Arzt und Recht - OUP 06/2013

Sehr geringe Fallzahlen und Beachtung der Heilmittel-Richtlinien – trotzdem Regress!

Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe

Einleitung

Die Heilmittel-Richtlinien sind auch für den Juristen schwer verdauliche Kost. Gleichwohl verlangen die Gremien, die die Wirtschaftlichkeit ärztlicher Verordnungen zu prüfen haben, dass Ärzte den Inhalt der Heilmittel-Richtlinien derartig verinnerlicht haben, dass sie sich bei den alltäglichen Verordnungen daran halten. Doch damit nicht genug: Auch wenn ein Arzt diese Herausforderung erfolgreich gemeistert hat, kann ihn allein wegen der Menge der Verordnungen ein Heilmittelregress ereilen. Dies gilt sogar dann, wenn der Arzt weit unterdurchschnittliche Fallzahlen nachweist und darlegen kann, dass er durch weniger Heilmittel-Leistungen in der eigenen Praxis den Krankenkassen Heilmittelkosten erspart.

Wie dies begründet werden kann, zeigt die folgende Nachricht über die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Neben der Bestätigung allgemeiner Grundsätze für Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden die Grenzen für Ermessensentscheidungen zugunsten der Prüfgremien nachgezogen.

Bundessozialgericht,
Urteil vom 21.03.2012

Zum Sachverhalt

Umstritten sind Regresse wegen überdurchschnittlicher Kosten durch Verordnungen physikalisch-medizinischer Behandlungen.

Der klagende Orthopäde mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie überschritt in den streitgegenständlichen Quartalen mit seinem durch Verordnungen physikalisch-medizinischer Leistungen (seit dem 1.4.2005 als physikalisch-therapeutisch bezeichnet) veranlassten Heilmittelaufwand den Durchschnitt der Fachgruppe der Orthopäden. Demgegenüber lagen seine Fallzahlen, seine Gesamthonoraranforderungen, sein Rentneranteil, der Umfang der Überweisungs- und Auftragsleistungen sowie sein Arzneikostenaufwand und auch der Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen jeweils unter dem Durchschnitt.

Der Prüfungsausschuss erließ Regressbescheide, gegen die der klagende Arzt Widerspruch einlegte. Der beklagte Beschwerdeausschuss gab den Widersprüchen des Arztes nur teilweise statt, sodass es bei einer Gesamtregresssumme von 56.811,44 € verblieb. Die vom Sozialgericht verbundenen Klagen und die Berufung des Arztes zum Landessozialgericht sind erfolglos geblieben.

Mit seiner Revision macht der Arzt unter anderem geltend, dass ein Vergleich nur mit solchen Orthopäden, die ebenfalls umfangreich operierten und – wie er – keine physikalische Therapie in eigener Praxis anböten, angemessen wäre. Gegenüber seinem hohen Aufwand bei verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen hätte der beklagte Beschwerdeausschuss eine Kompensation durch seine unterdurchschnittlichen physikalisch-medizinischen Leistungen in eigener Praxis und sein unterdurchschnittliches Gesamthonorar sowie seine unterdurchschnittlichen Arzneikosten anerkennen müssen. Er hätte die unterdurchschnittliche Fallzahl zum Anlass nehmen müssen, das statistische Material näher zu überprüfen und dessen Aussagen ggf. zu korrigieren. Für diese Überprüfung hätte er die Heilmittelstatistiken beschaffen und diese arztindividuell und fachgruppenbezogen auswerten müssen, was zu entsprechender Bereinigung des zum Vergleich herangezogenen Fachgruppendurchschnitts und/oder zur Zubilligung von Mehraufwand bei ihm – dem klagenden Arzt – durch Anerkennung kompensierender Einsparungen bzw. einer Praxisbesonderheit geführt haben würde. Die zugrunde gelegten Statistiken der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) könnten für einen fundierten Vergleich der Leistungsbedingungen der Fachgruppe mit denen des klagenden Arztes nicht ausreichen.

Schließlich sei auch unberücksichtigt geblieben, dass er – der klagende Arzt – bei der Verordnung von Hilfsmitteln in jedem Einzelfall die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL eingehalten habe. Der Schutz durch die Frequenzvorgaben, den das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 29.11.2006 herausgestellt habe (Az. B 6 KA 7/06 R, ArztR 2007, 218), müsse auch für die Gesamtheit seiner RL-konformen Verordnungen gelten. Diese Richtlinien seien ausgerichtet auf verbindliche äußere Rahmenbedingungen im Interesse der Vertragsärzte und ihrer Patienten. Sie ließen keinen Raum für ergänzende Prüfungen nach lediglich quantitativen, rein statistischen Durchschnittswerten. Andernfalls ergebe sich auch ein Widerspruch zwischen der Bewertung einer Verordnung als im Einzelfall korrekt und bei Gesamtbetrachtung aller Verordnungen als inkorrekt.

Aus den Gründen

Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Revision des Arztes zulässig, aber unbegründet.

Grundsätze der statistischen
Vergleichsprüfung

Nach § 106 Abs. 2 SGB V (in der Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626) sei davon auszugehen, dass die Prüfung nach Durchschnittswerten wegen ihres hohen Erkenntniswerts bei verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand die Regelprüfmethode darstellt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27.06.2007, Az. B 6 KA 27/06 R, ArztR 2008, 79; Urteil vom 16.07.2008, Az. B 6 KA 57/07 R, ArztR 2009, 156; Urteil vom 06.05.2009, Az. B 6 KA 17/08 R, ArztR 2010, 128). Bei dieser Prüfmethode werde der Aufwand des geprüften Arztes je Fall mit dem durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe – im Regelfall der Arztgruppe, der der Arzt angehört – verglichen. Dem liege die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt insgesamt wirtschaftlich handelt (BSG, Urteil vom 27.06.2001, Az. B 6 KA 43/00 R, ArztR 2002, 133; Urteil vom 12.12.2001, Az. B 6 KA 7/01 R, ArztR 2002, 330; Urteil vom 16.07.2003, Az. B 6 KA 14/02 R; Urteil vom 16.07.2003, Az. B 6 KA 45/02 R, ArztR 2004, 290; Urteil vom 16.07.2008, Az. B 6 KA 57/07 R, ArztR 2009, 156). Ergebe die Prüfung, dass der Behandlungs- oder Verordnungsaufwand des geprüften Arztes – beim Gesamtfallwert, bei Sparten- oder bei Einzelleistungswerten – in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, diesen nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur wie Praxisbesonderheiten und/oder sog. kompensierende Einsparungen erklären lässt, so sei die Folgerung der Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt (ständige Rechtsprechung, siehe dazu z.B. BSG Urteil vom 27.06.2007, Az. B 6 KA 27/06 R, ArztR 2008, 79; Urteil vom 16.07.2008, Az. B 6 KA 57/07 R, ArztR 2009, 156; Urteil vom 06.05.2009, Az. B 6 KA 17/08 R). Bei den erforderlichen Bewertungen hätten die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum, sodass deren Einschätzungen von den Gerichten nur in begrenztem Umfang überprüft und ggf. beanstandet werden können.

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