Originalarbeiten - OUP 01/2013
Objektivierungsmöglichkeiten bei der Begutachtung von RückenschmerzenNach einem Vortrag auf dem 60. VSOU-Kongress, Baden-Baden 2012Based on a paper for the 60th VSOU-Congress, Baden-Baden 2012
Wenn wenigstens 3 der Punkte zutreffen, so ist von einem abnormen Krankheitsverhalten auszugehen. Eigentlich gilt es dann lediglich noch zu differenzieren, ob hierfür eine seelische Gesundheitsstörung oder ein bewusstseinsnahes Verdeutlichungsverhalten bzw. eine Selbstlimitierung ursächlich ist.
Ergebnisse
Aus dem Einsatz eines objektivierten MPSS sowie jener Waddell-Kriterien ergibt sich ein Algorithmus, an dessen Ende die Differenzierung angegebener Rückenschmerzen in 3 wesentliche Kategorien möglich ist (Abbildung 3):
- a) Hohe Werte im ersten Achsenpaar des MPSS, niedrige Werte im 2. Achsenpaar, positive Waddell-Zeichen: Die vorgetragenen Rückenschmerzen sind nicht plausibel, weshalb zur Leistungsbeurteilung im Wesentlichen auf das organische Korrelat einer Wirbelsäulenproblematik abzustellen ist.
- b) Hohe Werte sowohl im ersten als auch im 2. Achsenpaar des MPSS und negative Waddell-Zeichen: Organisch bedingte Rückenschmerzen lassen sich plausibel begründen.
- c) Hohe Werte im ersten und 2. Achsenpaar des MPSS sowie positive Waddell-Zeichen: Von einer signifikanten seelischen Komorbidität muss ausgegangen werden und eine psychologische bzw. psychiatrische Begutachtung ist vorzuschlagen. Im Anschluss muss ein interdisziplinärer Konsens gefunden werden. Bei objektivierbarer – und nicht suchtvermittelter – Dauereinnahme potenter Schmerzmittel sowie niedrigen Werten in Achse 4 des MPSS ist zwar ein hoher, subjektiver Leidensdruck zu erkennen; er lässt sich dann allerdings nicht organisch begründen. Ähnlich verhält es sich, wenn zwar keine Schmerzmittel eingenommen werden, andererseits aber zur Behandlung der Beschwerden eine Vielzahl operativer Eingriffe erfolgt ist. Der ICD-10 bezeichnet dies als Charakteristikum für eine Somatoforme Schmerzstörung.
Zusammengefasst lässt sich durch einen verfeinerten Einsatz des MPSS in Kombination mit den Waddell-Zeichen ein vorgetragener Rückenschmerz differenzieren. Damit wird zum einen der Einteilung von Schmerzen aus gutachtlicher Sicht Genüge getan [4], (Abbildung 4). Zum anderen wird deutlich, in wessen Fachkompetenz – selbst bei einer integrierenden Bewertung – die Aufgabe der gutachtlichen Entscheidung fällt.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Jürgen Hettfleisch
medexpert – Institut für
Muskuloskelettale Begutachtung
Darmstädter Straße 29
64331 Weiterstadt
info@medexpert.ws
Literatur
1. Lühmann D, Müller VE, Raspe H. Prävention von Rückenschmerzen. Expertise im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und der Akademie für Manuelle Medizin, Universität Münster, Institut für Sozialmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, 2003
2. Schneider S. Rückenschmerz: Verbreitung, Ursachen und Erklärungsansätze. München: GRIN-Verlag, 2007
3. Kohlmann T, Deck R, Klockgether R et al. Rückenschmerzen in der Lübecker Bevölkerung – Syndrome, Krankheitsverhalten und Versorgung. Institut für Sozialmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, 1994
4. Widder B, Schiltenwolf M, Egle UT et al. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen. AWMF-Leitlinien, Register-Nr. 030/102, 2007
5. Gerbershagen HU. Das Mainzer Stadienkonzept des Schmerzes (MPSS). In: Klingler D, Morawetz R, Thoden et al. (Hrsg.): Antidepressiva als Analgetika. Wien: Arachne-Verlag, 1996: 71–95
6. Hettfleisch J, Lemberg U. Medikamentennachweis im Urin – Leitlinienkonforme Konsistenzprüfung angegebener Schmerzen. Orthop Praxis 2011; 47: 282–285
7. Walk HH, Wehking E. Objektivierung von Schmerzen unter besonderer Berücksichtigung der Medikamentenspiegel. Med Sach 2005; 101: 166–168
8. Röser A, Hausotter W. Welche Bedeutung haben Serumspiegelbestimmungen von Pharmaka bei der Begutachtung? Med Sach 2005; 101: 161–165
9. Waddell G, McCulloch JA, Kummel E et al. Non-organic physical signs in low back pain. Spine 1979; 5: 117–125
Fussnoten
medexpert – Institut für Muskuloskelettale Begutachtung, Weiterstadt
Universitätsklinik Mainz
DOI 10.3238/oup.2013.0017–0020