Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025

Geriatrische Tibiakopffrakturen
Von konservativer Therapie bis zur primären Endoprothetik

Die Klassifikation geriatrischer Tibiakopffrakturen orientiert sich an etablierten Systemen wie der AO- und Schatzker-Klassifikation, welche osteoporotische Veränderungen bislang nicht berücksichtigen. Die AO-Klassifikation teilt Tibiakopffrakturen in die Gruppe 41, die weiter in extraartikuläre (41-A), partielle (41-B) und vollständige Gelenkfrakturen (41-C) unterteilt wird [10]. Während 41-B-Frakturen Spalt- oder Impressionstypen umfassen, zeichnen sich 41-C-Frakturen durch mehrfragmentäre Brüche mit vollständiger Gelenkflächenbeteiligung aus. Im geriatrischen Patientengut sind B2– und C3-Frakturen besonders häufig und verdeutlichen die Komplexität dieser Verletzungen [9]. Die Schatzker-Klassifikation umfasst 6 Frakturtypen [11]: Typ I sind Spaltfrakturen der lateralen Säule, Typ II Spaltfrakturen mit Impression, Typ III reine Impressionsfrakturen. Typ IV betrifft die mediale Säule, Typ V bikondyläre Frakturen und Typ VI umfasst Frakturen mit Trennung von Metaphyse und Diaphyse. Typ-II-Frakturen sind, wie oben ausgeführt, bei geriatrischen Patientinnen und Patienten am häufigsten (54,74 %) [4]. Das Dreisäulenmodell teilt den Tibiakopf in anterolaterale, anteromediale und posteriore Säulen [12]. Die 10-Segmentklassifikation erweitert dies auf 10 spezifische Zonen [13]. Beide Systeme unterstützen die Beurteilung komplexer Frakturen und die präoperative Planung, insbesondere die Wahl des Zugangswegs.

Therapieoptionen

Konservative Therapie

Die konservative Behandlung findet vor allem Anwendung bei stabilen, nicht dislozierten Frakturen oder bei erheblichen Kontraindikationen für operative Eingriffe [8]. Sie besteht in der Ruhigstellung des Kniegelenks mittels Orthese oder Gipsverband sowie einer Mobilisation unter Teilbelastung. Aufgrund der mit Immobilität verbundenen Risiken und der Notwendigkeit einer hohen Compliance wird dies nur in Ausnahmefällen angewandt.

Operative Therapie

Die operative Therapie verfolgt das Ziel der frühzeitigen Mobilisation zur Vermeidung immobilitätsbedingter Komplikationen, eine komplikationslosen Ausheilung der Fraktur [14], der Schonung der Weichteile zur Minimierung von Infektionen sowie die Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Dies sollte möglichst als einmaliger Eingriff ohne Folgeoperationen als sog. „single shot surgery“ erfolgen [15]. Zur Stabilisierung osteoporotischen Knochens und Unterstützung der Frakturheilung werden zunehmend resorbierbare Knochenzemente (z.B. Cerament®, Fa. Bonesupport) sowie Knochenersatzmaterialien (z.B. Vitoss®, Fa. Stryker) eingesetzt (Abb. 1c).

Fixateur externe

Ein Fixateur externe wird bei instabilen Tibiakopffrakturen häufig temporär eingesetzt. Dies ermöglicht die Weichteilkonsolidierung bis zur definitiven Versorgung (Abb. 2a). Wenn eine Prothese geplant ist, sollte bei der Platzierung der Pins ausreichend Abstand zum Gelenk eingehalten werden [16] oder gar vermieden werden, um das Risiko einer Infektion zu reduzieren.

Osteosynthese

Die offene Reposition und interne Fixation bleibt, analog zu jüngeren Patientinnen und Patienten, der Standard in der Behandlung von Tibiakopffrakturen (Abb. 1c) [8, 15, 16]. Auch bei geriatrischen Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Knochenqualität ermöglichen moderne Techniken gute funktionelle Ergebnisse [17]. Die frühzeitige Mobilisation und die Wiederherstellung der biomechanischen Achse sind entscheidend. Winkelstabile Systeme werden routinemäßig eingesetzt, wobei minimalinvasive Techniken wie die eingeschobene Plattenosteosynthese die Invasivität reduzieren – ein entscheidender Vorteil für geriatrische Patientinnen und Patienten. Ergänzend ermöglicht die arthroskopisch-assistierte Osteosynthese eine Reposition der Gelenkfläche unter Sicht und ist vor allem bei weniger komplexen Tibiakopffrakturen (Schatzker I-III) empfehlenswert, da sie bessere klinische Ergebnisse, kürzere Krankenhausaufenthalte und die direkte Behandlung intraartikulärer Läsionen ermöglichen [18]. Zur Stabilisierung osteoporotischen Knochens und Unterstützung der Frakturheilung werden zunehmend resorbierbare Knochenzemente (z.B. Cerament®, Fa. Bonesupport) sowie Knochenersatzmaterialien (z.B. Vitoss® , Fa. Stryker) eingesetzt (Abb. 1b). Diese Materialien tragen dazu bei, das Risiko eines Implantatversagens zu minimieren und die Stabilität bei komplexen Frakturen mit großflächigen Knochendefekten zu verbessern. Studien zeigen, dass die Defektauffüllung mit Kalziumphosphat zu einer signifikant besseren mechanischen Stabilität führt, verglichen mit Spongiosa [19], zumal die autologe Beckenkammspongiosa aufgrund ihrer signifikanten Entnahmemorbidität im geriatrischen Patientenkollektiv weniger geeignet erscheint. Interessanterweise führt der Einsatz von Kalziumphosphatzement zu einer signifikanten Schmerzreduktion, die einen zusätzlichen Vorteil in der postoperativen Behandlung darstellt [20]. Die Marknagelosteosynthese wird vorwiegend bei extraartikulären Frakturen sowie Frakturen mit meta-/diaphysärer Beteiligung eingesetzt. Als intramedullärer Kraftträger bietet der Marknagel eine hohe mechanische Stabilität und ermöglicht durch seine minimalinvasive Einbringung eine Schonung der Weichteile. Allerdings ist dieses Verfahren nicht zur Rekonstruktion von Gelenkflächen oder zur Behandlung von Knochendefekten geeignet – Problematiken, die gerade im geriatrischen Patientengut häufig auftreten. In ausgewählten Fällen kann die Osteosynthese als Vorbereitung für einen späteren Gelenkersatz dienen. Ziel ist hierbei die vollständige Frakturheilung, um ein stabiles Knochenlager (bone stock) für eine spätere Endoprothese zu schaffen (Abb. 2a–c). Nach der Heilung kann so ggf. eine Prothese mit geringerem Kopplungsgrad implantiert werden, wodurch die Invasivität des Eingriffs reduziert wird (Abb. 2d). Dennoch zeigt die sekundäre Endoprothetik nach Tibiakopffraktur und Osteosynthese bei posttraumatischer Gonarthrose im Vergleich zur primären Endoprothetik ein schlechteres funktionelles Outcome [15].

Primäre Endoprothetik

Die primäre Knieendoprothese ist bei geriatrischen Tibiakopffrakturen eine vielversprechende Alternative zur Osteosynthese. Ihr entscheidender Vorteil liegt in der Möglichkeit der sofortigen Vollbelastung, wodurch die Mobilität gefördert und immobilitätsbedingte Komplikationen reduziert werden. Sie ist vor allem dann sinnvoll, wenn eine Teilbelastung nicht umgesetzt werden kann, was bekanntermaßen häufig ist [21]. Die Hauptindikationen für die primäre Endoprothetik umfassen nach Förch et al. eine vorbestehende symptomatische Gonarthrose sowie Frakturen, bei denen keine belastungsstabile Osteosynthese erreicht werden kann [16] . Ergänzend wird die primäre Endoprothetik bei vorbestehenden oder verletzungsbedingten Gelenkinstabilitäten empfohlen. Kontraindikationen umfassen hingegen aktive Infektionen, kritische Weichteilverhältnisse und einen defekten oder irreparablen Streckapparat [15]. Besonderes Augenmerk muss auf die umgebenden Weichteile gelegt werden, da Wundheilungsstörungen oder periprothetische Infektionen schwerwiegende Komplikationen mit erheblichen Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten nach sich ziehen können. Die Frakturendoprothetik erfordert fundierte Kenntnisse der Revisionsendoprothetik und sollte daher in spezialisierten Zentren erfolgen, um optimale Ergebnisse zu gewährleisten. Eine sorgfältige präoperative Planung, die richtige Implantatauswahl und die Durchführung der Operation unter optimalen Bedingungen sind essenziell. Eine notfallmäßige Versorgung innerhalb von 24 Stunden, wie sie bei hüftgelenksnahen Frakturen gemäß G-BA-Beschluss empfohlen wird [22], ist hierbei häufig nicht realistisch – vielmehr sollte eine gut reflektierte Planung nach unserer Einschätzung erfolgt sein. Ungekoppelte Prothesenmodelle (Oberflächenersatz) können bei reiner Gelenkflächenimpression mit geringem Knochendefekt genutzt werden. Für komplexe Frakturen, insbesondere bei ligamentären Begleitverletzungen, sind gekoppelte Prothesen erforderlich, da sie eine deutlich höhere Stabilität gewährleisten. Diese Stabilität ist gerade für geriatrische Patientinnen und Patienten von entscheidender Bedeutung, um eine frühzeitige Mobilität zu ermöglichen. Modulare Prothesensysteme bieten bei komplexen Frakturen mit ausgeprägten Defekten flexible Möglichkeiten zur Stabilisierung. Augmente und Sleeves können zur Stabilitätssteigerung eingesetzt werden, während Knochendefekte durch autologe Spongiosa aus reseziertem Knochen oder Knochenersatzmaterial gefüllt werden können. Bei größeren metaphysären Defekten wird häufig eine Schaftverlängerung genutzt. Die Zementierung erhöht die Primärstabilität des Implantats und ermöglicht somit eine sofortige postoperative Vollbelastung.

Nachbehandlung

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