Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016
Evaluation der Knorpelqualität am TalusKompressionsinduzierte Strömungspotenziale (SPI) und Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)Compression-induced streaming potentials (SPI) and near infrared spectroscopy (NIRS)
Die in diesem Beitrag vorgestellten Geräte zur Messung kompressionsinduzierter Strömungspotenziale (Arthro BST, Biomomentum Inc., Laval, Kanada, Abb. 1) und von NIR-Spektren (arthrospec one, arthrospec GmbH, Jena, Deutschland, Abb. 2) sind als diagnostische Untersuchungsgeräte mit dem CE-Zeichen in Europa zugelassen. Die Nahinfrarotspektroskopie wurde bereits von einer Arbeitsgruppe um Spahn et al. für die Anwendung am Knie ausgiebig experimentell und klinisch evaluiert [8, 13, 17–20]. Die Messung kompressionsinduzierter Strömungspotenziale am Knie erfolgte in experimentellen Studien durch die Arbeitsgruppe der Entwickler und durch die Autoren dieses Beitrages [11, 15, 16, 21]. Klinische Anwendungsdaten liegen hierfür noch nicht vor. Für die Untersuchung am Talus sind für beide Geräte weder experimentell noch klinisch Daten vorhanden.
Ziel dieser Arbeit war, entsprechend zu evaluieren ob
- 1. die Messung kompressionsinduzierter Strömungspotenziale und die Messung von NIR-Spektren zur Bestimmung der Knorpelqualität am Talus im Hinblick auf die Reproduzierbarkeit zwischen verschiedenen Untersuchern reproduzierbare Ergebnisse liefert und
- 2. eine Korrelation der Ergebnisse mit dem klinischen ICRS-Score [1] und dem histologischen Mankin-Score [22] besteht.
Material und Methode
Arthro-BST – kompressionsinduzierte Strömungspotentiale (SPI)
Diese Technik macht sich die elektrischen Eigenschaften des Knorpels zunutze. Durch leichte Kompression des Knorpels mit einer Tastsonde (Abb. 1) werden positiv geladene Ionen von den im Kollagennetzwerk sitzenden negativ geladenen Proteoglykanen abgestoßen (Abb. 3). Diese Bewegung erzeugt einen elektrisch messbaren Gradienten (Strömungspotenzial) und wird durch 37 Mikroelektroden detektiert, die am sphärischen Kopf der Tastsonde angebracht sind. Der in mV × mm3 gemessene quantitative Wert liefert Aussagen über die Struktur, Zusammensetzung und Funktion des gemessenen Knorpelareals. Bei geschädigtem Knorpel mit nicht intaktem Kollagennetzwerk und Verlust an Proteoglykanen wird ein abnormaler Wert angezeigt [16, 21, 23].
Arthrospec one
– Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)
Per Definition versteht man unter NIR (Nahinfrarot) einen Wellenlängenbereich des kurzwelligen Lichts zwischen 760 und 2500 nm. Die Infrarotspektroskopie ist ein Analyseverfahren, bei dem bestimmte Materien aufgrund ihrer Interaktion mit elektromagnetischen Wellen einem bestimmten Referenzspektrum zuzuordnen sind. Im Lichtbereich der NIRS handelt es sich hauptsächlich um Interaktionen mit Wasser, CH-, NH- und OH-Gruppen. Abhängig von der benutzten Wellenlänge, Beschaffenheit und Dichte des verwandten Materials kann das Licht bis zu einigen Zentimetern tief eindringen [8].
Die bei jeder Messung mit der Tastsonde aufgezeichneten NIR-Spektren werden mit einer speziellen Software berechnet. Hierbei kommen Algorithmen zum Einsatz, welche eigens für die NIR-Spektren entwickelt worden sind, sodass der relative Endwert (NIRrel) in Zusammenhang mit der Knorpelqualität gesetzt werden kann [13, 18].
In mehreren Untersuchungen wurde eine Korrelation der am Knorpel gemessenen veränderten NIR-Werte mit den biochemischen, biomechanischen und histologischen Eigenschaften des Knorpels gefunden [8, 18]
Studienablauf
Die Studie erfolgte experimentell in-vitro an 10 frischen humanen Tali. Die Tali wurden extrahiert und in einer speziell angefertigten Vorrichtung befestigt [15]. An jedem Talus wurden 9 Messpunkte markiert (Abb. 4) und die Knorpelqualität jeweils makroskopisch von einem in der Knorpeltherapie erfahrenen Facharzt durch den ICRS-Score bestimmt. Danach führten 3 unabhängige Untersucher jeweils 3 Messungen an jedem Untersuchungspunkt aus. Die Untersuchung der Strömungspotenziale (streaming potential integrals, SPI) und NIR-Spektren erfolgte durch manuelle Kompression des Knorpels an den Messpunkten mit den dafür vorgesehenen Tastsonden der Geräte wie bereits beschrieben [13, 15].
Anschließend wurden 36 Knorpelzylinder an verschiedenen Messpunkten entnommen und nach entsprechender Bearbeitung eine H.E.- und Safranin-O-Färbung zur Bestimmung des Mankin-Scores durchgeführt.
Zur Beantwortung der Hypothesen wurden die Inter-Untersucher-Reliabilität mit dem Intraklassen-Korrelationskoeffizienten (ICC) und die Intra-Untersucher-Reliabilität mit einem Pearson-Test bestimmt. Die Korrelation der Messwerte mit dem ICRS-Score und Mankin-Score erfolgte ebenfalls durch den Pearson-Test.
Ergebnisse
Die Knorpeldicke der Präparate lag in
einem Bereich zwischen 0,6 mm und 1,6 mm. Bei Bestimmung des ICRS-Grads ergaben sich hauptsächlich geringe Knorpelschäden der Grade 0–1 (n = 90, davon ICRS-Grad 0: n = 58, ICRS-Grad I: n = 17, ICRS-Grad II: n = 3, ICRS-Grad III: n = 11, ICRS-Grad IV: n = 1).
In Bezug auf die Reproduzierbarkeit der gemessenen Werte zeigte sich eine signifikante (p ? 0,001) Korrelation zwischen den Messungen der Untersucher mit einem ICC von 0,87 (0,77–0,93) für die SPI-Messungen und 0,76 (0,63–0,85) für die NIR-Messungen.
Es zeigte sich eine mäßige Intra-Untersucher-Reliabilität für die SPI-Messungen mit teilweise größeren Unterschieden zwischen den Untersuchungen der einzelnen Untersucher (Minimum: 0,48; Maximum: 0,84). Für die NIR-Messungen waren die Unterschiede zwischen Untersuchungen der einzelnen Untersucher dagegen gering (Minimum: 0,88; Maximum: 0,96). Die durchschnittliche Anzahl der Fehlmessungen (kein Wert erfasst) lag bei den NIR-Messungen bei 4 %, bei den SPI-Messungen allerdings bei 49 %.
Zwischen den erhobenen Scores (ICRS- und Mankin) und den Mittelwerten der SPI- und NIR-Messungen wurden keine statistisch signifikanten Korrelationen festgestellt.
Diskussion
Standardisierte Methoden zur objektive Bestimmung der Qualität des Knorpels in Bezug auf Schädigung oder Knorpelersatzgewebe nach Reparatur sind für Kliniker wie auch Forscher von Bedeutung. Allerdings haben die bisherigen Methoden mit den gängigen Klassifikationen und einer Interobserver-Reliabilität von 0,55–1 in Abhängigkeit des Defektgrads erhebliche Limitationen [6, 24, 25]. Histologische und invasiv biomechanische Methoden wären zur Qualitätsbestimmung geeignet, sind aber in der klinischen Anwendung im Alltag nicht anwendbar.