Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Geriatrische TibiakopffrakturenVon konservativer Therapie bis zur primären Endoprothetik
Henning Lange, Josef Heumann, Markus Peyerl
Zusammenfassung:
Geriatrische Tibiakopffrakturen stellen aufgrund von Osteoporose, fragilen Weichteilen und Multimorbidität eine besondere Herausforderung dar. Während die Osteosynthese weiterhin der Goldstandard ist, bietet die primäre Endoprothetik eine vielversprechende Alternative bei komplexen Frakturen mit ausgeprägten Defekten, vorbestehender Gonarthrose oder fehlender Möglichkeit zur Teilbelastung. Die frühzeitige Mobilisierung ist bei geriatrischen Patientinnen und Patienten essenziell. Beide Verfahren bergen spezifische Risiken, die bei der Therapiewahl sorgfältig abgewogen werden müssen. Eine präzise operative Planung und sorgfältige Patientenselektion sind entscheidend, um optimale funktionelle Ergebnisse zu erzielen.
Schlüsselwörter:
Alterstraumatologie, geriatrische Tibiakopffrakturen, Frakturendoprothetik, Osteosynthese
Zitierweise:
Lange H, Heumann J, Peyerl M: Geriatrische Tibiakopffrakturen. Von konservativer Therapie bis zur primären Endoprothetik
OUP 2025; 14: 55–60
DOI 10.53180/oup.2025.0055-0060
Summary: Geriatric tibial plateau fractures pose a significant challenge due to osteoporosis, fragile soft tissues, and multimorbidity. While open reduction and internal fixation remains the gold standard, primary arthroplasty offers a promising alternative for complex fractures with severe defects, pre-existing osteoarthritis, or the inability to comply with partial weight-bearing. Early mobilization is crucial, especially for geriatric patients. Both procedures involve specific risks that must be carefully weighed when selecting the appropriate therapy. Precise surgical planning and thorough patient selection are essential for achieving optimal functional outcomes.
Keywords: Trauma surgery, geriatric tibial plateau fractures, fracture arthroplasty, open reduction and internal fxation
Citation: Lange H, Heumann J, Peyerl M: Geriatric tibial plateau fractures. From conservative management to primary arthroplasty
OUP 2025; 14: 55–60. DOI 10.53180/oup.2025.0055-0060
Klinikum Ingolstadt
Einleitung
Mit der alternden Bevölkerung und steigender Lebenserwartung nehmen die Herausforderungen in der Behandlung geriatrischer Frakturen stetig zu. Tibiakopffrakturen stellen eine besondere Problematik dar, da sie durch Faktoren wie Osteoporose und Multimorbidität geprägt sind. Während bei jüngeren Patientinnen und Patienten die anatomische Wiederherstellung der Achse und Gelenkfläche im Vordergrund steht, sind in der Alterstraumatologie die frühzeitige Mobilisierung, Schonung der Weichteile und Vermeidung perioperativer Risiken entscheidend. Diese Anforderungen erfordern ein individualisiertes operatives Vorgehen. Die Osteosynthese bleibt das Standardverfahren zur Behandlung geriatrischer Tibiakopffrakturen, da sie eine stabile Fixation und Wiederherstellung der Gelenkfunktion ermöglicht. Die primäre Endoprothetik bietet jedoch eine sinnvolle Alternative für ausgewählte Patientinnen und Patienten, insbesondere bei schwerer Gelenkflächendestruktion, vorbestehender Gonarthrose oder fehlender Möglichkeit zur Teilbelastung. Dieser Artikel beleuchtet die spezifischen Herausforderungen und Therapiemöglichkeiten geriatrischer Tibiakopffrakturen.
Epidemiologie
Tibiakopffrakturen machen etwa 1 % aller Frakturen aus, mit einer Gesamtinzidenz von 10,3 pro 100.000 Personen jährlich. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz insbesondere bei Patientinnen deutlich an und erreicht bis zu 32 pro 100.000 Personen jährlich, während der Anstieg bei männlichen Patienten vergleichsweise geringer ausfällt [1]. Zwischen 2009 und 2019 erhöhte sich die Inzidenz proximaler Tibiafrakturen um 9 %, wobei 71 % der Fälle in der Altersgruppe über 70 Jahre auftraten [2].
Frauen sind aufgrund der höheren Osteoporoseprävalenz besonders betroffen; etwa ein Viertel der Tibiakopffrakturen steht in Verbindung mit Osteoporose oder Osteopenie [3]. Diese Verletzungen entstehen meist durch Niedrigenergietraumata wie Stolperstürze. Hochenergietraumata sind bei älteren Menschen seltener, nehmen jedoch mit der zunehmenden Mobilität – etwa durch E-Bikes – zu. In der geriatrischen Patientengruppe dominieren Schatzker-Typ-II-Frakturen mit lateraler Säulenkompression [4] (Abb. 1a, 1b), deren Entstehung maßgeblich durch Osteoporose und die reduzierte Stabilität der subchondralen Knochenstruktur beeinflusst wird. Die Prävalenz einer Gonarthrose liegt in der Altersgruppe der 70- bis 74-Jährigen bei bis zu 40 % [5]. Eine bestehende Gonarthrose und die damit eingeschränkte Beweglichkeit erhöhen das Frakturrisiko zusätzlich, da der kraftabsorbierende Reservebewegungsspielraum und die Gelenkelastizität reduziert sind [6].
Diagnostik
Anamnese und klinische
Untersuchung
Bei der Anamnese sollten Unfallmechanismus, Beschwerden sowie Begleiterkrankungen wie Osteoporose oder Gonarthrose systematisch erfasst werden. Vorerkrankungen und der bisherige Mobilitätsgrad sind entscheidend für die Therapieplanung. Besonders bei geriatrischen Patientinnen und Patienten ist die Beurteilung der Weichteilverhältnisse wichtig: Hautatrophie, eingeschränkte Durchblutung und häufige Ödeme verschlechtern die Weichteilsituation und erhöhen das Risiko für Wundheilungsstörungen und Infektionen. Bei ausgeprägter Weichteilschädigung oder schlechter Durchblutung sollten Osteosynthese und primäre Endoprothetik sorgfältig abgewogen werden, um Komplikationen zu vermeiden.
Bildgebung
Eine Röntgenaufnahme in 2 Ebenen bildet die Basisdiagnostik. Bei Frakturnachweis sollte zur genauen Beurteilung der Morphologie, Gelenkbeteiligung und Knochendefekte eine Computertomografie (CT) mit 3D-Rekonstruktion erfolgen. Sie gilt als Goldstandard und ist besonders für die präoperative Planung entscheidend. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) liefert in speziellen Fällen zusätzliche Informationen, insbesondere zur Erkennung von Begleitverletzungen wie Meniskus- oder Bandläsionen, die bei bikondylären Frakturen häufig auftreten [7]. Eine MRT wird bei tiefen Gelenkstufen, Randimpressionen, großen Gelenkspalten oder Verdacht auf Luxationsfraktur empfohlen [8]. Gleichwohl genießt die MRT im geriatrischen Patientengut nicht den Stellenwert wie bei jüngeren Patientinnen und Patienten, da hier die Diagnostik und Therapie der o.g. Begleitverletzungen relevanter ist.
Osteoporosediagnostik
Eine Knochendichtemessung bei geriatrischen Tibiakopffrakturen wird empfohlen, da reduzierte Knochendichte die Frakturversorgung beeinträchtigt und Komplikationen begünstigt. Die frühzeitige DXA-Diagnostik ermöglicht eine gezielte Osteoporosebehandlung und verbessert das klinische Outcome [9].