Arzt und Recht - OUP 02/2013
Honorarabrechnung/Wirtschaftlichkeitsprüfung: Fristen als Notanker?
Der mit der Ausschlussfrist verbundene Schutz des Arztes, nicht zeitlich unbegrenzt für seine Verordnungen in Regress genommen werden zu können, liefe weitgehend leer, wenn nicht erst der Bescheid über einen Arzneikostenregress oder über die Ablehnung eines Arzneikostenregresses, sondern allein die Mitteilung, das Verordnungsverhalten eines Arztes werde geprüft, bereits die zugunsten des Arztes bestehende vierjährige Ausschlussfrist hemmen würde. Prüfungsausschuss/Prüfungsstelle könnten dann routinemäßig allen Ärzten, deren Verordnungsverhalten in irgendeiner Hinsicht auffällig ist, kurz nach Eingang bestimmter, auf die Auffälligkeit hindeutender Unterlagen, eine Mitteilung zuleiten, es sei mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu rechnen, mit der Folge, dass die Vertragsärzte ohne zeitliche Begrenzung damit rechnen müssten, dass gegen sie Kostenregresse festgesetzt würden.
Ausnahme
1: Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen
Soweit die Wirtschaftlichkeitsprüfung als Richtgrößenprüfung oder statistische Vergleichsprüfung durchgeführt wird und Quartale betroffen sind, in denen diese Prüfung von Amts wegen durchzuführen ist, kommt auch einem Antrag nicht die Wirkung zu, den Ablauf der Ausschlussfrist für die Festsetzung eines Arzneikostenregresses zu hemmen. Das BSG hat die hemmende Wirkung des Prüfantrags vor allem mit einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens des § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB begründet. Danach hemmt ein „Antrag bei einer Behörde“ die Verjährung, „wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt“. In Prüfverfahren, in denen ein Prüfantrag weder gesetzlich bzw. gesamtvertraglich vorgeschrieben noch von der Sache her unverzichtbar ist, kann die betroffene Krankenkasse nach der Auffassung des BSG die Hemmung der Ausschlussfrist nur dadurch erreichen, dass sie Untätigkeitsklage erhebt und darauf dringt, dass der Arzt, dessen Verordnungen sie beanstandet, zum Verfahren beigeladen wird.
Ausnahme 2: Rechtliches
Hindernis der Wirtschaftlichkeitsprüfung
Der Senat misst dem Umstand, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung aus rechtlichen Gründen – etwa wegen eines Streits zwischen KV und Krankenkassenverbänden über die Prüfvereinbarung oder die anzuwendende Prüfmethode – nicht durchgeführt werden kann, unter bestimmten Voraussetzungen hemmende Wirkung bei. Dieser Aspekt hat hier jedoch keine Bedeutung, weil weder der Prüfungsausschuss noch die Krankenkassenverbände die Klägerin darüber informiert haben, dass das Prüfverfahren nach der Methode der Durchschnittswertprüfung wegen einer eventuell rechtlich vorrangigen Prüfung nach Richtgrößen zunächst nicht betrieben wird. Unterbleibt eine solche Information der betroffenen Praxis, tritt keine Hemmung ein, auch wenn der Streit um die Prüfmethode tatsächlich eine Rolle gespielt haben sollte.
Fazit
Das erste Urteil eröffnet dem Vertragsarzt nur begrenzte Möglichkeiten, einer Reduzierung des RLV entgegenzutreten. Mit dem Hinweis auf eine verspätete Zuweisung des RLV kann lediglich in seltenen Fällen und dann auch nur für kürzere Zeit die Fortgeltung eines höheren RLV des Vorquartals erreicht werden. Verspätet ist die Zuweisung des RLV erst dann, wenn sie nach Beginn des Quartals erfolgt, für das das RLV zugewiesen wird. Die Fortgeltung eines höheren RLV des Vorquartals kann nicht für das gesamte Quartal, sondern lediglich bis zur Zuweisung des neuen RLV verlangt werden.
Das zweite Urteil gibt den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten weitere Rechtssicherheit. Es ist für betroffene Ärzte unangenehm genug, damit rechnen zu müssen, dass die Wirtschaftlichkeit ihrer Behandlungs- und Verordnungsweise für einen Zeitraum von vier Jahren in die Vergangenheit überprüft werden kann und ggf. Regresse verhängt werden. Umso wichtiger ist es, dass diese 4jährige Ausschlussfrist nicht auch noch dadurch gehemmt und demnach für die Zeit des Hemmnisses verlängert werden kann, dass die Prüfgremien dem betroffenen Arzt lediglich schriftlich mitteilen, dass die Behandlungs-/Verordnungsweise einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden. In Verfahren, die nach den maßgeblichen Normen nicht von einem Prüfantrag abhängen, kann nach der neuen Rechtsprechung des BSG demnach die Ausschlussfrist grundsätzlich nicht gehemmt werden, sondern ist durch rechtzeitigen Zugang des ggf. zu erlassenden Regressbescheides zu wahren. Allenfalls der Ausnahmefall, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden kann, könnte zur Hemmung der Ausschlussfrist führen; dies aber auch nur unter der Voraussetzung, dass der betroffene Arzt hierüber ausdrücklich informiert worden ist.
Auch nach diesen beiden Urteilen bleibt die Überprüfung der RLV ebenso wie die Verteidigung in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren eine besonders komplexe Rechtsmaterie. Für den betroffenen Arzt ergeben sich akut folgende Handlungspflichten:
- 1. Gegen den Bescheid über die Zuweisung von RLV ist bei Zweifeln über die Richtigkeit innerhalb der in der Rechtsbehelfsbelehrung vorgesehenen Frist (in der Regel einen Monat) Widerspruch bei der KV einzulegen, damit wegen des unzutreffenden RLV auch gegen den später erlassenen Honorarbescheid durch Widerspruch und Klage vorgegangen werden kann.
- 2. In Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren erhält der betroffene Arzt zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme. Spätestens die Begründung des Widerspruchs gegen den auf die Stellungnahme folgenden Regressbescheid (Frist in der Regel ebenfalls einen Monat) sollte nach fachmännischer Beratung erfolgen. Hierbei sind die einschlägigen Fristen zu prüfen und (hilfsweise) sämtliche für den betroffenen Arzt günstigen Tatsachen vorzutragen, damit diese für das sich eventuell anschließende Klageverfahren vor dem Sozialgericht nicht ausgeschlossen sind.
Korrespondenzadresse
RA Dr. Christoph Osmialowski
Kanzlei für ArztRecht
Fiduciastraße 2, 76227 Karlsruhe
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