Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024

Glenoiddefekte in der Primären und Revisionsendoprothetik des Schultergelenks
Metallischer oder knöcherner Aufbau mittels Allo- und Autograft

Zuletzt haben sich 2 weitere Glenoidimplantatkonzepte etabliert. Zum einen sind es die patientenindividuell hergestellten Implantate, die – ähnlich wie bei den individuellen Beckenteilersätzen im Rahmen der Hüftrevisionsendoprothetik – anhand eines CT angefertigt werden. Der Vorteil dieser Implantate besteht darin, dass auch sehr komplexe und ausgedehnte knöcherne Defekte, zumindest metallisch, aufgefüllt werden können. Auch Defekte, die aufgrund ihrer Morphologie nicht gut für eine knöcherne Defektauffüllung geeignet sind, wie z.B. C-Glenoide mit extremer Retroversion, können so technisch sicherer versorgt werden (Abb. 4, 5). Allerdings gibt es hierzu keine wissenschaftlichen Daten, ob in diesen seltenen Fällen patientenindividuelle Implantate vorteilhaft sind.

Zum anderen sind augmentierte Glenoide entwickelt worden, die es ermöglichen, bei vorhandenen knöchernen Defekten z.B. im Sinne einer vermehrten Retroversion eine knochensparende Implantation des Metal Backs zu gewährleisten. Soll beispielsweise eine vorhandene Retroversion des nativen Glenoids von 15° ausgeglichen werden, kann mit den entsprechenden Instrumenten in dieser 15°-Ebene gefräst und dann ein entsprechendes Metal Back mit 15°-Wedge implantiert werden, ohne einen Kompromiss hinsichtlich des Opferns von wertvoller Knochensubstanz eingehen zu müssen [4, 11]. Dies stellt einen deutlichen Vorteil gegenüber der bisherigen Technik dar, die in solchen Fällen ein Herunterfräsen auf die 0°-Ebene und anschließenden Aufbau mittels Knochenspan nach sich zog. Ein Defektaufbau mittels keilförmigem Span birgt den Nachteil, dass dieser beim Einschlagen an der dünneren Seite brechen kann und so nicht in der optimalen Position zu liegen kommt [5].

Knöcherner Glenoidaufbau

Ein knöcherner Glenoidaufbau bietet sich insbesondere in solchen Fällen an, in denen vor allem ein größerer medialisierender Knochendefekt vorliegt. Der zu implantierende Span hat dann idealerweise die Form eines Donuts. Zu dünne Späne bergen das Risiko einer Fraktur des Spans, zu dicke Späne sind unter Berücksichtigung der Peg-Länge des Glenoidimplantats nicht möglich, wenn eine Verankerung von etwa 10 mm des Pegs im nativen Glenoid gewährleistet werden soll. Je nach Implantathersteller liegt also der maximal mögliche knöcherne Aufbau nach lateral bei ca. 15 mm. Eine Spandicke von um 10 mm ist operationstechnisch möglicherweise optimal, um Span assoziierte Komplikationen zu vermeiden. Eine weitere gute Indikation für einen knöchernen Aufbau sind Defekte, bei denen der Kelch des Glenoids erhalten ist, aber der spongiöse Teil nicht mehr vorhanden ist, z.B. durch ein gelockertes zementiertes Glenoid, einem Typ 2 nach Gohlke entsprechend. Hierbei wird nicht ein struktureller Graft benötigt, sondern spongiöser Knochen zur Auffüllung des Defekts (Abb. 6–9).

Knöcherner Glenoidaufbau mit autologem strukturellem Graft

Handelt es sich um eine Primärimplantation und ist der Humeruskopf somit noch vorhanden, bietet sich dieser als Knochen für die Knochenspanherstellung optimal an. Zum einen ist er durch denselben operativen Zugang verfügbar, zum anderen bieten diverse Prothesenhersteller Instrumentarien an, um einen standardisierten Graft zu erzeugen. Es können in der Regel verschiedene Dicken und auch Winkel für einen keilförmigen Span gewählt werden. Prinzipiell wird im Bereich des Humeruskopfes an geeigneter Stelle eine Präparation analog zur Glenoidimplantation durchgeführt, das endgültige Glenoidimplantat dort eingesetzt und dann mit dem darunterliegenden Knochen als Span gewonnen. Nach entsprechender Präparation am nativen Glenoid erfolgt dann die endgültige Implantation (Abb. 10, 11). Ziel ist es, durch die Schrauben des Implantats eine gute Kompression auf den Span zu erreichen, um dadurch eine optimale knöcherne Integration zu fördern.

In Revisionsfällen oder bei insuffizientem Humeruskopf kann analog eine Knochengewinnung am Becken erfolgen [10]. Nachteilig ist hierbei die Morbidität durch den erforderlichen zweiten Zugang, die schlechte Zugänglichkeit des Beckens in der Beach Chair-Position insbesondere bei adipösen Patientinnen und Patienten sowie eine potentiell erforderliche Osteosynthese aufgrund der Größe des zu entnehmenden Spans. Hierdurch kommt es zu einer Verlängerung der Operationszeit. Auch ist die Morbidität in Folge des Zugangs zum Becken bei den zumeist älteren und möglicherweise eingeschränkt mobilen Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen. Singh berichtet über 41 Schultern mit guten klinischen und radiologischen Ergebnissen, die mittels Autograft vom Humerus oder Becken versorgt wurden. Insbesondere konnte eine hohe Rate der Integration des Grafts im CT nachgewiesen werden. Lediglich 3 Fälle verzeichneten eine Graft-Integration von unter 50 %. Die Abbildung 12 zeigt einen Fall aus dem eigenen Patientengut mit vollständiger knöcherner Integration 5 Jahre nach schaftfreier inverser TEP mit knöchernem Glenoidaufbau aus dem proximalen Humerus.

Knöcherner Glenoidaufbau mit Allograft

Als Alternative zum autologen Knochen steht auch ein Aufbau mit Allograft zur Verfügung. Allerdings ist nicht jeder Knochen geeignet bzw. aufgrund von medicolegalen Bestimmungen überall verfügbar. Als geeignet hat sich der thermodesinfizierte Hüftkopf herausgestellt. Wir verwenden ebenfalls thermodesinfizierte Hüftköpfe als Graft, allerdings hier vor allem den Schenkelhals. Zum einen weist dieser einen oft geeigneten Durchmesser als „Donut“ auf, zum anderen ist durch die vorhandene Kortikalis eine höhere Stabilität des Grafts gewährleistet, sodass das Risiko einer Fraktur bei der Erzeugung von Kompression auf den Span reduziert werden kann. Im Literaturvergleich scheint die Verwendung von Allograft jedoch schlechter in der knöchernen Integration abzuschneiden. Zu berücksichtigen ist jedoch die Heterogenität in der Gewinnung und Aufbereitung des Allografts und die oft kleinen Fallserien. Viswanath berichtet über 15 Schultern mit Allograft-Glenoidaufbau, die in derselben Institution und mit den gleichen Implantaten wie Singh versorgt wurden [12]. Bei den Allografts fand sich in 3 von 15 Fällen eine Graftintegration von unter 50 %, wobei in 2 dieser Fälle eine Infektion vorausgegangen war. Ob die vorliegenden Daten eine Abstufung von Allografts als „second best bone“ rechtfertigen, lässt sich abschließend nicht einordnen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass in vielen Fällen mit der Verwendung von Allograft eine Reduzierung der OP-Zeit und des perioperativen Risikos ohne einen zweiten Zugang zum Becken einhergeht, was eine möglicherweise niedrigere Integrationsrate des Knochenspans rechtfertigt. Die Abbildungen 13 bis 17 zeigen einen Fall aus dem eigenen Patientengut nach fehlgeschlagener Osteosynthese einer proximalen Humerusfraktur. Die sekundäre Dislokation des Kopffragmentes hat durch die dann freiliegenden Schrauben zu einem ausgedehnten
Defekt des ventralen Glenoidkelchs (Gohlke 3) geführt, der mittels thermodesinfiziertem Allograft aus einem Oberschenkelhals aufgefüllt wurde.

Zusammenfassung

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