlich häufiger [30]. Hieraus lässt sich die Forderung herleiten, dass bei Patienten mit einer Scapulahalslänge von weniger als 9 mm eine Glenoidaugmentation sinnvoll ist, um das laterale Glenoid-Offset zu erhöhen.
Hierbei gilt zu berücksichtigen, dass Patienten mit einer Rotatorenmanschetten-defektarthropathie oder einer rheumatoiden Arthritis aufgrund des Fehlens der Rotatorenmanschetten-Funktion eine superiore mediale Migration des Humeruskopfs aufweisen mit Abrieb des Glenoids und einer Verkürzung der Scapulahalslänge. Bei dieser veränderten Anatomie ist darauf zu achten, dass das Glenoid nicht zu weit nach kranial und mit einem superioren Tilt implantiert wird. Beides führt zu erheblicher Zunahme des Notchings [33, 34].
Radiologische präoperative Planung
Die standardmäßig erhobenen Befunde im a.p.- und axialen Röntgen geben in der Regel nicht ausreichende Informationen. Das CT hilft hier, weitere klinisch relevante Daten bzgl. der Orientierung des Glenoids in Relation zur Scapula zu erhalten. Ein dreidimensionales CT reduziert die Intra- und Interobserver-Reliabilität bei der Interpretation dieser Parameter deutlich [13]. In besonderen Fällen können von Patienten individualisierte Sägeschablonen angefertigt werden. Dieses ist in der Regel vor allen Dingen bei Revisionsoperationen sinnvoll [17].
Postoperative Bildgebung
Im Rahmen der postoperativen Bildgebung wird das Ausmaß des Notchings in der Klassifikation von Sirveaux et al. [34] aus dem Jahre 2004 eingeteilt (Abb. 1). Bei Grad 3 oder 4 spielen biologische Antworten auf Polyethylen-Abriebpartikel mit entsprechender Osteolyse eine Rolle ( Abb. 4). Die radiologische Beurteilung ist mit einer strengen a.p.-Aufnahme ausreichend möglich. Im Rahmen der Standardevaluation sollten zusätzlich laterale und axillare Aufnahmen angefertigt werden [19, 33, 34].
Einfluss der operativen Techniken
Operationszugang
Der anteriore superiore Zugang (Deltoid-Splitting-Zugang) zeigt ein erhöhtes Risiko für ein Notching. In einer Serie von 337 inversen Schulterprothesen, bei denen entweder der anteriore superiore Zugang oder ein deltoideopektoraler Zugang verwendet wurde, zeigte sich bei 86 % der Patienten mit anterior-superiorem Zugang ein Notching, wo hingegen nur bei 56 % ein Notching bei den deltopektoralen Zugang (P < 0,0001) [23] entstand. Mole et al. [26] zeigten ein Scapula-Notching bei 74 % bei einem anterior-superiorem Zugang und 63 % bei einem deltoideopektoralen Zugang.
Der antero-superiore Zugang zeigt ebenfalls eine Korrelation zur postoperativen Instabilität und einem relativen Risiko zu Scapula- und Acromionfrakturen. Während des antero-superioren Zugangs kann eine Fehlbeurteilung der Unterkante des Glenoids erfolgen. Diese Situation führt zu einer höheren Platzierung oder zu einem superioren Tilt des Glenoids. Beides sind Faktoren, die zu einem erhöhten Notching-Risiko führen. Die Mehrzahl der Operateure favorisiert heutzutage einen deltopektoridalen Zugang. Wichtig ist hierbei jedoch eine ausgiebige Exploration des inferioren Glenoids mit Entfernen des Labrums und der Kapsel sowie Inzision des Trizepsansatzes am unteren Glenoid, auch um einen superioren Tilt zu vermeiden.
Glenosphären-Tilt
Der inferiore Tilt erlaubt ein größeres impingementfreies Bewegungsausmaß [15, 16]. Der optimale Tilt hängt jedoch auch von Faktoren wie Prothesen-Design, individuelle Anatomie, der Lateralisation des Glenoids und des humeralen Prothesen-Schaft-Hals-Winkels ab. Bei Prothesen mit einem Schaftwinkel von 155° ist der inferiore Tilt besonders wichtig. Nyffeller et al. [29] fanden bei einem inferiorer Tilt von 15° die höchste impingementfreie Adduktion. Noch besser war jedoch das freie Bewegungsausmaß bei neutraler Position und inferiorem Überhang der Glenosphäre. Andere Autoren zeigten [15], dass der inferiore Tilt zum geringsten Scapula-Impingement führt, gefolgt von der inferioren Platzierung des Glenoids und einem lateralen Offset. Hierbei gilt zu bedenken, dass ein inferiorer Tilt bei unterschiedlichen Abduktionsgraden zu einer geringeren Gelenkkraft führt als ein Glenoid in neutraler Position [16]. Wenn ein Glenoid exzentrisch in die inferiore Position implantiert wird, führt ein neutraler Tilt zu einer Verbesserung der Gelenkkräfte. Ein superiorer Tilt führt zu einer Verschlechterung aller Parameter.
Inferiore Platzierung der Glenosphäre
Die Platzierung der Glenosphäre mit inferiorem Überhang scheint den größten Effekt zur Reduktion des Scapula-Notchings mit den geringsten Nebeneffekten zu haben [8, 15, 16, 29, 31–33].
Die Limitation des inferioren Überhangs mit konzentrischem Prothesen-Design hat ihre Begrenzung bei möglichem Stabilitätsverlust des Knochenimplantat-Interfaces. Exzentrische Glenosphären erhöhen den inferioren Überhang bei gleichzeitig guter Schraubenfixation der Basisplatte der Glenosphäre. Poon et al. [31] verglichen die Notching-Rate bei konzentrischen Implantaten und exzentrischen Implantaten. Sie fanden kein Notching beim Überhang von mehr als 3,5 mm, egal ob es sich um eine konzentrische oder eine exzentrische Variante handelte.
Glenosphären-Designs
So wie der inferiore Überhang führt auch ein laterales Offset zu einer Reduktion des Scapula-Notchings [32]. Die klassische Grammont-Glenosphäre hat ein medialisiertes Rotationszentrum im Bereich des Knochenimplantat-Interfaces und prädestiniert zum Notching [33]. Ein laterales Rotationszentrum, welches mehr das physiologische Rotationszentrum imitiert, führt zu einem geringeren Notching. Ein systematischer Review von 13 Studien, bei denen der Grammont-Typ mit einem lateralen Offset-Typ verglichen wurde, zeigt hier, dass beim lateralen Offset das Scapula-Notching nur bei 5,4 % der Patienten auftrat, wo hingegen beim Grammont-Typ 45 % [22]. Ein laterales Offset kann durch verschiedene Mechanismen herbeigeführt werden. Dieses beinhaltet eine Knochen-Augmentation (biologic increased offset nach Boileau) oder eine Metall-Augmentation des Glenoids. Der Vorteil der biologischen Offset-Erhöhung liegt darin, dass das Rotationszentrum nach wie vor im Bereich des Knochenimplantat-Interfaces verbleibt. In einer Studie mit 42 Patienten mit knöcherner Lateralisation fand sich ein Notching in 19 % nach 28 Monaten [5]. Der Graft wurde bei 41 von 42 Patienten (98 %) vollkommen inkorporiert´. Es fand sich keine Evidenz für eine Graft-Resorption, eine Glenoidlockerung oder eine klinische Instabilität.
Als weitere Empfehlung in der Literatur findet sich die Verwendung von größeren Glenosphären-Durchmessern. Größere Durchmesser führen zu einer stabileren Prothese, einem besseren Impingement, freiem Bewegungsausmaß und zu einer reduzierten Notching-Rate [3, 21, 27, 35].
Humerales Prothesen-Design
Bei zunehmender Reduktion des humeralen Hals-Schaft-Winkels kommt die humerale konkave Komponente mehr in eine vertikale Position. Langohr et al. [21] zeigten, dass dieses zur Verbesserung der impingementfreien Adduktion mit mehr lateralem Offset führt. Mit reduziertem Hals-Schaft-Winkel kommt es zu einem vermehrten Kontaktstress im Bereich des Polyethylens mit inferiorer Verschiebung der Hauptbelastung des Polyethylen-Inlays. Dieses kann zu einer deutlich erhöhten Kantenbelastung mit erhöhtem Polyethylen-Abrieb führen, welches wiederum Osteolysen ohne mechanisches Impingement bedingen kann. Eine reduzierte Polyethylen-Tiefe (reduzierte „jumping-height) führt zu einer Verbesserung des Adduktionswinkels [8, 21], jedoch mit dem Risiko einer erhöhten Luxation.
Beim Vergleich von 155° versus 135° Hals-Schaft-Winkel fanden Erickson et al. [10] beim 135°-Winkel nur in 2,8 %, beim 155°-Winkel hingegen bei 16,8 % ein Notching. Es fanden sich keine Unterschiede in der Dislokationsrate zwischen beiden Gruppen.
Ein medialisiertes Glenoid mit lateralisiertem Humerus führt zur Medialisierung des Rotationszentrums und führt so zu einer Verbesserung des Deltoid-Momentarms. Die lateralisierte humerale Komponente führt zu einer Erhöhung der Spannung von Delta und der restlichen vorhandenen Rotatorenmanschette. Eine Lateralisierung der Humerus durch verminderten Hals-Schaft-Winkel in Kombination mit einer inferior implantierten Glenoid-Basisplatte kann zu einem reduzierten Notching führen [10, 21].
Ein lateralisiertes Glenoid mit lateralisiertem Humerus wird die mechanische Situation des Notchings deutlich verbessern. Der Deltaumlenkwinkel wird günstiger ( Abb. 5), der Deltoid-Momentarm ist jedoch reduziert, und es besteht ein gewisses Risiko für eine Überspannung von Deltoid und Rotatorenmanschetten; Studien hierzu liegen jedoch nicht vor.
Aufgrund der oben genannten Zusammenhänge macht es Sinn, die Offset-Situation bei inversen Prothesen wie folgt zu klassifizieren:
MGMH: Medial Glenoid/Medial Humerus (Abb. 6a)
LGMH: Lateral Glenoid/Medial Humerus (Abb. 6b)
MGLH: Medial Glenoid/Lateral Humerus (Abb. 6c)
LGLH: Lateral Glenoid/Lateral Humerus (Abb. 6d)
MGMH (Medial Glenoid/
Medial Humerus)
Hier ist das Rotationszentrum nahe der glenoidalen Gelenklinie positioniert. Der humerale konkave Pfannenanteil ist nahe zum intermedulären Kanal positioniert. Grammonts Prothese passt typisch in diese Kategorie (Abb. 7). Hier zeigen sich folgende Merkmale:
reduziertes Risiko für eine glenoidale Lockerung
gute aktive Armabduktion aufgrund des großen Deltoid-Momentarms
hohe Rate für Scapula-Notching
eingeschränkte aktive Innen- und Außenrotation wegen der Verkürzung der Rotatoren.
LGMH: Lateral Glenoid/
Medial Humerus
Hier ist das Rotationszentrum lateral der glenoidalen Verankerung. Dieses wird beispielsweise bei der Encore-Prothese durch eine dickere Glenosphäre (Abb.8) oder durch eine Bio-RSA erreicht. Die humerale Komponente bleibt nach wie vor in der Achse des Humerus, sodass dieses zu einer Medialisaton führt. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
geringeres Scapula-Notching
bessere Wiedererlangung der aktiven Innen- und Außenrotation aufgrund der erhöhten Spannung der Rotatorenmanschette
potenziell erhöhtes Risiko für eine glenoidale Lockerung aufgrund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface
potenziell erhöhtes Risiko für eine Acromion- oder Spinafraktur [20].
MGLH: Medial Glenoid/
Lateral Humerus
Das Rotationszentrum ist hier weiter medial im Bereich des anatomischen Glenoids lokalisiert. Der Humerusschaft ist lateralisiert, und die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft, was bei einigen schaftgeführten Systemen auch erreicht wird (Abb. 9). Dieses Prinzip ist besonders gut mit schaftfreien inversen „onlay Prothesen“ (s.u.) zu erreichen. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch die folgenden Merkmale aus:
reduziertes Risiko der glenoidalen Lockerung
reduziertes Risiko für Scapula-Notching
bessere Wiedererlangung der aktiven Arm-Elevation aufgrund eines längeren Deltoid-Momentarms
erhöhter Tub-majus-Umlenkwinkel
verbesserte aktive Innen- und Außenrotation wegen einer besseren Spannung der Rotatorenmanschette
LGLH: Lateral Glenoid/Lateral Humerus
Hier ist das Rotationszentrum wiederum lateral der glenoidalen Verankerung, was beispielweise durch eine Bio-RSA im Prinzip von Boileau zu erreichen ist. Der Humerusschaft ist zusätzlich lateralisiert oder die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft. Dieses Prinzip ist mit schaftfreien inversen Onlay-Prothesen (s.u.) zu erreichen. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
noch geringeres Risiko für ein Scapula-Notching
bessere Wiedererlangung der aktiven Innen- und Außenrotation aufgrund der erhöhten Spannung der Rotatorenmanschette
potenziell erhöhtes Risiko für eine glenoidale Lockerung aufgrund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface
bessere Wiedererlangung der aktiven Arm-Elevation aufgrund eines längeren Deltoid-Momentarms und eines verbesserten Deltoid-Umlenkwinkels.
Klinische Ergebnisse
Ein mechanisches Impingement im Bereich der lateralen inferioren Scapula führt zu einem reduzierten Adduktionswinkel mit einer Zunahme von Schmerzen und einer reduzierten Schulterfunktion [33, 34, 37]. Frühere Studien zeigten keinen negativen Effekt. Neuere Studien zeigen jedoch, dass das Notching mit einem schlechteren klinischen Ausgang korreliert [4, 36, 38].
So zeigten Wall et al. [36] bei 152 Patienten mit einer inversen Prothese bei 50 % der Patienten ein Notching. Es fand sich hier jedoch kein Unterschied im Constant-Score und bei dem Bewegungsausmaß – weder bei den Patienten mit Notching noch ohne Notching.
Sirveaux et al. [34], Simovitch et al. [33], Wellmann et al. [37] und Mollon et al. [28] zeigten einen schlechteren Constant-Score bei inferiorem Notching. Zusätzlich zeigt sich eine negative Korrelation zwischen Ausmaß des Notchings und funktionellem Outcome [33, 34]. Mollon et al. [28] untersuchten 476 inverse Schulterprothese und fanden eine Notching-Rate von 10 %, die deutlich geringer war als bei den meisten Publikationen. Sie fanden einen signifikant geringeren American Shoulder and Elbow Score, Constant Score, Simple Shoulder Test UCLA-Score bei Patienten mit Notching bei einem mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 38 Monaten.
Operative Empfehlungen
Generell wird ein 2-Jahres-Nachuntersuchungszeitraum empfohlen, um ein Notching zu beurteilen. Es finden sich jedoch auch Studien, die nach 2 Jahren kein Notching zeigen und nach 4 Jahren dann 9 % Notching [6, 7]. Auch wenn keine speziellen Leitlinien dazu existieren, macht es Sinn, Patienten mit inversen Prothesen jährlich klinisch und radiologisch zu beurteilen, um Veränderungen insbesondere hinsichtlich des Notchings frühzeitig zu dokumentieren. Es existiert auch keine Leitlinie, wann bei einem Notching eine Revision durchzuführen ist. Letztendlich bestimmen die Symptome des Patienten das therapeutische Vorgehen. Beim asymptomatischen Patienten wird man sich auch bei deutlichem Notching schwer tun, eine Operationsempfehlung auszusprechen. Wenn es zur Revisionsoperation kommt, ist ein präoperatives CT hilfreich, um den Knochenstock zu beurteilen und die entsprechende Strategie vorzubereiten.
Generell ist zu empfehlen, bei der Revisionsoperation einen inferioren Überhang der Prothese zu wählen und gleichzeitig einen geringen inferioren Tilt. Ein größerer Glenosphären-Durchmesser und ein erhöhtes Offset auf der humeralen oder glenoidalen Seite ist ebenfalls zu empfehlen.
Klinische Relevanz
Die Verwendung von inversen Schulterendoprotheseen nimmt deutlich zu, und wir erhalten auch zunehmend Langzeitergebnisse. Das Scapula-Notching ist eine häufige, typische Komplikation und beeinflusst das klinische Ergebnis. Bei der inversen Prothese sollten unbedingt eine superiore Platzierung und ein superiorer Tilt der Glenosphäre vermieden werden. Ein deltopektoridaler Zugang ist vorteilhaft und ermöglicht gut die Einsicht der relevanten inferioren Glenoidstruktur. Ein laterales Offset mit inferiorem Überhang reduziert am deutlichsten das Notching. Eine Offset-Verbesserung durch biologisches Material oder Implantat reduziert das Notching-Risiko ebenso wie ein reduzierter Hals-Schaft-Winkel am Humerus. Diese Strategien müssen individualisiert werden, um auch die individuellen Nachteile für den Patienten wie Stressfrakturen, Instabilität, Lockerung und Glenoid-Versagen mit zu berücksichtigen. Bei den inversen Prothesen finden sich erhebliche Unterschiede, und es ist Aufgabe des Operateurs, diese zu verstehen, insbesondere hinsichtlich des Einflusses auf die Biomechanik des individuellen Patienten. Es gibt bislang keine direkt vergleichenden Studien der verschiedenen Implantate. Jeder Hersteller sollte jedoch seinen Operateur über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Implantate informieren (no train no use).
Interessenkonflikte:
J. Jerosch und L.V. von Engelhardt:
Vortragstätigkeit für FX-Solution
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg Jerosch
Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Johanna-Etienne-Krankenhaus
Am Hasenberg 46
41426 Neuss
j.jerosch@ak-neuss.de