Übersichtsarbeiten - OUP 09/2015

Nachhaltigkeit in der Rehabilitation von Patienten mit Gonarthrose

Organisation und Inhalte der medizinischen Rehabilitation im stationären und ambulanten Setting sind in Deutschland klar definiert und induzieren generaliter indikationsübergreifend nachweislich kurzfristig positive Effekte auf die Erkrankung und die Gesundheit [10]. Die AAMR bei Gonarthrose basiert auf den Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation bei muskuloskelettalen Erkrankungen [16]. Trotz des Fehlens einer Kontrollgruppe in den ersten beiden Phasen der AAMR ist folglich zu vermuten, dass sich die positiven Ergebnisse beider Interventionsgruppen in der Aufbauphase auf die ganzheitlich ausgerichteten Behandlungsformen zurückführen lassen. Auch die Applikationsformen der einmal wöchentlich durchgeführten EAP scheinen in der Lage zu sein, diese Effekte mittelfristig zu konservieren. Somit ist die Stabilisierungsphase als erster Teilabschnitt der Rehabilitationsnachsorge der AAMR durchaus als erfolgversprechend zu identifizieren.

Hingegen sind die Ergebnisse der Erhaltungsphase 6 und 18 Monate nach Abschluss der Stabilisierung als ernüchternd zu bezeichnen. Zwar ist zu erkennen, dass ein regelmäßiges Krafttraining einer Sportabstinenz überlegen ist, allerdings sind diese evaluierten Unterschiede nicht statistisch abzusichern und somit nicht wissenschaftlich zu belegen.

Als möglicher Erklärungsansatz lässt sich zum einen die Art der eingesetzten Nachsorgestrategien anführen. Es ist anzunehmen, dass die verwendeten Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit speziell in der Erhaltungsphase (Tab. 1) nicht ausreichten, um eine stetige Verhaltensänderung der Patienten zu gewährleisten. Der Informationsaustausch zwischen Rehabilitand und Therapeut beschränkte sich im Allgemeinen auf die Treffen im Rahmen der T4- und T5-Untersuchungen. Neben der Empfehlung themenbezogener Informationsquellen wurde zwar eine Hotline eingerichtet, die jedoch von den Patienten nicht genutzt wurde. Eine aktive Kontaktaufnahme seitens der Rehabilitationseinrichtung während der 6- und 12-Monatsintervalle war nicht expliziter Bestandteil der Nachsorgestrategien. Dass aber gerade die regelmäßige aktive Sensibilisierung des Rehabilitanden nach der intensivierten Reha-Phase durch Nachsorgeimpulse in postalischer Form, per SMS, Internet oder via Telefon für die langfristige Gesundheitsförderung hilfreich sein kann, zeigen jüngere Untersuchungen [12, 13]. Darüber hinaus sind individuell an das jeweilige Beschwerdeprofil adaptierte Nachsorgestrategien zu diskutieren [24]. Diese Optionen sollten trotz eines nicht unerheblichen organisatorischen Mehraufwandes zukünftig in das Nachsorgekonzept der AAMR implementiert werden.

Weiterhin scheint der Schweregrad der Gonarthrose selbst die Nachhaltigkeitseffekte in der Erhaltungsphase zu determinieren. Eine durch Klinik und Radiologie verifizierte, deutlich fortgeschrittene Kniegelenkarthrose gilt als Einschlusskriterium zur Teilnahme an der AAMR. Da die Qualität der Kniestreckmuskulatur die Progredienz der Erkrankung entscheidend zu beeinflussen vermag [25], intendiert die Rehabilitationsmaßnahme in allen 3 Phasen insbesondere eine Muskelkonditionierung in Funktion und Struktur. Die dazu notwendigen überschwelligen Trainingsreize wirken sich jedoch begleitend auch als gravierende mechanische Belastungen für das vorgeschädigte Kniegelenk aus. Das Risiko einer resultierenden Entzündungsreaktion steigt dabei mit der Zunahme der degenerativen Vorschädigung an [26]. Im Rahmen der Aufbau- und Stabilisierungsphase kann die entstehende Beschwerdesymptomatik durch Maßnahmen der Physio- und Physikalischen Therapie aufgefangen und adäquat behandelt werden. In der Erhaltungsphase existieren diese Therapieoptionen nicht. Die Folgeerscheinungen sind einerseits Trainingsausfälle unbestimmter Dauer, andererseits verringern die Patienten die Belastungsintensität des Trainings als intuitive Schutzmaßnahme vor Rezidiven, was das notwendige Muskelaufbautraining zu einem Kraftausdauertraining degradiert und die Trainingseffektivität deutlich mindert. Über beide Konsequenzen wurde in T4 und T5 von einem Großteil der Patienten der VG (63,6 %) in Einzelgesprächen berichtet.

Werden die Einschlusskriterien zur AAMR bei Gonarthrose unverändert beibehalten, ist eine regelmäßige „Auffrischung“ der Behandlungsergebnisse in Form einer erneuten Aufbauphase oder einer EAP alle 18 bzw. 24 Monate zu erwägen.

Zur Stärkung von Nachhaltigkeitseffekten in der Erhaltungsphase und somit zur Förderung eines regelmäßigen überschwelligen Trainings ist zu überlegen, einen präventiveren Ansatz bei der Zuführung der Patienten zur AAMR zu wählen als bisher. Zur Vorbeugung einer im Sinne der BK 2102 und 2112 degenerativbedingten Gonarthrose könnten Beschäftigte aus prädisponierenden Berufsgruppen des Bau- und Metallgewerbes mit beginnenden Kniebeschwerden im Rahmen der regelmäßigen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach zu definierenden Kriterien sekundärpräventiv der AAMR zugeführt werden. Ein ähnliches Verfahren lässt sich für Beschäftigte einleiten, die aufgrund eines erlittenen Arbeitsunfalls (Z.n. Femur-/Tibiafraktur, VKB-Ruptur) ein erhöhtes Risiko zur Ausbildung einer sekundären Gonarthrose aufweisen.

Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Patientenrekrutierung hinsichtlich des Schweregrads der Erkrankung erfolgte unter Berücksichtigung der evaluierten Daten wahrscheinlich zu spät, um relevante Nachhaltigkeitseffekte zu induzieren.

Interessenkonflikt: keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. rer. nat. Stefan Dalichau

BG Unfallambulanz und Rehazentrum Bremen

Industriestraße 3

28199 Bremen

sdalichau@ipl-bremen.de

Literatur

1. Diehl P, Gerdesmeyer L, Schauwecker J, Kreuz PC, Gollwitzer H, Tischer T. Konservative Therapie der Gonarthrose. Orthopäde 2013; 42: 125–139

2. Bartels EM, Lund H, Hagen KB et al. Aquatic exercise for the treatment of knee and hip osteoarthritis. Cochrane Database Syst Rev 2007; 17: CD005523

3. Fransen M, McConnell S, Harmer AR, Van der Esch M, Simic M, Bennell KL. Exercise for osteoarthritis of the knee. Cochrane Database Syst Rev 2015; 1: CD004376

4. Pisters MF, Veenhof C, van Meeteren NL et al. Long-term effectiveness of exercise therapy in patients with osteoarthritis of the hip or knee: a systematic review. Arthritis Rheum 2007; 57: 1245–1253

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