Arzt und Recht - OUP 01/2014

Honorarärzte in der Arztpraxis – Pflicht zur (Nach-)Zahlung von Sozialversicherung?

Dem entsprechend hat das Landesarbeitsgericht Hamm10 festgestellt, dass ein Honorararzt rechtlich nicht per se als Arbeitnehmer anzusehen ist, sondern dass auch eine selbstständige Tätigkeit gegeben sein kann. Hierfür spreche ein „Rahmenvertrag“ ohne einzelfallbezogene Angaben, der – wie auch im Musterfall des Anästhesisten – nicht erkennen lässt, in welchem genauen Umfang, zu welchen Zeiten und zu welchen Bedingungen der Arzt im Einzelnen die Tätigkeit erbringen sollte.

Das Landesarbeitsgericht Thüringen11 hat generell für einen Arzt im Krankenhaus festgestellt, dass selbst eine Einbindung in die Organisation des Krankenhauses nicht allein ausschlaggebend ist, da innerhalb der betrieblichen Abläufe die Leistung auf die eine oder die andere Weise erbracht werden kann. Somit gebe auch das Zeitregime keinen ausschlaggebenden Hinweis. Zudem spräche für eine selbstständige Tätigkeit, dass Aspekte, die bei einem Arbeitsverhältnis einer Regelung hätten zugeführt werden müssten, ungeregelt bleiben.

Sozialgericht Mannheim,
Urteil vom 16.6.2011,
Az. S 15 R 2545/09

Das Sozialgericht Mannheim stellte sich in dem Musterfall des Anästhesisten auf den Standpunkt, dass dieser nichtselbstständig und somit in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig war. Sein Urteil stützte das Sozialgericht Mannheim im Wesentlichen auf folgende Kriterien:

  • Der Anästhesist sei in die Unternehmensorganisation eingegliedert gewesen. Er sei ausschließlich in den Räumen des Krankenhauses tätig geworden und habe keine eigene Betriebsstätte gehabt. Er habe nicht über einen eigenen, abgrenzbaren räumlichen Bereich verfügt, den er beispielsweise vom Krankenhausträger gemietet und, in dem er auf eigene Rechnung fachärztliche Leistungen erbracht hätte. Er habe die Tätigkeit zudem innerhalb eines festen zeitlichen Rahmens ausgeübt.
  • Der Anästhesist habe kein Unternehmerrisiko getragen:
  • Er habe mangels der Anmietung eigener Räumlichkeiten kein eigenes Kapital eingesetzt und Narkosemittel oder Ähnliches nicht zur Verfügung zu stellen bzw. zu erstatten gehabt. Jeder Handwerker würde jedoch eine eigene Betriebsstätte unterhalten und notwendige Betriebsmittel selbst anschaffen.
  • Zudem habe er nicht die Möglichkeit gehabt, den Patientenstrom selbst zu steuern. Das Recht, eine angebotene Tätigkeit abzulehnen, reiche nicht.
  • Er habe aber die Gewähr gehabt, für tatsächlich erbrachte Leistungen das vereinbarte Honorar zu erhalten. Das Honorarausfallrisiko spreche nur dann für eine selbstständige Tätigkeit, wenn dem unter anderem eine höhere Verdienstchance gegenüberstünde. Das Entgelt des Anästhesisten sei jedoch allein vom zeitlichen Einsatz abhängig gewesen, nicht hingegen von der Güte des Arbeitseinsatzes.
  • Letztendlich wurde noch mit dem Rechtsschein argumentiert: Für die Patienten sei nicht erkennbar gewesen, dass der Anästhesist nicht als angestellter Arzt, sondern als selbstständiger Honorararzt tätig war.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2013, Az. L 5 R 3755/11

Entscheidung und Gründe

Auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg stellte sich auf den Standpunkt, dass der Anästhesist nichtselbstständig war. Zur Begründung hat es sich jedoch etwas Neues einfallen lassen: Es ging gar nicht wesentlich auf die seit Jahrzehnten diskutieren sozialrechtlichen Abgrenzungskriterien ein, sondern argumentierte weit überwiegend mit anderen Rechtsgebieten wie z.B. dem Berufsrecht oder dem Vergütungsrecht, die vom streitgegenständlichen Sozialversicherungsrecht (weit) entfernt sind.

Die Abwägung der oben genannten sozialversicherungsrechtlichen Kriterien hatte nach Angaben des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung zu einem Patt geführt, sodass bei der völlig offenen Rechtsfrage im Dienste der Einheit der Rechtsordnung auf anderen Rechtsgebieten mit angeblich vorhandenen Gründen für die Rechtswidrigkeit der Selbstständigkeit eines Honorararztes argumentiert werden könne:

  • Die Tätigkeit des Honorararztes sei als selbstständige unzulässig, da sie gegen die Tradition verstoße. Der angestellte Arzt habe sich als zweite Berufsausübungsform neben dem Beruf des niedergelassenen Arztes entwickelt. Er sei ein in Rechtstradition und allgemeiner gesellschaftlicher Anschauung durch eine hierarchische Struktur geprägter typischer ärztlicher Beruf.
  • Die Tätigkeit des Honorararztes sei als selbstständige unzulässig, wenn der Honorararzt nicht niedergelassen sei. Nach Angaben der Vermittlungsagenturen auf ihren Internetwebseiten würden Honorarärzte frei nach Hannes Wader („Heute hier, morgen dort“) in Kliniken und Praxen für einen vorher festgelegten Stunden- oder Tagessatz arbeiten und so helfen, die durch den Ärztemangel entstehenden Lücken zu kompensieren.
  • Das ärztliche Berufsrecht gehe jedoch von der Berufsausübung als freiberuflicher Arzt (§ 1 Abs. 2 Musterberufsordnung) oder als angestellter Arzt bzw. beamteter Arzt (§§ 19, 23 Musterberufsordnung) aus und binde die selbstständige ambulante Tätigkeit von jeher an die Niederlassung (§ 17 Abs. 1 Musterberufsordnung). Die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit im Umherziehen sei berufsrechtswidrig (§ 17 Abs. 3 Musterberufsordnung).
  • Niederlassung bedeutet die genehmigungsfreie Einrichtung einer mit den notwendigen räumlichen, sächlichen und personellen Voraussetzungen ausgestatteten Sprechstelle zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit an einem – im Wesentlichen – frei gewählten Ort, mit der Folge, dass der Arzt in der Ausübung seiner Tätigkeit an diesen Niederlassungsort gebunden ist. Die Niederlassungspflicht sei hierbei nicht lediglich die Kehrseite des Verbotes, den Arztberuf im Umherziehen auszuüben. Der ärztliche Beruf sei nicht nur ortsgebunden, er solle im Grundsatz auch nur an einem Ort ausgeübt werden. Zweck dieser Beschränkung sei, im Interesse der Patienten sicherzustellen, dass der Arzt räumlich erreichbar ist. Es solle verhindert werden, dass der Arzt zum Pendler werde.
  • Nach Auffassung des Gerichts kam es auf das Sonderrecht von Anästhesisten, sich ohne Verstoß gegen das Verbot der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Umherziehen zur Niederlassung des Operateurs begeben zu können, nicht an. Die Berufsordnung stelle jedenfalls auch freiberufliche Anästhesisten nicht von der Pflicht zur Niederlassung frei, sondern lediglich weitgehend von der Bindung an diese Niederlassung. Dementsprechend lässt das Gericht offen, ob ein Anästhesist sich aushilfsweise zur Übernahme von Tages-, Nacht- und Feiertagsdiensten in ein Krankenhaus begeben darf.
  • Die Tätigkeit des Honorararztes in einem Krankenhaus sei als selbstständige unzulässig, da sie dem im SGB V verankerten Versorgungsauftrag des Krankenhausträgers nicht gerecht würde. Der ärztliche Leitungsvorbehalt in § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sei maßgeblich für die Organisation und Weisungsstruktur des Krankenhauses. In personeller Hinsicht sei eine ausreichende Ausstattung mit jederzeit verfügbarem ärztlichen Personal erforderlich, § 107 Abs. 1 Nr. 3 SGB V.
  • In diesem Punkt setzte sich das Gericht über den vom Gesetzgeber ausdrücklich geäußerten Willen hinweg: Der Gesetzgeber hatte klargestellt, dass die Vorgabe, jederzeit verfügbares ärztliches Personal vorzuhalten, statusneutral ist (BT-Drucksache 17/9992, Seite 26). Diese Annahme überzeugt nach Auffassung des Gerichts nicht, da die jederzeitige Verfügbarkeit nur im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen denkbar sei. Ebenso ergebe sich aus der erforderlichen Organisation der arbeitsteiligen Aufgabenwahrnehmung die Notwendigkeit der Einhaltung von Dienstplänen und der Abstimmung von Arbeitsabläufen sowie aus der dargestellten ärztlichen Verantwortungsstruktur die Einbindung in einen Behandlungsplan und das fachliche Weisungsrecht des Chefarztes. Die ärztliche Versorgung im Krankenhaus müsse daher durch angestellte Ärzte erfolgen, da nur diese verbindlich in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses eingebunden werden können. Der sich hieraus ergebende Regelfall, dass Krankenhäuser mit angestelltem oder beamtetem Personal arbeiten, entspreche zudem auch dem Ziel der Qualitätssicherung, da bei eigenem Personal am ehesten davon ausgegangen werden könne, dass dieses nach dem Maßstab höchstmöglicher Qualifikation ausgewählt, angeleitet und überwacht wird. Auch der Gesichtspunkt der Transparenz der Leistungserbringung aus der Perspektive des Patienten spreche für diese Sicht.
  • Die Tätigkeit als Honorararzt in einem Krankenhaus sei als selbstständige unzulässig, da die Abrechnung der Leistungen durch den Krankenhausträger eine abhängige Beschäftigung voraussetze.
  • Stationär erstreckten sich z.B. Wahlleistungsvereinbarungen in erster Linie gemäß § 17 Abs. 3 KHEntgG auf angestellte oder beamtete Ärzte des Krankenhauses. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG sehe zudem lediglich als Ausnahme vor, dass vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter in die Vergütung mit einbezogen werden. Dieses Regel-/Ausnahmeverhältnis würde leerlaufen, wenn jeder im Krankenhaus tätige Arzt vergütungsfähige stationäre Krankenhausleistungen erbringen könnte. Es müsse sich vielmehr um einen wenigstens teilzeitig am Krankenhaus beschäftigten Arzt handeln.
  • Etwas Neues ergebe sich auch nicht aus der zum 1.1.2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 2 Abs. 1 KHEntgG, der zufolge Krankenhausleistungen auch ärztliche Behandlungen sind, die durch nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte erbracht werden. Nicht fest angestellte Ärzte seien keine überhaupt nicht angestellten Ärzte. Der Vergleich mit der Formulierung in §§ 18 KHEntgG, 121 Abs. 2 SGB V, die Belegärzte als am Krankenhaus nicht angestellte Vertragsärzte definieren, zeige, dass es des Begriffes „fest“ nicht bedurft hätte. Nicht fest angestellte Ärzte dürften nach BGB und TzBfG befristet oder unbefristet eingestellte Aushilfskräfte sein, bei denen eine kürzere Mindestkündigungsfrist vereinbart werden kann. Zu denken sei auch an die Arbeit auf Abruf (TzBfG). Selbst wenn man jedoch die Hinzuziehung von Honorarärzten in Betracht zöge, müssten wegen des Ausnahmecharakters zumindest besondere Gründe für die Hinzuziehung vorliegen. Die Einsparung eigenen Krankenhauspersonals reiche nicht aus.
  • Ambulant (vor- und nachstationär) ließe das SGB V (§§ 115a und 115b) lediglich eine Kooperation mit niedergelassenen Vertragsärzten zu, damit die Leistungen für das Krankenhaus abrechenbar seien. Kooperierende Ärzte müssten zur Ausübung des ärztlichen Berufs in selbstständiger Form und somit berechtigt sein, außerhalb dieses Krankenhauses Patienten zu behandeln.

Kritik

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