Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Ortho-geriatrische Zusammenarbeit am Klinikum Ingolstadt – ein Blick hinter die KulissenEine Erfolgsstory zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie
Katharina Walther, Titus Haselbeck
Zusammenfassung:
Der G-BA-Beschluss von 2021 setzt neue Maßstäbe für die Behandlung geriatrischer Patientinnen und Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen. Am Klinikum Ingolstadt wurde erfolgreich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie implementiert und hat sich stetig weiterentwickelt. Die Zusammenarbeit umfasst regelmäßige gemeinsame Visiten, geriatrische Assessments und frührehabilitative Maßnahmen bereits ab dem ersten postoperativen Tag.
Trotz unterschiedlicher Arbeitsweisen – mit Fokus der Unfallchirurginnen und Unfallchirurgen auf eine schnelle operative Versorgung und dem ganzheitlichen Ansatz der Geriaterinnen und Geriater – konnte ein effizientes Modell für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit etabliert werden. Ein geriatrischer Bereitschaftsdienst, tägliche physiotherapeutische Betreuung und diverse geriatrische Assessments ab der Notaufnahme wurden implementiert. Die strukturierten Prozesse führen zu einer verbesserten Patientenversorgung, frühzeitiger Mobilisierung und reduzierten Komplikationsraten. Dieses Modell zeigt, dass durch pragmatische Lösungen und interdisziplinäre Kommunikation eine erfolgreiche ortho-geriatrische Kooperation möglich ist.
Schlüsselwörter:
Orthogeriatrie, Alterstraumatologie, geriatrische Traumaversorgung, hüftgelenksnahe Fraktur, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Frührehabilitation, G-BA-Beschluss, Klinikum Ingolstadt, Unfallchirurgie, Geriatrie, geriatrisches Assessment
Zitierweise:
Walther K, Haselbeck T: Ortho-geriatrische Zusammenarbeit am Klinikum Ingolstadt – ein Blick hinter die Kulissen. Eine Erfolgsstory zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie
OUP 2025; 14: 50–54
DOI 10.53180/oup.2025.0050-0054
Summary: The G-BA resolution of 2021 sets new standards for the treatment of geriatric patients with hip joint-related fractures. At the Klinikum Ingolstadt, an interdisciplinary collaboration between trauma surgery and geriatrics has been successfully implemented and has continuously evolved. The collaboration includes regular joint rounds, geriatric assessments, and early rehabilitative measures starting from the first postoperative day.
Despite differing approaches – trauma surgeons focusing on rapid surgical intervention and geriatricians on a holistic approach – a highly efficient model for interdisciplinary collaboration has been established. A geriatric on-call service, daily physiotherapy support, and various geriatric assessments starting from the emergency department have been implemented. These structured processes lead to improved patient care, early mobilization, and reduced complication rates. This model demonstrates that through pragmatic solutions and interdisciplinary communication, a successful ortho-geriatric collaboration is achievable.
Keywords: Orthogeriatrics, geriatric trauma care, hip fracture, interdisciplinary collaboration, early rehabilitation, G-BA resolution, Klinikum Ingolstadt, trauma surgery, geriatrics, early mobilization, geriatric assessment
Citation: Walther K, Haselbeck T: Orthogeriatric collaboration at Klinikum Ingolstadt – behind the scenes.
A story of success between trauma surgery and geriatrics
OUP 2025; 14: 50–54. DOI 10.53180/oup.2025.0050–0054
Klinikum Ingolstadt
Der GBA-Beschluss als Wegweiser der Zukunft
Die ortho-geriatrische Zusammenarbeit bei der Behandlung älterer Patientinnen und Patienten ist kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine Notwendigkeit – das hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erkannt. Mit dem Beschluss von 2020 wurden erstmals bundesweit einheitliche Mindestanforderungen an die Versorgung älterer Patientinnen und Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen festgelegt [1]. Doch was bedeutet das konkret für den klinischen Alltag? Und wie kann eine Zusammenarbeit zweier so unterschiedlicher Disziplinen funktionieren? Wer entscheidet was? Wann und wie kommen die Geriaterinnen und Geriater ins Spiel und wie lange darf eigentlich eine Visite dauern?
Am Klinikum Ingolstadt haben wir uns dieser Herausforderung gestellt und eine enge Kooperation zwischen Unfallchirurgie und Akutgeriatrie etabliert, die nicht nur den Patientinnen und Patienten zugutekommt, sondern auch zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen 2 sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten geführt hat: Seit 1. September 2021 arbeiten ein erfahrener Oberarzt der Unfallchirurgie und die Leitende Oberärztin der Akutgeriatrie in der Sektion für Alterstraumatologie zusammen. Dabei wurde die Alterstraumatologie als Sektion des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie organisatorisch unter der Geriaterin als Sektionsleiterin aufgestellt. In der Alterstraumatologie werden die beiden Ärzte durch ein motiviertes und speziell geschultes Team aus Assistenz- und Fachärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Masseuren, Psychologen und Mitarbeitern des Sozialdiensts und des Fallmanagements unterstützt (Abb. 1).
Der G-BA-Beschluss:
Hohe Anforderungen an die ortho-geriatrische Zusammenarbeit
Der G-BA-Beschluss fordert (unter anderem), dass bei Patientinnen und Patienten ab 70 Jahren mit hüftgelenksnahen Frakturen eine interdisziplinäre Betreuung durch Unfallchirurgie und Geriatrie sichergestellt wird. Ziel ist eine frühzeitige Mobilisierung und die Vermeidung von Komplikationen, wie Delir oder Pneumonie [1]. Konkret bedeutet dies:
Gemeinsame Visiten
Mindestens einmal wöchentlich (in einer ausgewiesenen Alterstraumatologie zweimal wöchentlich [2]) soll eine gemeinsame Visite durch Unfallchirurgin/Unfallchirurg und Geriaterin/Geriater durchgeführt werden.
Spezifisches Assessment
Die Durchführung diverser geriatrischer Assessments ist verpflichtend, diese müssen mindestens die Teilbereiche Selbständigkeit, Mobilität, Kognition, Emotion, Schmerzen abdecken.
Frührehabilitative Maßnahmen
Bereits ab dem ersten postoperativen Tag soll eine Atem- und Aktivierungstherapie sowie die postoperative Mobilisierung der Patientinnen und Patienten stattfinden.
Therapieplanung
Eine individuelle Therapieplanung unter Berücksichtigung der geriatrischen Besonderheiten ist essenziell.
Diese Anforderungen sind ambitioniert, erfordern einen hohen personellen und organisatorischen Aufwand und viel Einsatzbereitschaft von allen Beteiligten. So wurde am Klinikum Ingolstadt ein geriatrischer Bereitschaftsdienst eingeführt, ein Facharzt für Geriatrie ist nun auch an Wochenenden und Feiertagen zwischen 08:00 Uhr und 16:30 Uhr erreichbar. Die Physiotherapie behandelt alle Patientinnen und Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen täglich, sodass das Personal an Wochenenden und Feiertagen deutlich aufgestockt werden musste. Es wurde – auf digitaler Basis – ein verpflichtendes geriatrisches Screening in der Notaufnahme (ISAR-Score) etabliert, das bei positivem Ergebnis auch automatisch ein Konsil an die Akutgeriatrie zur Folge hat. Zudem mussten diverse SOPs (zu Urindauerkathetern, Delir, Sturzprophylaxe...) erstellt werden. Nach einem Reifeprozess von nun 3 Jahren mit diversen Organisationsteams, „heißen“ Diskussionen und manchmal schwieriger Kompromissfindung haben wir nun eine Alterstraumatologie geschaffen, die im Arbeitsalltag sowohl der Geriatrie als auch der Unfallchirurgie funktioniert. Der Schulterschluss zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie hat eine neue Qualität der Patientenversorgung geschaffen.