Informationen aus der Gesellschaft - OUP 01/2015
Interview mit beiden Kongresspräsidenten63. Jahrestagung 2015 der VSOU in Baden Baden
Erstmals in diesem Jahr gibt es bei der Jahrestagung der VSOU 2 Kongresspräsidenten: Prof. Dr. med. Volker Bühren (BG Unfallklinik Murnau) für die Unfallchirurgie und Prof. Dr. med. Thomas Horstmann (Medical Park St. Hubertus, Bad Wiessee) für die Orthopädie.
Sehr geehrter Herr Prof. Bühren, zusammen mit Herrn Prof. Horstmann bilden Sie in der VSOU-Veranstaltungshistorie die erste Doppelspitze, die für die Jahrestagung verantwortlich ist. Wie ist es dazu gekommen und welche Vorteile sehen Sie?
Bühren: Zur Jahrtausendwende wurden Gespräche zwischen den Unfallchirurgen und den Orthopäden hinsichtlich einer Zusammenlegung des Fachs aufgenommen. Die Unfallchirurgie war zu diesem Zeitpunkt eine Spezialisierung für den Facharzt für Chirurgie, während die Orthopädie ein eigenes Fachgebiet darstellte. Dieses für Deutschland und einige andere europäische Länder sinnvolle Konstrukt hatte allerdings keine Mehrheit weltweit. Mit der Reform der Weiterbildungsordnung ab 2004 wurde dann das neue Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie eingeführt. Entsprechend den Biografien der betroffenen Kolleginnen und Kollegen gibt es nunmehr 10 Jahre danach immer noch erkennbar 3 Gruppen: die ursprünglichen Chirurgen mit Schwerpunkt in der Unfallchirurgie, die klassischen Orthopäden und die neuen, in der Regel jüngeren Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Ausprägung der Gruppen ist in Klinik und Niederlassung durchaus verschieden. Nichtsdestotrotz gibt es ein zunehmendes Zusammenwachsen zu einer gemeinsamen wissenschaftlichen Gesellschaft, gemeinsamen Berufsverbänden und Veranstaltungen. Auch die VSOU bemüht sich seit Jahren, zunehmend unfallchirurgische Themen in den ursprünglich orthopädisch geprägten Kongress einzubringen. Unter dieser Entwicklung war es für den Vorstand der VSOU angezeigt, über eine angemessene Vertretung der unfallchirurgischen Anteile auch hinsichtlich der Kongresspräsidenten nachzudenken. Neben einer Lösung mit alternierenden Präsidenten wurde jetzt (und wohl auch für die absehbare Zukunft) eine Doppelspitze gewählt, was mit Blick auf die große Vielfalt der Themen in Orthopädie und Unfallchirurgie auch Sinn macht.
Herr Prof. Bühren, Herr Prof. Horstmann, bei Ihrer Themenwahl haben Sie sich unter anderem von Ihren persönlichen Schwerpunkten in Klinik und Forschung leiten lassen. Welche wissenschaftlichen Schwerpunkte haben Sie gewählt und welches ist Ihre ganz persönliches Lieblingsthema?
Bühren: Mein Lieblingsthema ist das Management des Schwerverletzten im Team-Ansatz und über alle Disziplinen hinweg mit dem Behandlungsziel, neben dem puren Überleben eine möglichst gute Lebensqualität wiederherzustellen. Dieser Ansatz beinhaltet die Beschäftigung mit Themen wie der Polytraumaversorgung, der Versorgung von Verletzungen und Frakturen des Rumpfs an Wirbelsäule und Becken sowie aus meiner ursprünglichen Ausbildung als Viszeralchirurg heraus die Beschäftigung mit den Organverletzungen. Darüber hinaus haben mich immer biomechanische Fragestellungen und insbesondere die Weiterentwicklung der Marknagelosteosynthese interes-siert. Neben diesen speziellen und gewissermaßen persönlichen Themen muss ein mehrzügiger Kongress natürlich auch alle großen Themen des Fachgebiets in ihrer Dynamik umfassen und dabei sowohl die operativen wie auch die konservativ tätigen Kolleginnen und Kollegen mitnehmen.
Horstmann: Die Biomechanik der menschlichen Bewegung und des Gangs, insbesondere hinsichtlich Verletzungen und Belastungsproblemen, ist seit langem eines meiner Forschungsfelder. Hieraus ergibt sich direkt eine weitere Fragestellung, die nach der Dosis-Wirkung. In der Rehabilitation ver-letzter, frisch operierter oder älterer Patienten, gibt es hier derzeit aber noch mehr Fragen als Antworten. In diesem Zusammenhang ist auch ein weiteres Thema von Interesse: Geht es ambulant oder wo haben wir stationär bessere Erfolge in der Therapie? Ein zentraler übergeordneter Themenkomplex, der alle Unfallchirurgen, operative und konservative Orthopäden zusammenführt ist sicherlich die Bewegung. Einerseits verursacht Bewegung Verletzungen und Überlastungsschäden, andererseits lassen sich durch gezielte Bewegung Erkrankungen und Therapien vermeiden. Diesem Themenkomplex soll in der Podiumsdiskussion „Sport ist Mord – Zwischen Kosten und Nutzen“ Rechnung getragen werden.
Welche Neuerungen und Innovationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie werden bei der 63. Jahrestagung im Fokus stehen?
Bühren: Die rasante Entwicklung der Datentechnologie beschert eine Fülle von revolutionären Verbesserungen in den bildgebenden Verfahren, deren Anwendung und Interpretation dem be-handelnden Chirurgen und Orthopäden geläufig sein muss. In aller Munde ist die translationale Forschung, die die Lücke zwischen mehr experimentellen Ansätzen und einer klinischen Umsetzung schließen möchte. Ein gutes Beispiel für einen solchen Ansatz ist die Infektionsforschung, bei der experimentelles Wissen zum Verhalten der Bakterien für die Therapie der Besiedlung und Infektion bei großen einliegenden Implantaten nutzbar gemacht wird. Nicht zu vergessen sind auch die immensen Fortschritte in der technischen Orthopädie mit den intelligenten Steuerungsmöglich-keiten von Exoprothesen.
Horstmann: Dem sehr aktuellen Thema der Faszien wird diesmal ein größerer Rahmen eingeräumt werden.
Die zunehmende Alterung der Bevölkerung und die wachsende Zahl übergewichtiger Menschen birgt neue Herausforderungen für Orthopädie und Unfallchirurgie. Wie können wir dem zukünftig begegnen?
Bühren: Die zunehmende Alterung der Bevölkerung ist natürlich nicht nur eine Negativentwicklung, sondern bedeutet auch eine Verlängerung der aktiven Lebenszeit mit hoher Lebensqualität. Der Bewegungsapparat des älteren Menschen ist hinsichtlich Ausdauer und Belastbarkeit anderen Grenzen unterworfen, als dies der Einzelne aus seiner Jugend kennt. Eine sinnvolle Anpassung unter einer entsprechenden medizinischen Beratung ist notwendig, um das Aktivitätsniveau verletzungsfrei ausüben zu können. Aktivität ist naturgemäß auch der Schlüssel gegen Übergewichtigkeit. Die Adipositas selbst ist eine der vielen Faktoren, die für die Alterstraumatologie eine Rolle spielen. Die zukünftig verstärkte Zusammenarbeit mit geriatrisch spezialisierten Kolleginnen und Kollegen wird eine berufspolitische Herausforderung für die nächsten Jahre bilden.
Herr Prof. Horstmann, Sie waren viele Jahre Mannschaftsarzt des VFB Stuttgart. In den Medien ist immer häufiger von Verletzung der Profisportler zu lesen. Worauf ist dies Ihrer Meinung nach zurück zu führen? Trifft das Sprichwort „Sport ist Mord“ auch auf den Breitensport zu?
Horstmann: Nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im Profisport findet eine zunehmende Verdichtung und Beschleunigung der zu leistenden Aktivitäten statt. Darüber hinaus ist auch in der Freizeit durch die wachsenden Medien und sozialen Netzwerke eine ständige Präsenz, vor allem der jüngeren Generation, gewollt und gefordert. Dies zusammen erschwert die unbedingt nötige Regeneration von Körper und Geist. Dazu kommt auch die, vor allem im Fußball, deutlich dynamischere Spielweise mit Schaffung von Überzahl in Ballnähe, ständigem Verschieben und schnellem Umschalten. Diesem erhöhten Anspruch wird versucht, durch Athletiktraining und Verbreiterung des Kaders auf hohem Niveau gerecht zu werden, die Belastbarkeit der einzelnen Gewebestrukturen kann jedoch nur begrenzt verschoben werden.
Hier liegt auch das Problem im Breitensport. Letztendlich werden auch dort die vernünftigen Grenzen sowohl im Training als auch im Wettkampf gelegentlich gewollt, oft aber unbewusst, überschritten. Auf die „richtige Dosis“ wird leider nicht immer Acht gegeben. Und auf die kommt es ja bekanntermaßen an.
45 % der Mediziner sind weiblich, bei den Studienanfängern sogar 70 % – in der Orthopädie und Unfallchirurgie sind Frauen jedoch selten vertreten. Sind Sie um den Nachwuchs in Ihrem Fachgebiet allgemein besorgt?
Bühren: Besorgt bin ich nicht und der Anteil weiblicher Berufsanfänger steigt stetig. Die Orthopädie und Unfallchirurgie zählt zu den attraktiven Fächern, nicht zuletzt auch durch die enorme fachliche Breite und das große Spektrum möglicher Berufsausübungen vom Vollkliniker bis zur ausschließlich konservativen Tätigkeit. Viele angehende Ärzte und Ärztinnen sind von den Möglichkeiten der akuten ärztlichen Hilfeleistung in der Unfallchirurgie fasziniert, andere spezialisieren sich auf eine der vielen Facetten des Fachgebiets. Gerade die große Flexibilität der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie der Tätigkeitsfelder macht das Fach für den weiblichen Nachwuchs attraktiv, was im Gegenzug auch für den zunehmend familienorientierten männlichen Nachwuchs gilt.
Die Frühjahrstagung ist für ihr erlesenes Rahmenprogramm bekannt. Was wird den Gästen dieses Jahr geboten?
Bühren: Wir müssen gestehen, dass wir nicht sehr lange überlegt haben. Das Präsidium der VSOU hat zwei im tiefsten Oberbayern lebende Präsidenten mit der Organisation betraut, die diese auch mit dem entsprechenden Lokalkolorit versehen werden. Der Festabend wird unter dem Motto „Oktoberfest im Mai“ stehen. Mit entsprechender Stimmung unter trotzdem erhaltenem Niveau wird allen Altersklassen etwas geboten. Die verpflichteten Musiker werden die Region unüberhörbar präsentieren; zum Tanz aufspielen wird die für viele beste Oktoberfestband – so viel sei verraten.
Herr Professor Bühren, Herr Professor Horstmann, vielen Dank für das Gespräch.
Kurzbiografien der Präsidenten
Prof. Dr. med. Volker Bühren studierte Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Facharztausbildung zum Chirurgen an Krankenhäusern in Hannover, u.a. in der Medizinischen Hochschule Hannover und zuletzt am Nordstadt-Krankenhaus.
Wechsel in die Unfallchirurgie 1983 an die Universitätskliniken des Saarlands unter Prof. Dr. med. O. Trentz mit Erwerb der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie, Ernennung zum Oberarzt 1985, zum Leitenden Oberarzt 1989 und zum kommissarischen Direktor der Klinik 1991. Habilitation im Fach Chirurgie 1991, 1994 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor.
1993 Ernennung als Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, seit 2009 auch Klinikgeschäftsführer. Seit 2008 zudem Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen. Klinische Hauptinteressen neben der klassischen Unfallchirurgie sind Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen sowie die Komplikationschirurgie. Tätigkeit in mehreren wissen-schaftlichen Gesellschaften, u.a. Vorsitzender der Bayrischen Chirurgenvereinigung und Präsident der AIOD Deutschland, Boardmitglied AFOR- und OTC-Stiftung.
Prof. Dr. med. Thomas Horstmann studierte Medizin und Sportwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Die Facharztausbildung zum Orthopäden absolvierte er an der Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität Tübingen. 1999 erhielt er die Venia Legendi für das Fach Orthopädie. 2004 verlieh man ihm die C3-Professur für Sportorthopädie der Universität Tübingen. Seit 2010 fungiert er als Extraordinarius für Konservative und Rehabilitative Orthopädie, Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaft, Technische Universität München. Seit 2004 ist er als Ärztlicher Leiter Bereich Sportorthopädie, Abteilung Sportmedizin und seit 2008 als Chefarzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sport-medizin der Medical Park St. Hubertus Klinik, Bad Wiessee tätig.
Prof. Horstmann ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Organisationen, u.a. seit 2003 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin (DGSP). Von 1999 bis 2005 betreute er die Fußball Profis des VFB Stuttgart, 2006 war er Local Medical Officer der FIFA-Fußball WM in Deutschland am Spielort Stuttgart.
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