Informationen aus der Gesellschaft - OUP 07-08/2014
Eröffnungsrede von Prof. Andrea Meurer62. Jahrestagung der VSOU in Baden-Baden
Verstehen Sie mich recht, kostenbewusstes Handeln im Gesundheitswesen ist, dort wo es hingehört, sinnvoll und gut, wenn es bedeutet, eine indizierte Maßnahme effizient und kostenbewusst umzusetzen.
Die wirtschaftliche Lage ist an vielen Kliniken schlecht. Alfred Dänzer, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, berichtete kürzlich, dass jedes 2. Krankenhaus rote Zahlen schreibe und nur jede 8. Klinik ihre Lage als stabil einschätze.
Die Uniklinika unterscheiden sich strukturell, nicht nur wegen der zusätzlichen Aufgaben in Forschung und Lehre. Die Hälfte von ihnen ist nach einem Bericht des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) existenziell bedroht.
Sie können sich nicht spezialisieren wie Fachkliniken, können nicht profitable Patienten herauspicken, sondern müssen zu jeder Zeit alles vorhalten, um höchst komplexe und teure Fälle versorgen zu können. Das heißt, bei gleichem Preis generieren sich extrem unterschiedliche wirtschaftliche Effekte. Hinzu kommt ein Extrem-Kosten-Problem: wenige hochkomplexe Fälle konzentrieren sich in diese Häusern und verursachen Kosten, die das DRG-System nicht deckt. Dazu kommen zu geringe Investitionsmittel, gedeckelte Budgetpreise bei steigenden Tarifen, Energie- und Pharmakosten usw. Die Liste der Ursachen ist lang und Ihnen allen bestens bekannt.
Verzeihen Sie mir, dass ich eine Lanze für die Universitätsmedizin brechen möchte, Sie werden verstehen, dass mein Blick hier sicherlich getrübt ist:
Von 2000 Krankenhäusern in Deutschland sind nur 32 Universitätskliniken. Diese versorgen jedoch 10 % aller Patienten. Grundlagenforschung, Erstanwendung von Medikamenten, klinische Studien erfolgen meist hier. Nahezu alle Ärztinnen und Ärzte werden hier im Studium ausgebildet, viele durchlaufen Facharztausbildung und Weiterbildungen hier.
Das System ist in Schieflage, bietet falsche Anreize und braucht eine dringende Überarbeitung. Rudolf Virchow hat einmal geschrieben, dass Mediziner nur der genannt werden kann, der als den letzten Zweck seines Strebens das Heilen betrachtet.
Lassen Sie es mich noch etwas pathetischer sagen: Unsere Aufgabe ist einzig und allein die Heilung von Patienten. Ob und wie sich dies rechnet, ist Sache der Ökonomen. Und wieviel Heilung zu welchem Preis gewünscht ist, ist zutiefst eine gesellschaftspolitische Frage und keine ökonomische. Der Druck im System zeigt sich in den Schlagzeilen der Presse, in denen versucht wird, durch gegenseitige Schuldzuweisungen Entlastung von der Verantwortung für diese Fehlentwicklungen zu suchen.
Da titeln Schlagzeilen, es werde zu viel operiert in Deutschland, fragwürdige Zielvereinbarungen werden lesbar, die Zahl der Komplikationen wird öffentlich und zusammenhanglos angeprangert, von Zuweisungsprämien steht zu lesen. Ob das unseren Patienten Zutrauen gibt und Sicherheit vermittelt?
Und es geht noch weiter: Versagende Implantate, Ärztepfusch, Gift im Körper titeln Schlagzeilen. Noch nie in meiner aktiven Zeit war die Verunsicherung der Menschen so groß wie eben heute. Das Bedürfnis nach Zweit-, Dritt-, Viert-Meinung ist immens. Dr. Google tut sein übriges, Zweitmeinungs-Portale sprießen. Und so kommen Bücher auf den Markt, in denen kritisch zu lesen steht, wir hätten den Eid gebrochen und es sei am rentabelsten, nur noch die Gesunden zu behandeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das tut uns und unserem angesehenen Berufsstand nicht gut. Und wir laufen Gefahr, das Wesentlichste unserer Arbeit zu verlieren – die Nähe und das Vertrauen unserer Patienten.
Es tut Not, die vielfältigen und erfolgreichen Qualitätsinitiativen stärker publik zu machen und zu zeigen, dass wir uns längst und intensiv um die Qualität unserer Arbeit bemühen. Und wir müssen gemeinsam und nicht gegeneinander mit allen Beteiligten nach praktikablen Lösungen suchen und uns geschlossen einem System widersetzen, das solche Blüten treibt.
Chancengleichheit
Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat auch zu tun mit Chancengleichheit. Stellen Sie sich eine Studentin und einen Studenten vor. Glauben Sie, dass heute beide in unserem Fach voll und umfänglich die gleichen Chancen haben? Als ich vor einigen Jahren einen Vorsitz hatte, kündigte mein Co-Vorsitzender einen Herrn als Frau an, so groß war die Sorge, politisch korrekt zu sein und ich dachte: Eine neue Zeit hat begonnen!
Auf den ersten Blick schon, wir alle kennen die Zahlen. 70 % der Studienanfänger sind weiblich, nahezu gleichviele sind Bewerber für eine Assistentenstelle. Die Orthopädinnen haben eine eigene Vereinigung gegründet, in Kongressprogrammen sind Frauen gleichhäufig zu finden wie Männer. Aber Oberärztinnen, Habilitandinnen in chirurgischen Fächern sind unter 10 %. Und Chefärztinnen oder gar Vorstandsmitglieder in den Fachgesellschaften ... handverlesen!
Man stellt sich dem Thema durchaus bewusst; dass ich hier heute stehe, zeigt es. Dass wir es so thematisieren, zeigt aber auch, wie wenig selbstverständlich es letztlich doch noch ist.
Woran liegt das?
Es drängt sich die Frage auf, ob es erstens wirkliche Chancengleichheit gibt und zweitens geben kann. Resultiert das Bemühen um Chirurginnen wirklich aus einem neuen Verständnis heraus oder entspringt es mehr der Sorge um männlichen Nachwuchsmangel und einem daraus resultierenden Zwang, um Personallücken zu vermeiden?
Eine ältere Umfrage ergab, dass Frauen in chirurgischen Fächern weniger häufig zu Operationen eingeteilt wurden als ihre männlichen Kollegen und sie eher für die Stationsarbeit und Ambulanzen eingeteilt wurden. Das Gefühl ist verbreitet, dass sie den Kollegen den Rücken freihalten sollen, damit diese forschen oder operieren können.
Die Analyse dieser Situation ist vielschichtig, hat nach meinem Gefühl aber heute weniger als damals mit einem Akzeptanzproblem durch männliche Kollegen zu tun, denn Frauen sind in unserem Fach heute eine Alltagserscheinung geworden.
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