Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016
Klassifikation von Azetabulumfrakturen und prinzipielle Zugangswege
Der Verschluss des Zugangs erfolgt schichtgerecht nach Einlage einer Redondrainage mit Rekonstruktion der Faszie des Musculus obliquus internus und transversus abdominis am Unterrand des Leistenbands und mit transossären Nähten an der Crista iliaca sowie direkter Naht der Externusaponeurose.
Als Zugangsmorbidität des ilioinguinalen Zugangs ist die Neuropraxie des N. cutaneus femoris lateralis (LFCN) zu nennen. In der Literatur werden Verletzungsraten des LFCN von 12–57 % beschrieben [6, 7]. Weiter gilt es, die A.und V. iliaca externa sowie den N. femoralis zu schonen.
Kocher-Langenbeck-Zugang
Der Zugang nach Kocher-Langenbeck geht zurück auf die Chirurgen Kocher (1874) und Langenbeck (1904) und beschreibt den Zugang zum dorsalen Pfeiler und der dorsalen Wand [8]. Nach Luxation kann das Gelenk von dorsal eingesehen werden. Auch für diesen Zugang hat sich der Carbontisch bewährt, um eine freie Durchleuchtung des Gelenks in allen Ebenen zu garantieren. Indikationen sind die hinteren Wandfrakturen und hintere Pfeilerfrakturen, aber auch vordere Pfeiler- und hintere Hemitransversfrakturen, deren Hauptdislokationsrichtung nach dorsal weist. Der Vorteil des Zugangs liegt in der Möglichkeit, den Nervus ischiadicus freizulegen, z.B. bei posttraumatischer Neurologie. Zur Lagerung hat sich die Seitenlage bewährt. Nach einem Hautschnitt, der vom proximalen Femurschaft über den Trochanter major bogenförmig in Richtung Spina iliaca posterior superior führt, wird die Faszie des Tractus iliotibialis gespalten (Abb. 5c). Der Musculus gluteus maximus wird stumpf auseinandergedrängt und der Nervus ischiadicus identifiziert. Ein Anschlingen ist nicht erforderlich. Der Nervus ischiadicus läuft distal auf dem Musculus quadratus femoris. Die übrigen kurzen Außenrotatoren, also die Musculi piriformis, gemelli und obturatorius internus werden abgetrennt an ihrem Ursprung am Femur und nach außen geklappt, wo sie den Nervus ischiadicus vor dem Hakenzug schützen (Abb. 7). Für die Refixation können die Sehnenstümpfe markiert werden. Man erreicht nun die Gelenkkapsel, die so wenig wie möglich abzulösen ist und am Pfannenrandfragment verbleibt.
Zu den Komplikation des Kocher-Langenbeck-Zugangs gehören u.a. Verletzungen des N. ischiadicus sowie die Ausbildung heterotoper Ossifikationen.
Stoppa-Zugang
Der Stoppa-Zugang wurde ursprünglich durch den Franzosen René Stoppa in der Hernienchirurgie eingesetzt [9] und in den 1990er Jahren als modifizierter Zugang durch den Finnen Eero Hirvensalo [10] und die Amerikaner Cole und Bohlhofner [11] für die Becken- und Azetabulumchirurgie etabliert.
Er ermöglicht die Sicht auf die anterioren und medialen Anteile des Azetabulums. Er wird bei wenig dislozierten Frakturen des vorderen Pfeilers sowie bei beidseitigen Azetabulumfrakturen verwendet. Die Facies quadrilateralis ist einsehbar. Der Hautschnitt erfolgt im Unterbauch längs mittig (Abb. 5a) oder alternativ im Sinne einer Pfannenstielinzision. Zunächst wird die Faszie zwischen den Muskelbäuchen des M. rectus abdominis vertikal inzidiert und dann auf der betroffenen Seite am Ramus superior ossis pubis eingekerbt (Abb. 8). Nach Identifikation des prävesikalen Raums wird die Blase nach medial weggehalten. Der M. rectus abdominis sowie das iliofemorale Gefäßnervenbündel werden dann nach lateral weggehalten und die Präparation extraperitoneal nach lateral fortgesetzt. Als Leitstruktur zum Azetabulum dient der Ramus superior ossis pubis. Die Vasa obturatoria sowie der N. obturatorius sollten identifiziert und geschont werden. Die Präparation kann nach dorsal bis zum Iliosacralgelenk fortgeführt werden.
Als Komplikation des Stoppa-Zugangs ist die Blutung aus der Corona mortis zu nennen, weshalb diese gezielt ligiert und durchtrennt wird.
Der Pararectus-Zugang (Abb. 5b), welcher 2012 von Keel et al. neu beschrieben wurde [12] und zunehmend an Bedeutung gewinnt wird in diesem Heft ausführlich durch Keel und Thannheimer (S. 616) erläutert.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Dr. med. univ. Christoph J. Erichsen
BG Unfallklinik Murnau
Unfallchirurgie
Prof.-Küntscher-Straße 8
82418 Murnau am Staffelsee
Christoph.Erichsen@bgu-murnau.de
Literatur
1. Tile M, Helfet DL, Kellan JF: Fractures of the Pelvis and the Acetabulum. 3rd. ed. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2003
2. Borens O, Wettstein M, Garofalo R et al.: [Treatment of acetabular fractures in the elderly with primary total hip arthroplasty and modified cerclage. Early results]. Unfallchirurg. 2004; 107: 1050–6
3. Letournel E: Acetabulum fractures: classification and management. Clin Orthop Relat Res. 1980: 81–106
4. Perl M, Hierholzer C, Woltmann A, Tannheimer A, Bühren V. Azetabulumchirurgie. Orthopädie und Unfallchirurgie Up2Date. 2015: 3–26
5. Erichsen CJ, von Rüden C, Hierholzer C, Buhren V, Woltmann A: [Auxiliary cerclage-wiring in internal fixation of displaced acetabular fractures]. Unfallchirurg. 2015; 118: 35–41
6. Kloen P, Siebenrock KA, Ganz R: Modification of the ilioinguinal approach. J Orthop Trauma. 2002; 16: 586–93
7. Rommens PM, Broos PL, Vanderschot P: [Preparation and technique for surgical treatment of 225 acetabulum fractures. 2 year results of 175 cases]. Unfallchirurg. 1997; 100: 338–48
8. Tscherne HTP: Tscherne Unfallchirurgie: Becken und Acetabulum. Berlin: Springer; 1998
9. Stoppa R, Petit J, Abourachid H et al.: [Original procedure of groin hernia repair: interposition without fixation of Dacron tulle prosthesis by subperitoneal median approach]. Chirurgie. 1973; 99: 119–23
10. Hirvensalo E, Lindahl J, Bostman O: A new approach to the internal fixation of unstable pelvic fractures. Clin Orthop Relat Res. 1993: 28–32