Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Verletzungen ischiofemoral
Immer konservativ?

Markus-Johannes Rueth, Philipp Koehl, Alexander Schuh

Zusammenfassung:
Ischiofemorale Verletzungen sind sehr selten und werden in ihrer Bedeutung unterschätzt. Zu den ischiofemoralen Verletzungen gehören der Apophysenabriss bzw. Fraktur des Trochanter minors und des Tuber ischiadicums, Ruptur bzw. Verletzung des Musculus quadratus femoris und Ruptur bzw. Verletzung der Iliopsoassehne. In der Regel erfolgt die konservative Therapie, wobei in Einzelfällen die operative Versorgung erwogen werden muss. Als Folge einer ischiofemoralen Verletzung kann ein ischiofemorales Impingement auftreten. Andererseits kann ein ischiofemorales Impingement zu einer Verletzung bzw. Ruptur des Musculus quadratus femoris führen.

Schlüsselwörter:
Verletzung, ischiofemoral, Musculus quadratus femoris, Trochanter minor, Tuber ischiadicum,
Iliopsoas

Zitierweise:
Rueth M-J, Koehl P, Schuh A: Verletzungen ischiofemoral. Immer konservativ?
OUP 2024; 13: 10–14
DOI 10.53180/oup.2024.010-014

Summary: Ischiofemoral injuries are very rare and their importance is underestimated. The ischiofemoral injuries include avulsion fractures of the lesser trochanter and the ischial tuberosity, rupture or injury of the quadratus femoris muscle and rupture or injury of the iliopsoas tendon. As a rule, conservative therapy is carried out, although in individual cases surgical treatment must be considered. As a result of an ischiofemoral injury, ischiofemoral impingement can occur. On the other hand, ischiofemoral impingement can lead to an injury or rupture of the quadratus femoris muscle.

Keywords: Injury, ischiofemoral, quadratus femoris muscle, lesser trochanter, ischial tuberosity, iliopsoas

Citation: Rueth M-J, Koehl P, Schuh A: Ischiofemoral injuries. Conservative treatment only?
OUP 2024; 13: 10–14. DOI 10.53180/oup.2024.010-014

M.-J. Rueth: Sportklinik, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

P. Koehl: Klinik für Unfallchirurgie, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

A. Schuh: Abteilung für Muskuloskelettale Forschung, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

Einleitung

Das ischiofemorale Impingement (IFI) ist eine seltene Erkrankung und stellt eine der Entitäten des sog. extraartikulären Impingements der Hüfte dar. Das IFI wird als Subgruppe des hinteren Hüftschmerzes beschrieben (Posterior Hip Pain – PHP). Zum PHP-Komplex gehören neben dem IFI, das „Tiefe Glutealsyndrom“ (Deep Gluteal Syndrome – DGS) und die Tendinose des M. Gluteus medius und des M. Gluteus minimus [1, 22, 30, 37, 49, 58, 61].

Das iatrogen verursachte IFI nach Implantation einer Hüft-Totalendoprothese wurde erstmals 1977 von Johnson et al. beschrieben [23, 39]. Das IFI wird definiert als eine Einengung des Raums, welcher lateral vom Trochanter minor und medial von der lateralen Sitzbeinfacette begrenzt wird, mit einer daraus resultierenden Einklemmung der darin befindlichen Weichteilstrukturen, vornehmlich des M. quadratus femoris [22, 49, 58, 61]. Das IFI ist ein dynamischer Prozess, welcher vornehmlich in Extension und Außenrotation des Hüftgelenks auftritt. Diese Einengung kann idiopathisch bedingt sein oder durch angeborene, erworbene oder iatrogene Begleitpathologien entstehen. Beispielhaft für angeborene Ursachen sind die Hüftdysplasie mit einhergehender valgischer Schenkelhalskonfiguration und Reduktion des femoralen Offsets oder die Coxa valga congenita zu nennen (Abb.1) [49, 58, 61]. Dies sind auch die mit Abstand häufigsten Ursachen des IFI, weshalb von einem IFI auch zumeist Frauen betroffen sind [1, 58].

Die erworbenen Begleitpathologien umfassen die arthrosebedingte superomediale Migration des Hüftkopfs, Folgezustände des Morbus Perthes oder proximaler Femurfrakturen sowie kartilaginäre Exostosen des proximalen Femurs oder Beckens [58, 61].

Eine Insuffizienz der Glutealmuskulatur führt über ein Absinken des Beckens beim Gehen funktionell zu einer vermehrten Adduktion der Hüfte auf der betroffenen Seite mit Reduktion des ischiofemoralen Raums [25, 58]. Ein analoger funktionell-positioneller Mechanismus zeigt sich bei Beinlängendifferenz mit Beckenschiefstand. Ebenfalls können Pathologien der Hamstring-Sehnenansätze oder der Iliopsoassehne weichteilig den „Quadratus femoris space“ einengen und zum IFI führen [58, 61]. Iatrogene Ursachen für ein IFI sind vor allem bei der Endoprothetik der Hüfte mit Reduktion des femoralen Offsets oder bei einer valgisierenden Umstellungsosteotomie des proximalen Femurs gegeben.

Um das IFI zu quantifizieren, wird häufig der sog. Ischiofemorale Raum (Ischiofemoral Space – IFS) oder Quadratus femoris Raum (Quadratus Femoris Space – QFS) verwendet. Der IFS wird dabei definiert als der kürzeste Abstand zwischen dem Kortex des Trochanter minors und dem Kortex des Tuber ischiadicum. Der QFS wird definiert als der kürzeste Abstand zwischen den Hamstringsehnen und der Iliopsoassehne bzw. des Trochanter minors [49]. Der IFS wird in der Normalbevölkerung mit 18–26 mm angegeben, wobei diese Absolutwerte sehr lageabhängig sind [6, 22, 30, 58, 59].

Zur konservativen Behandlung des IFI gehört die ultraschallgestützte Infiltration des M. quadratus femoris, Physiotherapie und die analgetisch-antiphlogistische Therapie. Die operative Behandlung des IFI beinhaltet die offene oder arthroskopische Teilresektion des Trochanter minors, die Modellierung des lateralen Tuber ischiadicum, Debridement der Quadratus femoris Sehne oder intertrochantere Korrekturosteotomien (Abb. 2) [6, 58, 69].

Ischiofemorale Verletzungen werden in ihrer Bedeutung und im Hinblick auf die Folgen eines IFI unterschätzt. Im Folgenden werden Verletzungen der Strukturen beschrieben, die den IFS begrenzen: Apophysenabriss bzw. Fraktur des Trochanter minors und des Tuber ischiadicums, Ruptur bzw. Verletzung des Musculus quadratus femoris und Ruptur bzw. Verletzung der Iliopsoassehne. Vor dem Hintergrund eines möglichen posttraumatischen IFI sollten die operativen und konservativen Behandlungskonzepte kritisch abgewogen werden; es stellt sich die Frage, ob ischiofemorale Verletzungen immer konservativ behandelt werden sollen.

Apophysenabriss bzw. Fraktur des Trochanter minors

Avulsionsverletzungen
des Trochanter minors
des Jugendlichen

Verletzungen der Apophysen kommen grundsätzlich als akute oder chronische Avulsionsverletzungen vor. Man findet sie fast ausschließlich in der Adoleszenz, da in diesem Alter die generellen Reifungsvorgänge zu einem Muskelkraftzuwachs führen und gleichzeitig eine hormonell bedingte Schwächephase im Bereich der Wachstumsfugen des Skeletts eintritt. Die möglichen muskulären Zugkräfte können bei kraftvoller Muskelanspannung die lokalen Druckkräfte überschreiten und zum Versagen der Apophyse in der Wachstumsfuge, zur Avulsionsverletzung führen. Die Häufigkeit für Abrisse des Trochanter minors beträgt ca. 1–3 % [27, 44, 60, 65, 67].

Für die Abrissverletzung des Trochanter minors ist eine akute abrupte Anspannung des Musculus iliopsoas notwendig. Sie kommt typischerweise bei der Leichtathletik (Weitsprung, Sprint) und beim Fußball vor und führt über die plötzliche Kontraktur des Iliopsoas zu der Dissoziation des Trochanter minors vom Femur [27, 44, 67]. Abrisse des Trochanter minors sind auch als chronische Verletzungen beim Baletttanz bzw. als Avulsionen beim Krampfanfall beschrieben [33, 40].

Klinisch ist die Belastbarkeit des Beines stark beeinträchtigt, assoziiert mit einer Schonhaltung des Hüftgelenks in Beugung. Der mediale proximale Oberschenkel ist druckschmerzhaft, eine Beugung des Hüftgelenks gegen Widerstand wird in der Regel nicht toleriert. Die wichtigste bildgebende Untersuchungsmethode ist die konventionelle Röntgenaufnahme des Beckens oder der betroffenen Hüfte a.p. und der Hüfte axial [44, 67].

McKinney et al. [32] erstellten eine Klassifikation der Avulsionsfrakturen der Apophysen (Typ I: Undislozierte Frakturen, Typ II: Dislozierte Frakturen ? 2 cm, Typ III: Dislozierte Frakturen > 2 cm, Typ IV: Symptomatische Pseudoarthrose oder schmerzhafte Exostose). Bei den Typ-I- bis Typ-III-Verletzungen wird eine konservative Therapie vorgeschlagen. Die Therapie ist in der Regel konservativ aufgrund der sehr guten Ergebnisse [2, 16, 27, 33, 38, 40, 44, 60, 62, 67]. Anfangs empfiehlt sich eine Abrollbelastung für 2–4 Wochen, je nach Klinik. Über ein Sportverbot für 6 Wochen und eine vorsichtige sportliche Belastungssteigerung können die Patientinnen und Patienten in der Regel nach 8–12 Wochen zur gewohnten Leistungsfähigkeit zurückkehren. Operative Therapiemaßnahmen sind auch im Leistungssportbereich in der Regel nicht angeraten [67].

Es gibt 3 wesentliche Komplikationen der Avulsionsverletzungen der Hüftregion: überschießende heterotope Ossifikation, Pseudarthrose und die Entstehung eines ossifizierenden Pseudotumors. Alle 3 Komplikationen sind selten, können aber teilweise massive klinische Symptome hervorrufen, auch im Sinne eines IFI.

Khemka et al. [24] berichteten kürzlich über die arthroskopische Refixation einer Avulsionsfraktur des Trochanter minors bei 3 Patienten mit exzellenten Ergebnissen. Khemka et al. [24] sind davon ausgegangen, dass die konservative Therapie dieser Verletzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Pseudarthrose führen wird mit Reduktion der Hüftbeugekraft und zu einem IFI.

Fasting führte eine offene Refixation mittels Cerclage 6 Wochen nach der Verletzung durch mit einem guten Ergebnis [20].

Stafford und Villar [55] versuchten zunächst eine Infiltrationsbehandlung des Trochanter minors nach Avulsionsfraktur des Trochanter minors mit sekundärem IFI. Bei ausbleibendem Therapieerfolg führten sie daraufhin eine Exzision des Fragmentes durch.

Fraktur des Trochanter minors beim Erwachsenen

Im Alter von 18 Jahren ist in der Regel die Apohysenfuge des Trochanter minors verschlossen [12]. Frakturen des Trochanter minors treten im Erwachsenenalter in der Regel bei pertrochanteren Femurfrakturen auf [46, 57]. Die Arbeit von Schenkel et al. [46] konnte zeigen, dass eine Dislokation des Trochanter minors von > 2 cm zu einer fettigen Infiltration des M. Iliacus und M. Psoas führt im Vergleich zur nichtverletzten Seite, jedoch zu keiner signifikanten Abschwächung der Hüftbeugung; eine Refixation des Trochanter minors ist bei der Osteosynthese pertrochanterer Femurfrakturen nicht erforderlich [46, 57].

In Einzelfällen kann die Reposition und Refixierung des Trochanter minors – bei einer Dehiszenz > 2 m bzw. wenn > 2 Fragmente des Trochanter minors vorliegen – jedoch hilfreich sein [68].

Isolierte Frakturen des Trochanter minors beim Erwachsenen stellen eine Rarität dar und treten häufig als pathologische Frakturen bei Tumorerkrankungen auf [12]. Die größte Serie von 38 Patientinnen und Patienten wurde 2020 von Cho et al. publiziert. 33/38 Fakturen (86,8 %) waren pathologische Frakturen, 6 (18,2 %) auf dem Boden einer primären Tumorerkrankung, 27 (81,8 %) auf dem Boden von Metastasen. Bei Frakturen des Trochanter minors im Erwachsenenalter sollte daher immer eine maligne Erkrankung ausgeschlossen werden. In Kasuistiken wurde von traumatologischen Frakturen [9, 50, 64] bzw. Ermüdungsfrakturen [34] des Trochanter minors im Erwachsenenalter berichtet [9, 50, 64]. Frakturen des Trochanter minors im Erwachsenenalter werden in der Regel konservativ behandelt, erst aber einer Dislokation von > 2 cm sollte die operative Refixierung in Betracht gezogen werden [4, 24].

Apophysenabriss bzw. Fraktur des Tuber ischiadicums

Der Abriss des Tuber ischiadicum ist die Folge einer akuten Anspannung der ischiocruralen Muskulatur, die eine Avulsion des Tubers erzwingt [67].

Das Tuber ischiadicum ist in ca. 33–50 % der Fälle von Avulsionsverletzungen des Beckens betroffen [45, 47]. Die Verletzung tritt gehäuft zwischen dem 14. und dem 25. Lebensjahr auf. Jungen sind 3- bis 5-fach häufiger betroffen als Mädchen [45, 47]. Ausgesprochen selten kann eine Avulsionsfraktur am Tuber ischiadicum auch im hohen Erwachsenenalter auftreten [53].

Zu den Sportarten mit dem größten Verletzungsrisiko zählen u.a. Fußball, Turnen und Leichtathletik [45]. Eine akute kraftvolle Hüftbeugung bei gestrecktem Knie, bspw. beim Hürdenlauf, entspricht dem typischen Entstehungsmechanismus [15, 47 67].

Anamnestisch geben Patientinnen und Patienten ein knallendes Geräusch an mit Schmerzen im Bereich des Ursprungs der ischiocruralen Muskulatur, teils mit Ausstrahlung entlang der Muskulatur. Oft denkt man zuerst an einen Muskelriss und gelegentlich wird die Diagnose erst nach einer gewissen Latenzzeit gestellt [8, 45, 47, 67].

Die Untersuchung ergibt aber ein druckschmerzhaftes Tuber ischiadicum, Schwellung der Region und einen Muskeldehnungsschmerz [45, 47, 67]. Die Patientinnen und Patienten geben stärkere Schmerzen beim Sitzen als beim Stehen an.

Die Diagnose wird radiologisch auf der Beckenübersichtsaufnahme gestellt [47. 67], wobei sich diese Aufnahme initial in bis zu 70 % der Fälle unauffällig zeigt. Eine Sonografie ist in der Akutphase wegweisend und hat eine hohe Sensitivität für die korrekte Diagnose. Die Computertomografie kann die apophysäre Avulsionsfraktur korrekt erkennen, während das MRT eher für Pathologien im Muskel-Sehnen-Bereich indiziert ist [8, 45, 47, 67].

Das Ausmaß der Verletzung variiert in Abhängigkeit des Traumas, sodass einige Autorinnen und Autoren ein abgestuftes therapeutisches Vorgehen vorschlagen [67]. Da das Periost oft am Fragment adhärent bleibt, wird eine größere Dislokation verhindert [47].

Die Therapie ist in aller Regel (ca. 90 %) konservativ [8. 45, 47,67], sie beinhaltet die konsequente Teilbelastung mit 20 kg an einem Paar Unterarmgehstützen für 2–4 Wochen. Parallel dazu wird eine Ossifikationsprophylaxe mit Ibuprofen für 2–3 Wochen empfohlen [45, 67]. Bei Schmerzfreiheit wird mit dem Rehabilitationsprogamm und dem weiteren Belastungsaufbau begonnen [15, 67].

Zunächst stehen Bewegungsübungen im Vordergrund, auf Dehnungs- oder Sprungbelastungen sollte etwa bis zur 8. Woche verzichtet werden. Bei einem erfolgreichen Verlauf der Rekonvaleszenz können die Belastungsumfänge gesteigert werden. Mit einer völligen Schmerzfreiheit ist beim Tuberausriss nach 3–4 Monaten zu rechnen, danach ist die Wiederaufnahme der sportlichen Aktivitäten möglich [47, 67].

Schlecht bzw. nicht verheilte Avulsionsverletzungen des Tuber ischiadicum können zu einem IFI bzw. Dysfunktion der ischiocruralen Muskulatur führen [45, 54]. In diesen Fällen kann eine Revision des Nervus ischiadicus, Resektion des Fragmentes und Refixierung der ischiocruralen Muskulatur indiziert sein mit guten Ergebnissen [45, 54]. Ziel der Behandlung von Avulsionsverletzungen ist es, derartige Verläufe nach Möglichkeit zu verhindern.

Die operative Therapie besteht in der Regel in der offenen Reposition des Fragments und Schraubenfixation. Die Metaanalyse von Eberbach et al. zeigt, dass 76 % der Verletzungen mit Schrauben, 15 % mit K-Drähten und 9 % mit Osteosyntheseplatten versorgt wurden [47]. Eine Dislokation des Fragmentes von über 2 cm wird als Operationsindikation mittlerweile akzeptiert [7, 8, 11, 15, 28, 67], andere Autorinnen/Autoren sehen eine Dislokation > 1,5 cm als Operationsindikation an [35]. Für Leistungssportlerinnen und -sportler werden diese Grenzen fließender, die operative Behandlung als wichtige Alternative gesehen, um die Sportlerinnen und Sportler schneller auf ihr ursprüngliches Leistungsniveau zu bringen [47, 67]. Die Ergebnisse der operativen Behandlung akuter Apophysenausrisse, insb. des Tuber ischiadicum werden als sehr positiv angegeben, besser als nach chronischer bzw. länger bestehender Verletzung, wenn man die obigen Indikationskriterien berücksichtigt [47, 67]. Durch die operative Behandlung eines Apophysenausrisses kommt es in über 80 % der Patientinnen und Patienten zu einer Rückkehr zu dem Sportniveau vor der Verletzung [51].

Ruptur bzw. Verletzung des Musculus quadratus femoris

Der M. quadratus femoris entspringt am Tuber ischiadicum nahe des Hinterrandes des Foramen obturatum und setzt nach nahezu horizontalem Verlauf an der Crista intertrochanterica an. Er wird vom Nervus ischiadicus, der durch das Foramen ischiadicum austritt und zur Gesäßregion hin verläuft, überkreuzt. Seine Innervation erfolgt jedoch durch Äste des Plexus sacralis. Durch seinen Verlauf kann der M. quadratus femoris seine Zugwirkung senkrecht zur Rotationsachse des Oberschenkels entfalten. Auf diese Weise ist eine effektive Außenrotation im Hüftgelenk möglich. Zudem unterstützt er die Adduktion des Oberschenkels. [5, 63].

Der traumatische Muskelriss des Musculus quadratus femoris ist eine sehr seltene Verletzung. Die sofortige und korrekte Diagnose ist aufgrund seiner Seltenheit eine Herausforderung, da zahlreiche andere Erkrankungen ähnliche Beschwerden verursachen. Es sind nur wenige Fälle einer Teil- und Vollruptur des M. quadratus femoris in der Literatur beschrieben [5, 17, 36, 42, 63, 66, 70].

Verletzung des Musculus quadratus femoris treten überwiegend bei Frauen auf (Frauen:Männer = 6:1). Das Alter der Patientinnen und Patienten bei Verletzung liegt zwischen 17 und 43 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 29,6 Jahren. Die Symptome reichen von Leistenschmerzen, über Schmerzen am Gesäß bis zu Schmerzen des hinteren Oberschenkels. Der Zeitraum zwischen Verletzung und korrekter Diagnosestellung variiert zwischen 1 Tag und 5 Monaten [36].

Der genaue Mechanismus dieser Verletzung ist unbekannt. Bei Tennisspielerinnen und -spielern kann es bei einer starken exzentrischen Anspannung des Musculus quadratus femoris liegen, bei dem Versuch die Innenrotation der Hüfte während der Folgephase des Aufschlags zu kontrollieren [66]. Andererseits kann ein angeborener verringerter Abstand zwischen dem Trochanter minor und dem Tuber ischiadicum ein prädisponierender Faktor für ein Impingement des Musculus quadratus femoris darstellen. Die MRT-Untersuchung führt in der Regel zur korrekten Diagnose [5, 17, 36, 42, 63, 66, 70].

Die Therapie von Verletzungen des M. quadratus femoris ist in der Regel konservativ im Sinne von Injektion mit Kortikosteroiden, transkutaner Neurostimulation, Iontophorese, analgetisch-antiphlogistischer Therapie, Physiotherapie und schmerzadaptierter Teilbelastung [5, 17, 36, 42, 63, 66, 70]. Scheitert die konservative Therapie, kann bei Beschwerdepersistenz die Revision mit offener Revision des Nervus ischiadicus durchgeführt werden [5].

Ruptur bzw. Verletzung
der Iliopsoassehne

Avulsionsverletzungen der Iliopsoassehne sind sehr selten und nur kausistisch bzw. in kleinen Fallserien beschrieben [3, 10, 13, 14, 19, 26, 29, 41, 43, 48, 52]. Sehnenverletzungen und Verletzungen im Bereich des Muskel-Sehnen-Übergangs des M. iliopsoas sind bei 0,66 % der MRT-Analysen im Hüft- und im Beckenbereich zu erwarten [3]. Die Prävalenz kompletter Risse beträgt 0,16 % [10]. Bei Patientinnen und Patienten unter 65 Jahren handelt es sich vorwiegend um Sportverletzungen im muskulären Bereich sowie um Zerrungen und Partialrupturen der Iliopsoassehne, die insb. bei Fußballerinnen/Fußballern oder bei Ruderinnen/Ruderern auftreten [3, 18]. Bei über 65-Jährigen hingegen wurden vorwiegend komplette Sehnenrisse ohne Zusammenhang mit sportlicher Belastung und überwiegend bei Frauen diagnostiziert. In 43,9 % der Patientinnen und Patienten liegt eine traumatische Genese vor, Frauen sind mit 68,4 % etwas häufiger betroffen als Männer [10, 29].

Als prädisponierender Faktor muss bei der erwachsenen Patientin/beim erwachsenen Patienten an eine Schwächung der Sehneninsertion am Trochanter minor durch ein tumoröses Geschehen, insbesondere an lokale Metastasen gedacht werden [3, 10]. Mit zunehmendem Alter scheinen die Häufigkeit und der Schweregrad der Verletzung zuzunehmen [10, 29]. Weitere Ursachen werden im Zusammenhang mit der Gabe von Kortikosteroiden und antibiotischer Therapie (Fluorchinolone), mit (multiplen) chronischen Erkrankungen (z.B. rheumatoide Arthritis, Kollagenosen, chronisches Nierenversagen, Diabetes und Gicht) sowie nach endoprothetischen Ersatzoperationen an der Hüfe beschrieben [21, 29, 31, 56]. Bei älteren Patientinnen und Patienten werden in etwa 50 % der Fälle traumatische Ereignisse als Auslöser der Symptomatik angegeben [10]. Etwa 25 % der Fälle zeigen keinen eindeutigen Zusammenhang mit einem Sturzereignis, während weitere 25 % spontan auftreten, d.h. die Patientinnen und Patienten können sich nicht an ein Verletzungsereignis erinnern [10]. Iliopsoasavulsionen bei jüngeren erwachsenen Patientinnen und Patienten sind in der Regel sportinduziert [29].

Die Diagnostik von Verletzungen im Leistenbereich ist schwierig, weil zahlreiche anatomische Strukturen in anatomisch enger Nachbarschaft lokalisiert sind. In etwa 30 % der Fälle ist die Diagnose nicht eindeutig [29].

Bei der klinischen Untersuchung nach Iliopsoasavulsion findet sich meist ein schmerzbedingt schonhinkendes Gangbild. Eine wesentliche Schwellung oder Hämatomverfärbung im Oberschenkelbereich wird meist nicht gefunden. Die passive Beweglichkeit des betroffenen Hüftgelenks ist unauffällig, die aktive Bewegungsprüfung der Hüfte provoziert aber einen Schmerz. Das aktive Anheben des gestreckten Beines ist typischerweise nicht möglich und wird als stark schmerzhaft empfunden, ebenso die isometrische Beugung des Oberschenkels in der Hüfte bei leicht außenrotiertem Oberschenkel mit Widerstand am Oberschenkel [29]. Die eindeutige Diagnose der Iliopsoasavulsion ist klinisch meist nicht möglich, deshalb müssen weiterführende bildgebende Untersuchungen i.S.e. MRT-Untersuchung angeschlossen werden [3, 10, 29, 43, 56]. Die Behandlung der Iliopsoasavulsion erfolgt grundsätzlich konservativ [3, 14, 19, 21, 26, 29, 41, 56].

Nach Avulsionsverletzungen der Iliopsoassehne kann zunächst wegen der starken Schmerzhaftigkeit eine orale analgetisch-antiphlogistische Medikation erforderlich sein [29], die Behandlung erfolgt funktionell und schmerzadaptiert mit Teilbelastung an einem Paar Unterarmgehstützen oder mit Rollator für ca. 3 Wochen und daraufhin folgender Vollbelastung. Eine physiotherapeutische Begleitbehandlung sollte sofort begonnen und durchgängig durchgeführt werden. Muskelkräftigungen können bei Schmerzfreiheit ebenfalls nach 3 Wochen wieder durchgeführt werden [29].

Fazit für die Praxis

  • 1. Ischiofemorale Verletzungen sind sehr selten und werden in ihrer Bedeutung unterschätzt.
  • 2. Zu den ischiofemoralen Verletzungen gehören der Apophysenabriss bzw. Fraktur des Trochanter minors und des Tuber ischiadicums. Ruptur bzw. Verletzung des Musculus quadratus femoris und Ruptur bzw. Verletzung der Iliopsoassehne.
  • 3. In der Regel erfolgt die konservative Therapie, wobei in Einzelfällen die operative Versorgung erwogen werden muss.
  • 4. Als Folge einer ischiofemoralen Verletzung kann ein ischiofemorales Impingement auftreten.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Markus-Johannes Rueth

Leiter Abteilung für Sportorthopädie

Muskuloskelettales Zentrum

Marktredwitz

Klinikum Fichtelgebirge

Haus Marktredwitz

Schillerhain 1–8

95615 Marktredwitz

unfallchirurgie@klinikum-
fichtelgebirge.de

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