Originalarbeiten - OUP 09/2018

Digitale Transformation der Medizin
Brauchen wir ein Curriculum 4.0 für die Aus-, Fort- und Weiterbildung?Do we need a Curriculum 4.0 for education and training?

Sebastian Kuhn1, Florian Jungmann2, Kim Deutsch1, Philipp Drees1, Pol Maria Rommens1

Hintergrund und Ziel der Arbeit: Die digitale Transformation ist ein aktuell stattfindender, fundamentaler Wandlungsprozess des medizinischen Versorgungssystems. Aber worin bestehen die Veränderungen, und welche Kompetenzen benötigen Ärzte, um im digitalen Zeitalter effektiv handeln zu können? Der Beitrag möchte zum einen die Veränderungen und die hierfür notwendigen Kompetenzen
beleuchten, die Ärzte im Allgemeinen und Orthopäden und Unfallchirurgen im Spezifischen benötigen. Zum anderen wird das erste deutschsprachige „Curriculum 4.0“ vorgestellt, welches die digitale Transformation im Medizinstudium abbildet.

Methoden: Das Blended-learning-Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ adressiert in 5 Modulen die diversen Transformationsprozesse der Medizin von digitaler Kommunikation über Smart Devices und medizinische Apps,
Telemedizin, virtuelle/augmentierte und robotische Chirurgie bis hin zu Künstlicher Intelligenz und Big Data.

Ergebnisse: Die Evaluation des Kurskonzepts erfolgte sowohl qualitativ als auch quantitativ und demonstriert einen Kompetenzgewinn in den Bereichen „Wissen“ und „Fertigkeiten“ sowie eine differenziertere „Haltung“ nach Kursabschluss.

Diskussion: Die didaktische Vermittlung digitaler Kompetenzen ist ein relevanter Bestandteil der Weiterentwicklung des Medizinstudiums und der Fort- und Weiterbildung. Bei der Entwicklung dieser Curricula muss jedoch auch die hohe
Geschwindigkeit des Veränderungsprozesses der digitalen Transformation beachtet und eine curriculare Anpassung im Sinne eines „agility by design“ bereits bei der Konzeption ermöglicht werden.

Schlüsselwörter: digitale Transformation, Telemedizin, Big Data, Künstliche Intelligenz, Curriculum

Zitierweise
Kuhn S, Jungmann F, Deutsch K, Drees P, Rommens PM: Die Digitale Transformation der Medizin. Brauchen wir ein Curriculum 4.0 für die Aus-, Fort- und Weiterbildung?
OUP 2018; 7: 453–458 DOI 10.3238/oup.2018.0453–0458

Background and goal of the work: The digital transformation is a currently occurring, fundamental transformation process of the medical system. But what are the changes? What skills do doctors need to be able to act effectively in the digital age?

First, the article aims to address the changes and the competences, which physicians in general and orthopedic and trauma surgeons need. Secondly, the first German „Curriculum 4.0“ is presented, which depicts the digital transformation in medical studies.

Methods: The blended learning curriculum „Medicine in the Digital Age“ addresses in five modules the diverse transformation process. It covers topics ranging from digital communication, smart devices and medical apps, telemedicine, virtual, augmented, robotic surgery to artificial intelligence and big data.

Results: The evaluation of the course concept was both qualitative and quantitative and demonstrates a gain in competence in the areas of „knowledge“ and „skills“ as well as a more differentiated „attitude“ after completion of the course.

Discussion: The teaching of digital skills is a relevant component of future curriculum development in medical studies and also a challenge for continuing medical education. In the development of these curricula, the speed of the transformation process must be considered. A curricular adaptation in the sense of an „agility by design“ is hereby a purposeful approach.

Keywords: digital transformation, telemedicine, big data,
artificial intelligence, curriculum

Citation
Kuhn S, Jungmann F, Deutsch K, Drees P, Rommens PM: Digital Transformation of Medicine. Do we need a Curriculum 4.0
for education and training?
OUP 2018; 7: 453–458 DOI 10.3238/oup.2018.0453–0458

1 Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

2 Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Hintergrund und Ziel
der Arbeit

Die Digitalisierung einzelner Prozesse findet bereits seit über 30 Jahren im klinischen Kontext statt. Der Wandel von analogen Akten hin zu elektronischen Systemen in Praxen und Kliniken und die Einführung der Teleradiologie sind hierbei bekannte und weitgehend flächendeckend implementierte Beispiele. Die
digitale Transformation geht jedoch weit über die Digitalisierung hinaus. Sie bezeichnet einen fortlaufenden, in digitalen Technologien begründeten, Veränderungsprozess, der nicht nur Patienten, Gesundheitsberufe und Ärzteschaft umfasst, sondern das gesamte Gesundheitssystem.

Das Informationsverhalten von Patienten und Ärzten hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Durch die breite Verfügbarkeit des Internets greifen zahlreiche Patienten auf Informationsquellen wie wikipedia.org, apotheken-umschau.de oder netdoktor.de zu und informieren sich zunehmend. Insgesamt „googeln“ etwa 60 % der Patienten jeweils vor oder nach einem Arztbesuch [7]. Durch die nicht eindeutig zu erkennende Güte der unterschiedlichen Quellen gibt es von Seiten der Patienten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der gesammelten Informationen [7]. Neben der Befragung von „Dr. Google“ gibt es neuartige mobile Apps, die unter Zuhilfenahme sogenannter KI-Chatbots die Symptome der Patienten/Anwender strukturiert abfragen, um so zu einer wahrscheinlichen Verdachtsdiagnose mit Differenzialdiagnosen zu gelangen. KI-Chatbots wie Ada Health, Babylon oder Your.MD sind Dialogsysteme, die in Chat-Form meist mittels textbasierter Kommunikation den Austausch mit Künstlichen Intelligenzen ermöglichen. Neben der zunehmenden Nutzung unter medizinischen Laien sind Nutzungsszenarien auch auf Expertenebene denkbar.

In einer 2015 durchgeführten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Video-Sprechstunde“ gaben 45 % der Patienten an, ein solches Angebot zumindest partiell nutzen zu wollen [20]. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen, mit Lockerung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung, ist der Weg frei für derartige telemedizinische Behandlungskonzepte, auch ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt [10]. Diese Entscheidung wird mit großer Sicherheit einen Ausbau telemedizinischer Strukturen beschleunigen. Neben der wünschenswerten Einrichtung von Videosprechstunden mit Integration in den Praxisalltag bzw. in den klinischen Workflow werden mutmaßlich neue Akteure in den Markt drängen. Analog zu den 4 etablierten Ärzte-eigenen Call-Centern in der Schweiz (concordiaMed, Medgate, Medi24 und santé24) werden neue, durch Ärzte betriebene, telemedizinische Firmen/Sparten entstehen. Neuerdings wird in der Schweiz eine Zugangsmöglichkeit zum ärztlichen Notfalldienst durch eine kostenlose mobile App (Doccall) angeboten [5].

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