Editorial - OUP 10/2018
Schmerztherapie – Wo stehen wir?
Das Thema Schmerzmedizin wird in der Orthopädie und Unfallchirurgie immer noch skeptisch beurteilt. Kritisch wird bemerkt, dass sich bei orthopädischen und unfallchirurgischen Krankheitsbildern Schmerztherapeuten ohne orthopädische/unfallchirurgische Ausbildung in die Diagnostik und Behandlung muskuloskelettaler Beschwerden einbringen –
ohne entsprechende Kompetenz und Vorerfahrung.
Im Bereich akuter Beschwerden ist dies sicherlich kritisch zu sehen, andererseits ist die Behandlung chronischer Schmerzbilder der Stütz- und Bewegungsorgane mittlerweile ein derartig komplexes Thema, dass es von einem Fachgebiet allein nicht mehr gemanagt werden kann. Der Orthopädie und Unfallchirurgie kommt gerade bei den Topthemen Rücken-/Nackenschmerz sowie Gelenkschmerz eine große Bedeutung zu, damit zunächst eine solide somatische Diagnostik und Therapie in der Behandlung chronischer Krankheitsbilder einfließt. Eingedenk der Tatsache, dass ein nichtprofessionelles Management akuter Beschwerden zur Chronifizierung und Komplexität von Beschwerden im muskuloskelettalen Bereich führen kann, die sich kaum beherrschen und heilen lassen, müssen sich Akut-Orthopäden und Unfallchirurgen bewusst sein, dass schon zu einem frühen Stadium eine schmerzmedizinische Weichenstellung für das weitere Vorgehen entscheidend ist. Wie heißt es so schön in der Nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“:
Ein multidisziplinäres Assessment zur weiteren Therapieempfehlung soll durchgeführt werden:
nach 6 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanten Aktiviätseinschränkungen und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie sowie dem Vorliegen von psychosozialen und/oder arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren zur Chronifizierung,
nach 12 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie ...“ (NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz, 2. Auflage, 2017).
Gerade hier sollten sich Orthopäden/Unfallchirurgen einbringen und das interdisziplinäre Assessment einleiten. Angehende und fertige Orthopäden/Unfallchirurgen sollten die Möglichkeit ergreifen, die schmerzmedizinische Zusatzausbildung zu absolvieren, was leider derzeit nur wenige tun, obwohl mittlerweile auch viele orthopädische Akutkliniken wie die ANOA-Kliniken (Arbeitsgemeinschaft der nicht-operativen orthopädischen manualmedizinischen Akutkrankenhäuser) solche Weiterbildungsplätze anbieten.
Für den niedergelassenen orthopädischen und unfallchirurgischen Allrounder, aber auch für den operativ Tätigen dürfte diese Zusatzqualifikation zur Erweiterung seines konservativen Spektrums und noch gezielterer operativen Indikationsstellung eine große Bereicherung darstellen.
Das hier vorliegende Themenheft möchte anhand einiger Beispiele die Relevanz orthopädisch-konservativer Therapie im Rahmen der Schmerztherapie darstellen; in interdisziplinärer Verknüpfung.
Die Internationale Gesellschaft für orthopädische und unfallchirurgische Schmerztherapie (IGOST) und die Arbeitsgemeinschaft nicht-operativer manualmedizinischer Kliniken haben die Kompetenz der Orthopädie und Unfallchirurgie in der Schmerzmedizin erheblich gestärkt und vorangetrieben, dies gilt intra- wie auch interdisziplinär. Die Folgen fehlender orthopädisch-unfallchirurgischer Kompetenz in der Schmerzmedizin hat gravierende gesundheitspolitische Auswirkungen, was allerdings auch in Fachkreisen noch nicht ausreichend verstanden wird.
Ein weiterer Beitrag der Kollegen Keutmann, Staat und van Laack nimmt sich des Themas „Untersuchung der thermischen Auswirkung von therapeutischem Ultraschall“ an.
Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser
Ärztlicher Direktor DRK Schmerz-Zentrum Mainz
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