Wissenschaft - Kurzbeiträge - OUP 11/2019
Die Zukunft der Zusatzweiterbildung „Orthopädische Rheumatologie“
In Deutschland konzentriert sich der Facharzt für Rheumatologie auf die entzündlich-rheumatischen Systemkrankheiten. Schon für diese Krankheitsbilder besteht eine Unterversorgung mit internistischen Rheumatologen. Auch für die fernere Zukunft ist nicht annähernd damit zu rechnen, dass die Zahl internistischer Rheumatologen pro Kopf der Bevölkerung eine Dichte erreicht, wie man sie im europäischen Ausland findet. Vielmehr sind seit Jahren allenfalls geringe Zuwächse an internistischen Rheumatologen zu verzeichnen. Den Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie und den Orthopädischen Rheumatologen kommt deshalb die Aufgabe zu, sich maßgeblich an der Versorgung entzündlich-rheumatischer Krankheiten zu beteiligen – dies insbesondere bei der Früherkennung und der Frühdiagnostik.
Die Entwicklung der Orthopädie und Unfallchirurgie in Richtung auf ein operatives Fachgebiet im Sinne des orthopedic surgeon wird von allen orthopädisch-unfallchirurgischen Gremien als nicht richtig erkannt. Die Neuordnung der Orthopädischen Rheumatologie stärkt die konservative Orthopädie strukturell; sie trägt dazu bei, die komplementäre Einheit von konservativer und operativer Orthopädie und Unfallchirurgie zu erhalten und stärker sichtbar zu machen. Eine Aufteilung der muskuloskelettalen Medizin auf 2 verschiedene Fachgebiete wird für Deutschland vermieden. Vielmehr verbleiben Diagnostik, konservative und operative Therapie in einem Fach – der Orthopädie und Unfallchirurgie. Der Facharzt für Rheumatologie wirkt hier mit seiner Spezialisierung auf die entzündlich-rheumatischen Systemkrankheiten unabdingbar mit.
Internistische und Orthopädische Rheumatologie
Die Erarbeitung der WBO-Novelle ging in mehreren Bereichen mit einem Tauziehen um die Zuständigkeiten einher, für die Weiberbildungsordnung (WBO) Facharzt Orthopädie und Unfallchirurgie betraf das u.a. die Radiologie, Allgemeinchirurgie, Geriatrie. Bei Internistischen und Orthopädischen Rheumatologen divergierten die Positionen vor allem zur immunmodulierenden medikamentösen Therapie entzündlicher Gelenkkrankheiten. Für die MWBO ist ein Kompromiss errungen worden, der auf der einen Seite die Internistischen Rheumatologen an der Weiterbildung des Orthopädischen Rheumatologen beteiligt und auf der anderen Seite die umfassende Beteiligung der Orthopädischen Rheumatologen an der immunmodulierenden medikamentösen Therapie sicherstellt.
Nach Vorlage der MWBO wurde eine S3-Leitlinie „Axiale Spondyloarthritis“ verabschiedet, die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, DGRh, erarbeitet wurde. Die Leitlinie spricht von „dem Rheumatologen“, und sie unterscheidet ausdrücklich nicht zwischen internistischen und orthopädischen Rheumatologen. Eine weitere S3-Leitlinie „Management der frühen rheumatoiden Arthritis“, ebenfalls unter der Federführung der DGRh erstellt, befindet sich in der finalen Abstimmung unter den beteiligten Fachgesellschaften. Sie bezieht den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ausdrücklich in die Frühdiagnostik und Frühtherapie der Rheumatoiden Arthritis ein und weist ihm klare Kompetenzen und Zuständigkeiten zu.
Zweifelsfrei ist die Kompetenz des Facharzts für Rheumatologie für die Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Krankheiten unentbehrlich. Der Kompromiss in der MWBO und die fruchtvolle gemeinsame Erarbeitung der genannten Leitlinien kennzeichnen die Entwicklung einer Konvergenz zwischen Internistischen und Orthopädischen Rheumatologen. Sie zeigen Wege für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Orthopäden und Unfallchirurgen und Orthopädischen Rheumatologen einerseits und Internistischen Rheumatologen andererseits auf.
Aktueller Stand der Novellierung
Die Novellierung der Weiterbildungsordnung ist weit vorangeschritten. Die Fachgesellschaften haben die Novelle konsentiert, die Gremien der wissenschaftlichen Gesellschaften Orthopädie und Unfallchirurgie haben zugestimmt. Die Bundesärztekammer mit der Ständigen Kommission Weiterbildung hat ihre Zustimmung 2018 erteilt, eine „Musterweiterbildungsordnung“ liegt vor. Der Ärztetag 2018 hat die neue Definition der Orthopädischen Rheumatologie verabschiedet. Alle Weiterbildungskommissionen der Landesärztekammern haben beschlossen, die MWBO Orthopädische Rheumatologie unverändert in die Weiterbildungsordnungen der Länder zu übernehmen. Die Beschlussfassungen der Kammerversammlungen stehen noch aus, werden aber bis 2020 erwartet. Die Zustimmung der Landesgesundheitsministerien wird das Verfahren abschließen.
Chancen für die Zukunft
Mit der neuen Definition und den neuen Inhalten der Orthopädischen Rheumatologie eröffnet sich für alle konservativen Disziplinen unseres Fachs die Chance, ein gemeinsames Ausbildungsziel zu etablieren. Die Orthopädische Rheumatologie steht auf Augenhöhe mit den großen operativen Zusatzweiterbildungen Spezielle Unfallchirurgie und Spezielle Orthopädische Chirurgie. Sie kann einen starken Komplementär für den operativen Teil unseres Fachgebiets darstellen – und gewinnt Kraft und Sichtbarkeit durch gemeinsames Handeln.
Der konservative Orthopäde ist kein „Nicht-Operateur“. Er soll in Zukunft ein Orthopädischer Rheumatologe sein – ein Spezialist!
Die DGOU hat eine Task-Force eingesetzt, in der sich die Vorsitzenden und Präsidenten der orthopädischen Sektionen und wissenschaftliche Gesellschaften konservativer Orthopädie zusammengeschlossen haben. Sie verfolgt die Ziele:
gemeinsame Vertretung konservativer Disziplinen
gemeinsame aktive Gestaltung der Weiterbildung Orthopädische Rheumatologie
gemeinsame Veranstaltungen bei den großen Kongressen.
Nach der inhaltlichen Neuorientierung der Orthopädischen Rheumatologie wird die Frage der Weiterbildungsermächtigungen zu beleuchten sein. Es ist damit zu rechnen, dass die bisher Ermächtigten in den meisten Fällen auch die ergänzten konservativen Inhalte werden weiterbilden können. Dennoch wird man Konditionen zu Verbundweiterbildungsermächtigungen erarbeiten müssen. Darüber hinaus kann man damit rechnen, dass Kolleginnen und Kollegen in Praxen und Kliniken die Voraussetzungen nachweisen können, die die neue WBO abverlangt – denen aber nach WBO 2003 z.B. wegen 3-jähriger Weiterbildungszeit (MWBO 2 Jahre!) oder wegen hoher Zahl nachzuweisender Operationen der Weg zur Prüfung versperrt blieb. Wünschenswert erscheinen Übergangsbestimmungen, wie sie in der Vergangenheit in zahlreichen Weiterbildungsgängen eingerichtet wurden.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Wolfgang Rüther
Klinik und Poliklinik für Orthopädie Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf
Klinikum St. Adolf Reinbek
Hamburger Straße 41, 21465 Reinbek