Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023
Interventionelle Wirbelsäulentherapie ohne Zuhilfenahme bildgebender Verfahren
Theodoros Theodoridis, Ulricke Randel, Constantinos Georgallas
Zusammenfassung:
Das Hauptziel der interventionellen Wirbelsäulentherapie ist es, die schmerzgeplagten Rückenpatientinnen und -patienten, die möglicherweise sogar vor einem operativen Eingriff stehen, über deren Schmerzspitzen hinwegzuhelfen. Spinalnervanalgesien, epidurale Injektionen, Facettengelenk- und ISG-Infiltrationen wirken direkt am Ausgangspunkt der Nozizeption im Bewegungssegment und führen sehr häufig maßgeblich zu einer Befundbesserung. Diese Injektionen lassen sich sicher und effektiv anhand anatomischer Landmarken durchführen. Dies geschieht vor allem strahlenfrei, ohne kostenintensiven apparativen Einsatz und mit einem geringen organisatorischen und zeitlichen Aufwand.
Schlüsselwörter:
Interventionelle Wirbelsäulentherapie, Landmarken, Spinalnervenanalgesie, Facetteninjektionen, ISG-Injektionen, epidurale Therapie
Zitierweise:
Theodoridis T, Randel U, Georgallas C: Interventionelle Wirbelsäulentherapie ohne Zuhilfenahme bildgebender Verfahren
OUP 2023; 12: 200–206
DOI 10.53180/oup.2023.0200-0206
Summary: The main goal of interventional spine treatment is to help back pain patients, who may even think about surgery, get over their pain peaks. Nerve root blocks, epidural injections, facet injections and sacroiliac joint injections are procedures that influence the pathological process directly in the spine motion segment and very often lead to a significant improvement in the findings. These spinal injections can be performed safely and effectively using anatomical landmarks. Above all, this is done radiation free, without the use of expensive equipment and with low organizational effort and time.
Keywords: Interventional spine treatment, anatomical landmarks, nerve root blocks, periradicular treatment, facet injections, sacroiliac joint injections, epidural injections
Citation: Theodoridis T, Randel U, Georgallas C: Spinal injection techniques without imaging
OUP 2023; 12: 200–206. DOI 10.53180/oup.2023.0200-0206
T. Theodoridis, C. Georgallas: Orthopädische Privatpraxis Dr. med. Theodoros Theodoridis, Bochum
U. Randel: Bochum
Einleitung
Bei der interventionellen Therapie an der Wirbelsäule wird durch die lokale Injektion von Lokalanästhetika, ggf. gemischt mit Kortikosteroiden, unmittelbar am Wirbelkanal oder im Wirbelkanal selbst behandelt. Aufgrund der direkten Einwirkung an den Ausgangspunkt der Nozizeption in der Region der Primärstörung, gehört die interventionelle Therapie zu den gängigsten und erfolgversprechendsten Therapiearten bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen. Es handelt sich hierbei um minimalinvasive Vorgehensweisen als „single-shot“-Techniken in Form von epiduralen Injektionen, Nervenwurzelblockaden und Facetten- sowie ISG-Infiltrationen [9, 27, 29, 30, 31].
Lokalanästhetika führen nach Gewebeinfiltration zur reversiblen Ausschaltung der afferenten Fasern. Da die Wirksamkeit der Lokalanästhetika mit einer Vergrößerung des Faserdurchmessers abnimmt, werden zuerst die sensiblen und bei höherer Dosierung die motorischen Nervenfasern blockiert. Angriffspunkt der interventionellen Therapie sind die sensiblen Nervenfasern. Die Verwendung höherer Konzentrationen mit vollständiger Anästhesie und Paralyse ist für die interventionelle Therapie nicht erforderlich. Ziel ist eine Herabsetzung der Erregbarkeit mit Heraufsetzen der Reizschwelle. Die schmerzlindernde Wirkung hält länger an, als von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums zu erwarten ist. Eine wiederholte Applikation ist ggf. erforderlich [9, 31].
Hauptindikationen stellen lokale, radikuläre und pseudoradikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund dar.
In der interventionellen Therapie unterscheidet man sog. „landmarkengestützte“ Verfahren (ohne Unterstützung bildgebender Verfahren) von Verfahren unter gleichzeitiger Kontrolle der Nadellage durch bildgebende Verfahren. Diese sind üblicherweise die Sonografie, die Durchleuchtung mittels eines Röntgenbildwandlers und die CT-Steuerung [9, 30].
Bei den landmarkengestützten Techniken werden die Injektionen nach dem Aufsuchen der palpatorisch-anatomischen Orientierungspunkten (Landmarken) nach bestimmten vorgegebenen Winkeln- und Längenangaben durchgeführt. Diese können zusätzlich durch exakte Messungen an den vorhandenen diagnostischen Bildern vor der Injektion nochmal verifiziert und bestätigt werden [30]. Diese präinterventionelle Planung macht eine landmarkengestützte Technik auch bei vorhandenen anatomischen Normabweichungen sicher durchführbar.
In der Tab. 1 werden verschiedene Merkmale und Aspekte der landmarkengestützten Interventionen im Vergleich zu Techniken unter Bildgebung dargestellt (Tab. 1).
Der zeitliche und organisatorische Aufwand der landmarkengestützten Interventionen ist im Vergleich zu allen anderen Techniken deutlich kürzer bzw. geringer. Das interventionelle Handling erfolgt ohne größere hygienische Risiken und Manipulationen am Injektionsareal. Die Injektionen werden v.a. strahlenfrei (für Patientin/Patient und Ärztin/Arzt) und ohne kostenintensiven apparativen Aufwand durchgeführt. Dadurch lässt sich auch die in der Regel notwendige Wiederholung der Injektionen in einem Behandlungszyklus in der Facharztpraxis einfacher planen und gestalten [30].
Indikationen für die Anwendung eines bildgebenden Verfahrens ergeben sich z.B. bei fehlender Wirkung einer abgelaufenen Injektionsserie ohne Bildgebung, aus besonderen anatomischen Verhältnissen mit Schwierigkeit spezielle Landmarken aufzufinden wie bei ausgeprägten Skoliosen, Übergangsanomalien oder sehr adipösen Patientinnen und Patienten [27, 30, 31]. Aber auch bei der interventionellen Diagnostik ist immer ein bildgebendes Verfahren notwendig, wenn z.B. eine Kontrastmitteldarstellung einer Nervenwurzel präoperativ erforderlich ist [9].
Alle Verfahren haben schließlich eine lange Lernkurve und ein gemeinsames Ziel. Neben der schnellen Beschwerdelinderung gilt es, die komplikationsträchtigen offenen Operationen zu vermeiden, welche irreversible Folgeerscheinungen hinterlassen können. Dies ist bei einer sorgfältig durchgeführten Injektionstherapie nicht der Fall [29].
Anatomische Landmarken
Voraussetzung für die lokale Palpation und das Aufsuchen der für die landmarkengestützte Interventionstherapie wichtigen neuroanatomischen Orientierungspunkte sind Kenntnisse in der topografischen und morphologischen Anatomie. Das gezielte Ertasten der konkreten Landmarken gelingt oft erst nach dem Aufsuchen von weiteren benachbarten und teilweise fernen Leitstrukturen (Abb. 1) [22].
HWS/BWS
Die eindeutige Identifizierung des Dornfortsatzes C7 und die topografische Differenzierung zu den benachbarten Dornfortsätzen des 6. Halswirbels (C6) und des 1. Thorakalwirbels (Th1) sind für die schmerztherapeutischen Injektionstechniken an der Hals- und Brustwirbelsäule äußerst relevant. Weitere Landmarken für Interventionen an der Brustwirbelsäule sind die Dornfortsätze Th3 und Th7. In Höhe des Angulus medialis, des dreieckförmigen Beginns der Spina scapulae, findet sich der Dornfortsatz Th3 und in Höhe des Angulus inferior, der unteren Begrenzung der Scapula, findet sich der Dornfortsatz Th7 (Abb. 1) [30].