Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014
Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie – die neuropathische Schmerzkomponente nicht vergessen
C. Schumann1, S. Ries1
Zusammenfassung: Neuropathische Schmerzen stellen eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Ätiologisch von nozizeptiven Schmerzen abzugrenzen sind sie klinisch durch ihren Charakter – brennend, kribbelnd, elektrisierend – charakterisiert. Klassische NSAR sind bei diesen Schmerzkrankheiten nur unzureichend wirksam. Zur Therapie sollten gemäß den Leitlinien Antikonvulsiva, Antidepressiva, Opioide und MOR-NRI Anwendung finden. Die schmerztherapeutische Wirkung der Antidepressiva basiert auf der Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung einiger dieser Substanzen. Reine Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind schmerztherapeutisch nicht wirksam. Moderne dual wirksame Substanzen wie Duloxetin und Venlafaxin kommen zum Einsatz. Wegen potenzieller Nebenwirkung sollten Trizyklika wie z.B. Amitryptilin nur bei jüngeren Patienten und in niedrigen Dosen zur Anwendung kommen.
Als Antikonvulsiva werden Gabapentin und Pregabalin empfohlen. Opioide sind wirksam und können bei Patienten mit „Mixed Pain“ sinnvoll sein. Auch in der Behandlung akuter neuropathischer Schmerzen ist der Einsatz hochpotenter Opioide sinnvoll. Tapentadol als Vertreter der MOR-NRI ist durch das duale Wirkprinzip der Noraderenalin-Wiederaufnahmehemmung und der Wirkung am µ-Rezeptor pathophysiologisch und klinisch geeignet. Das Erkennen neuropathischer Schmerzen ermöglicht eine pathophysiologisch sinnvolle und klinisch erfolgreiche Therapie.
Schlüsselwörter: Neuropathische Schmerzen, Antikonvulsiva, Antidepressiva, MOR-NRI, Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung
Zitierweise
Schumann C, Ries S. Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie – die neuropathische Schmerzkomponente nicht vergessen. OUP 2014; 12: 572–575 DOI 10.3238/oup.2014.0572–0575
Summary: Neuropathic pain represents a diagnostic and therapeutic challenge. Separated by etiology from nociceptor pain, it is characterized by the character of pain sensation: burning, tingling, electrifying. Commonly used NSAR are of little use in the treatment of these pain syndromes. Guidelines suggest the use of antidepressants, anticonvulsants, opioids and MOR-NRI. Pain suppression of antidepressants is based on Noradrenalin reuptake inhibition. Selective Serotonin reuptake inhibitors are of little use. Modern Serotonin/Noradrenalin reuptake inhibitors like Duloxetin and Venlafaxin are used. Due to negative side effects tricylic antidepressants should only be used in younger patients at low doses. Gabapentin and pregabalin are the anticonvulsants used in pain treatment. Opioid analgetics can be used in “mixed pain” syndromes. Potent opioids are useful in the treatment of acute neuropathic pain. Tapentadol representing a MOR-NRI analgesic is characterized by a dual mode of action. Noradrenalin reuptake inhibition an opioid receptor activation results in a pathophysiologically and clinically useful approach. Identification of neuropathic pain results in a pathophysiologically oriented and clinically successful therapy.
Keywords: neuropathic pain, anticonvulsants, antidepressants, MOR-NRI, Noradrenalin reuptake inhibition
Citation
Schumann C, Ries S. Pain therapy in orthopedic patients –
the challenge of neuropathic pain.
OUP 2014; 12: 572–575 DOI 10.3238/oup.2014.0572–0575
Neuropathische Schmerzen stellen aus schmerztherapeutischer Sicht häufig eine Herausforderung dar. Sie sind aber für die Betroffenen sehr belastend, gehen häufig mit höheren Werten auf den Schmerzskalen einher und können nachts akzentuiert sein [1]. Hierdurch kann der Schlaf ungünstig beeinflusst werden, welches wieder negative Auswirkungen auf den Schmerz zeigt [2]. Die Entstehung neuropathischer Schmerzen unterscheidet sich deutlich von den ätiologischen Prozessen nozizeptiver Schmerzen.
Von Bedeutung ist die periphere Sensibilisierung. Hierbei kommt es zu einer Aktivierung sog. schlafender Nozizeptoren, dies geschieht insbesondere unter Entzündungsbedingungen. Die abnorme Erregbarkeit geschädigter Neurone führt über pathologische Spontanaktivitäten zu schmerzhaften Missempfindungen wie Brennen und Dysästhesien. Durch die Schädigung kommt es zu einer Überexpression von Natriumkanälen, welches zu einer ektopen Impulsgenerierung führt. Ferner kommt es im Rahmen der zentralen Sensibilisierung zu einer Aktivierung des Ca-Einstroms sowie zu einer erhöhten Aktivität der NMDA-Rezeptoren. Letztlich kommt es zu einer Steigerung der Erregbarkeit des Hinterhorns und hierdurch zu einer Vergrößerung der rezeptiven Felder. Als 4. wichtiger Mechanismus ist die Disinhibition der Nozizeptoren anzuführen. Es kommt also zur Herabsetzung der körpereigenen Schmerzhemmung.
Bereits über die Anamnese, die Erhebung der Schmerzcharakteristik und des Schmerzverlaufs kann meist ein typischer Befund erhoben werden, der auf eine neuropathische Schmerzkomponente hinweist. Häufig werden sensible Reizerscheinungen wie Brennen, Kribbeln, Wärmegefühl oder elektrifizierende Missempfindungen geschildert. Die Betroffenen berichteten oft über eine nächtliche Zunahme der Schmerzen. Als diagnostisches Werkzeug hat sich ein Fragebogen, der painDETECT etabliert.
Es ist wichtig, an die neuropathische Schmerzkomponente zu denken, da dies unmittelbare Auswirkungen auf die Therapie hat. Viel zu oft werden neuropathische Schmerzen mit NSAR therapiert, was freilich aufgrund der unzureichenden Wirkung unbefriedigend ist. Beispielsweise ist es nicht ungewöhnlich, dass Patienten mit einer schmerzhaften Radikulopathie nur unzureichend auf NSAR ansprechen. In der Behandlung muss hier an einen gemischten Schmerz mit sowohl einer nozizeptiven als auch neuropathischen Komponente im Sinne eines Mixed-Pain gedacht werden. Eine gute Schmerztherapie muss sich an den Mechanismen der Schmerzentstehung orientieren.
Die Leitlinie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen [3], beispielsweise der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ stellt eine sehr gute Orientierungshilfe dar. Zunächst müssen realistische Therapieziele formuliert werden. Es wird eine Schmerzreduktion um etwa 30 –50 % angestrebt. Weitere Ziele sind eine Verbesserung der Schlafqualität, der Lebensqualität. Etwa ein Drittel der Patienten wird von der Therapie nicht ausreichend profitieren oder beklagt relevante Nebenwirkungen, sodass die Behandlung beendet wird. Es ist wichtig, den Patienten darüber zu informieren, dass sich sogenannte Minus-Symptome wie Hypästhesie, Pallhypästhesie oder Lagesinnstörung unter der Behandlung nicht verbessern werden.