Übersichtsarbeiten - OUP 03/2023
Schleudertrauma der Halswirbelsäule
Kirill Alektoroff, Panagiotis Papanagiotou
Zusammenfassung:
Ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule tritt meistens im Rahmen von Verkehrsunfällen auf und stellt eine relativ häufige zervikale Verletzung dar. Ursächlich ist oft ein Auffahrunfall mit Heckaufprall, der eine schnelle, sog. „peitschenartige“ Bewegung des Kopfes und der Halswirbelsäule zur Folge hat (Reklination gefolgt von Inklination). Klinisch werden nach einer Schleuderverletzung (oft mit einer Latenz von mehreren Stunden) Schmerzen, Nackensteifigkeit und Überempfindlichkeit der Halswirbelsäule bzw. der zervikalen Weichteile beobachtet, die bei manchen Patientinnen und Patienten in chronischer Form persistieren können. In der diagnostischen Bildgebung werden nach einem Schleudertrauma nur selten posttraumatische Veränderungen festgestellt.
Unmittelbar nach dem Trauma werden in der Klinik oft Röntgen- und/oder CT-Aufnahmen angefertigt, um knöcherne Verletzungen auszuschließen. Die Magnetresonanztomografie kann bei einigen Patientinnen und Patienten okkulte Frakturen, Wirbelkörperödeme, Muskel- und Bandverletzungen nachweisen. Die klinische Klassifikation des Schleudertraumas kann nach der Quebec Task Force-Einteilung erfolgen, die sich an der Ausprägung der Symptomatik orientiert.
Schlüsselwörter:
Halswirbelsäule, Schleudertrauma, Magnetresonanztomografie, Verkehrstrauma,
zervikales Schmerzsyndrom
Zitierweise:
Alektoroff K, Papanagiotou P: Schleudertrauma der Halswirbelsäule
OUP 2023; 12: 113–115
DOI 10.53180/oup.2023.0113-0115
Abstract: Whiplash injury of the cervical spine often occurs during motor vehicle accidents involving rear-end collisions and represents a common cervical trauma. The injury usually results from a rapid “whiplash-like” movement of head and neck (reclination followed by inclination). The typical symptoms of the whiplash injury like pain, tenderness and stiffness of the neck may occur with a latency of several hours and may persist chronically over a long period of time in some patients. Diagnostic imaging studies rarely show posttraumatic changes after a whiplash injury.
In acute clinical trauma-workup, x-ray imaging like plain films and/or computed tomography is performed to evaluate bone injuries. Magnetic resonance imaging may sometimes show posttraumatic changes of the soft tissues (muscles, ligaments) as well as bone contusions or occult fractures. The Quebec Task Force classification may be used for grading of the whiplash injury and is based on the symptom severity.
Keywords: Cervical spine, whiplash injury, magnetic resonance imaging, motor vehicle trauma, cervical pain syndrome
Citation: Alektoroff K, Papanagiotou P: Whiplash injury of the cervical spine
OUP 2023; 12: 113–115. DOI 10.53180/oup.2023.0113-0115
K. Alektoroff: Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Klinikum Bremen-Mitte/Bremen-Ost
P. Papanagiotou: Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Klinikum Bremen-Mitte/Bremen-Ost & First Department of Radiology, School of Medicine, National and Kapodistrian University of Athens, Aretaieion Hospital, Athens, Greece
Einführung
Ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) tritt meist als Folge eines Verkehrsunfalls mit Heckaufprall auf. Dabei kommt es typischerweise zu einer plötzlichen Retroflexion und nachfolgend forcierten Inklination des Kopfes und des Halses – es resultiert somit eine charakteristische „peitschenartige“ Vor- und Rückwärtsbewegung der HWS (engl. „whiplash injury“) [1]. Auch bei einem frontalen oder seitlichen Zusammenstoß kann es zu dieser Verletzungsart kommen (seitliche Kollisionen führen zu einer schnellen Lateroflexionsbewegung in entgegengesetzte Richtungen). Ein Schleudertrauma des zervikalen Wirbelsäulensegments stellt mit einer Inzidenz zwischen 0,1 bis 4 pro 1000 Einwohner eine relativ häufige Verletzung dar [2, 3, 4].
Außer bei Verkehrsunfällen wird dieses Verletzungsmuster manchmal auch bei Stürzen, sonstigen Gewalteinwirkungen oder HWS-Distorsionen beobachtet [2].
Klinische Symptomatik
Im Rahmen eines Schleudertraumas können Verletzungen der knöchernen Strukturen sowie der Halsweichteile entstehen, die sich klinisch mit variabler Symptomatik präsentieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören Nackensteifigkeit, „muskelkaterartige“ Schmerzen und Überempfindlichkeit der zervikalen/paravertebralen Weichteile. Die Schmerzen können u.a. in den Kopf, die Schultern/Arme und den oberen Rücken ausstrahlen. Die Beweglichkeit der HWS kann dabei reduziert/eingeschränkt sein [2, 3, 5]. Die Beschwerden treten unmittelbar nach dem Trauma oder erst verzögert (bis 24 Stunden nach dem Traumaereignis) auf. Neben der beschriebenen typischen lokalen Symptomatik sind außerdem zahlreiche neurologische Symptome mit dem Schleudertrauma assoziiert wie z.B. Schwindel, Tinnitus, Kopfschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie psychische Beschwerden [2, 5, 6]. Der Beschwerdekomplex wird oft als „Schleudertrauma-assoziierte Störung“ bezeichnet (engl. „whiplash-associated disorder“ (WAD).
Klassifikation
Basierend auf der Symptomausprä gung kann das Schleudertrauma nach der Quebec Task Force- (QTF-) Klassifikation in mehrere Schweregrade (0 bis IV) eingeteilt werden (Tab 1) [7]. Die Mehrheit der Schleudertraumafälle (bis 90–95 %) wird als leicht oder mäßig bezeichnet und entspricht den QTF-Graden 0 bis II. Bei höhergradigen Verletzungen bestehen zusätzlich zu den lokalen Symptomen neurologische Defizite (QTF-Grad III) oder ossäre Traumafolgen (Frakturen, Dislokationen – entsprechend dem QTF-Grad IV) [3].
Bildgebende Diagnostik
Bildgebende Verfahren werden zum Ausschluss posttraumatischer Veränderungen sowohl in der Akutsituation als auch bei chronischen Beschwerden nach einem Schleudertrauma eingesetzt. Insbesondere bei schweren akuten Verletzungen, nach einem Hochrasanztrauma, bei bestehenden neurologischen Defiziten sowie bei älteren Patientinnen und Patienten (> 65 Jahre) besteht in der Regel eine Indikation für diagnostische Bildgebung [1, 3].
Unmittelbar nach dem Trauma werden meist Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule (ggf. mit Dens-Zielaufnahme) oder eine Computertomografie (CT) zum Ausschluss knöcherner Läsionen durchgeführt [2].
Die Magnetresonanztomografie (MRT) kommt insbesondere zur Darstellung von Weichteilverletzungen, diskoligamentären HWS-Läsionen sowie intraspinalen Traumafolgen zum Einsatz. Außerdem können Ödemareale im Knochenmark bei ossären Kontusionen oder okkulten Frakturen detektiert werden.
Das MRT-Protokoll besteht in der Regel aus T2– und T1-gewichteten Spinechosequenzen, zumindest in sagittaler und transversaler Ausrichtung. Zur Darstellung des Knochenmarködems sowie des Weichteilödems sind außerdem T2-Sequenzen mit Fettsuppression hilfreich (z.B. STIR – short tau inversion recovery). Dünnschichtige 3D-Sequenzen mit isotropen Voxeln (T2– oder protonengewichtet (PD) kommen bei der hochauflösenden Bildgebung der Bandstrukturen am kraniozervikalen Übergang zum Einsatz [5].