Arzt und Recht - OUP 02/2012

Versäumte Abrechnungsfrist: Zusätzliche
„Verwaltungsgebühr“ trotz schwerer Krankheit
Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Karlsruhe

Einleitung

Der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt ist zur rechtzeitigen Abrechnung seiner Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung verpflichtet. Dies ergibt sich auf der Grundlage von § 295 SGB V und den Bundesmantelverträgen letztendlich aus den Honorarverteilungsverträgen sowie Abrechnungsrichtlinien der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen können Fristen für die Vorlage der vertragsärztlichen Abrechnung eines Quartals setzen und als materielle Ausschlussfristen ausgestalten1. „Materielle Ausschlussfrist“ bedeutet, dass nach Fristablauf der Arzt Ansprüche verliert. Dieser Fristendruck hat auch grundsätzlich im Interesse aller an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte seine Daseinsberechtigung, weil die Kassenärztliche Vereinigung regelmäßig erst dann ein Quartal abrechnen kann, wenn ihr alle Leistungsanforderungen des Quartals vorliegen. Trotzdem muss die Gestaltung der Fristen verhältnismäßig sein und Rücksicht auf die Belange der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte nehmen. Es muss insbesondere ausgeschlossen sein, dass Softwarefehler und hierauf beruhende Fristversäumnisse eine Existenzgefährdung der Praxis verursachen2.

Zulässig sind auch Abzüge vom Honorar, wenn der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt die Einreichungsfrist für die Abrechnungsunterlagen versäumt. Solche Honorarkürzungen müssen jedoch in den jeweiligen Regelungen der KV vorgesehen sein3. Der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt läuft demnach je nach den Vorgaben der für ihn örtlich zuständigen KV Gefahr, wegen Fristversäumnissen bei der Abrechnung Ansprüche zu verlieren und/oder zusätzliche „Verwaltungsgebühren“ vom Honorar abgezogen zu bekommen.

Wie ein jüngst rechtskräftig gewordenes Urteil des Sozialgerichts Marburg4 zeigt, setzen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Abgabefristen auch dann kompromisslos durch, wenn gravierende Gründe wie eine Krebserkrankung den Arzt an der rechtzeitigen Einreichung seiner Abrechnungsunterlagen gehindert haben:

Zum Sachverhalt

Vor dem Sozialgericht Marburg stritten die Beteiligten um die Festsetzung von Verwaltungskosten wegen verspäteter Einreichung der Abrechnungsunterlagen für das Quartal II/09 in Höhe von 1.400,00 €.

Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzt reichte die Abrechnung für das Quartal II/09 am 07.08.2009 bei der KV ein. Mit Bescheid vom 28.09.2009 setzte die KV die strittigen Verwaltungsgebühren in Höhe von 1.400,00 € fest. Zur Begründung führte sie aus, sie habe die Abrechnung erst am 07.08.2009 erhalten, ohne dass eine Genehmigung für eine Fristverlängerung vorgelegen habe. Abgabe sei bekanntermaßen der 10. des jeweiligen ersten Quartalmonats. Nach ihren Abrechnungsrichtlinien werde für jeden Tag der Fristüberschreitung ein Betrag in Höhe von 50,00 € zur Deckung der zusätzlichen Verwaltungskosten erhoben. Bei einer Überschreitung von 28 Tagen betrage der Honorarabzug 1.400,00 €.

Hiergegen legte der Arzt Widerspruch ein. Er trug vor, die Verspätung beruhe nicht auf Fahrlässigkeit, sondern sei krankheitsbedingt. Er sei an Darmkrebs erkrankt, was ihn sehr belaste. Am Ende des Quartals habe ihm die nötige Energie gefehlt, die Abrechnung zeitnah fertig zu stellen. Er bitte deshalb um eine Aufhebung des Bescheids im Rahmen einer Kulanzregelung.

Die KV wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach ihren Abrechnungsrichtlinien seien die Abrechnungsunterlagen vollständig und spätestens 10 Tage nach Ende des Abrechnungsquartals bei ihr einzureichen. Für jeden Tag der Verspätung erhebe sie 50,00 € für die zusätzlichen Verwaltungskosten. Dieser Abzug werde jedoch auf maximal 2.500,00 € bzw. höchstens 10 % des gesamten abgerechneten Nettohonorars begrenzt.

Der Arzt habe einen Antrag auf Fristverlängerung nicht gestellt. Gerade für den Fall einer Erkrankung bestehe die Möglichkeit einer Fristverlängerung. Ein solcher kurzer schriftlicher Antrag wäre dem Arzt trotz der geschilderten Situation zumutbar gewesen.

Die in den Abrechnungsrichtlinien vorgeschriebenen 50,00 € pro Tag der Fristüberschreitung deckten die Aufwendungen an zusätzlichem Personal- und Sachkosten ab, die über die regulär anfallenden Verwaltungskosten hinausgingen und durch die Überschreitung der Frist zur Einreichung der Abrechnungsunterlagen für das Quartal II/09 entstanden seien.

Bei Verspätung bestehe kein Anspruch auf Bearbeitung im laufenden Abrechnungsverfahren. Würden die verspäteten Unterlagen ungeachtet dessen in der aktuellen Abrechnung bearbeitet, entstehe ein vermehrter Verwaltungsaufwand, etwa weil in bereits ablaufende Computerprogramme eingegriffen werden müsse oder weil Teile der Unterlagen manuell bearbeitet werden müssten. Es handele sich um eine Pauschale, da der Aufwand der durch die verspätete Einreichung entstandenen Verwaltungsarbeit von Fall zu Fall unterschiedlich sein könne. Die Pauschale bilde den durchschnittlichen Verwaltungsaufwand ab, der durch eine nach Fristablauf eingereichte Abrechnung entstehe.

Ein Ausnahmefall liege z. B. vor, wenn dem Arzt kein Verschulden vorzuwerfen sei. Eine solche Situation, in der nicht einmal ein Antrag auf Fristverlängerung möglich sei, habe der Arzt nicht dargelegt. Ein solcher Antrag sei auch bei absehbarer Fristüberschreitung um nur wenige Tage notwendig.

Hiergegen hat der Arzt am 16.04.2010 Klage erhoben. Zur Begründung trug er vor, er halte die Sanktionierungsvorgaben der KV für unverhältnismäßig. Die Fristüberschreitung einer kleinen Einzelpraxis in dem Ausmaß wie hier führe weder zu einer Verzögerung des Abrechnungsprozesses insgesamt und auch nicht zu einer Erhöhung der Verwaltungskosten, noch zu der Notwendigkeit einer nachträglichen Honorierung. Zum damaligen Zeitpunkt seien im Bereich der Bezirksstelle zwischen 5–10 % der Quartalsabrechnungen verspätet eingereicht worden. Ohne Begründung hätte eine Fristverlängerung von zwei oder drei Wochen beantragt werden können. Auch er habe in der Vergangenheit diese Möglichkeit genutzt und die Fristverlängerung erhalten. Er habe auf „organisatorische Gründe“ verwiesen. In mehreren Quartalen habe er bei fristgerechter Abgabe der Abrechnung den weiteren Verwaltungsvorgang beobachtet. In zwei Fällen habe sich herausgestellt, dass seine Abrechnung erst nach der zweiten Woche des Folgemonats bearbeitet worden sei. Viele Kollegen hätten im streitbefangenen Quartal ohne Antrag auf Fristverlängerung die Abrechnung verspätet eingereicht, viele bis zu einer Woche, und seien dennoch nicht mit einem Strafgeld belegt worden. Viele hätten die Abrechnung noch später mit einem mehr oder weniger formal begründeten Antrag eingereicht. Er sei als einziger mit einem Strafgeld unmittelbar ab dem 11.07.2009 belegt worden. Hierin sehe er eine Ungleichbehandlung.

Die KV verwies daraufhin auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trug ergänzend vor, mit der Höhe der Verwaltungskosten habe sie ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Sie habe eine autonome Satzungsbefugnis nach § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Die Regelung sei verhältnismäßig. Der Arzt sei nicht der einzige gewesen. Es habe allein weitere 21 Widerspruchsverfahren gegeben. Bzgl. des Arztes sei ein weiteres Verfahren für das Quartal IV/09 anhängig.

Aus den Gründen

Das Sozialgericht hält die Klage des Arztes für unbegründet. Die Festsetzung der Verwaltungsgebühren sei rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben:

In den Abrechnungsrichtlinien der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung würden die Einzelheiten der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen geregelt. Nach den vorliegend maßgeblichen Abrechnungsrichtlinien bestehe für verspätet eingereichte Abrechnungen kein Anspruch auf Bearbeitung in der laufenden Abrechnung. Werde die Abrechnung quartalsversetzt bearbeitet, würden die Regelungen des ursprünglichen Abrechnungsquartals angewandt. Für Abrechnungen, die ohne hinreichende Begründung verspätet oder unvollständig eingereicht werden, würden zur Deckung der hiermit verbundenen zusätzlichen Verwaltungskosten über den allgemeinen Verwaltungskostensatz hinaus, für jeden Tag der Fristüberschreitung 50,00 € erhoben. Dieser Abzug werde auf max. 2.500,00 € bzw. höchstens 10% des gesamten abgerechneten Nettohonorars begrenzt.

Nur wenn die Abrechnungen rechtzeitig eingehen, sei gewährleistet, dass alle in einem bestimmten Quartal angefallenen Leistungen auch tatsächlich in der Quartalsabrechnung erfasst werden. Gerade für die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei es von großer Bedeutung, dass die von den Vertragsärzten erbrachten und abgerechneten Leistungen sämtlich im jeweiligen Quartal korrekt erfasst werden und nicht ein Teil der Leistungen aus technischen Gründen erst in den Folgequartalen verbucht werden kann. Erfordert mithin die Struktur der Honorarverteilung eine rechtzeitige Vorlage der Quartalsabrechnung, so stelle dies grundsätzlich eine ausreichende Grundlage für die KV dar, Regelungen zu beschließen, die dazu dienen, eine Abrechnungsverzögerung zu verhindern. Es sei rechtlich grundsätzlich zulässig, wenn die KV durch die Erhebung einer Säumnisgebühr auf die Vertragsärzte Druck ausübt, um eine pünktliche Einreichung der Abrechnungsunterlagen zu gewährleisten. Abrechnungsregelungen könnten auch in einer Satzung der KV geregelt werden, soweit der Honorarverteilungsvertrag wie hier keine abweichende Regelung trifft.

Die Erhebung einer Abrechnungsgebühr in Höhe von 50,00 € für jeden verspäteten Tag sei auch nicht unverhältnismäßig. Die strittige Regelung sehe eine Höchstgrenze bei 10% des Nettohonorars vor, so dass eine übermäßige Belastung in jedem Fall vermieden würde. Die Gebühr diene zum einen zur Deckung des erhöhten Verwaltungsaufwandes, der durch eine verspätete Abrechnung entsteht. Die Beklagte sei dabei berechtigt, eine solche Gebühr zu pauschalieren. Es sei nicht ersichtlich, dass die Gebühr erhöht ist. Zum anderen dürfe die Gebühr auch im Hinblick auf die Bedeutung einer möglichst zügigen Honorarverteilung, die aufgrund verschiedener Budgetierungsmaßnahmen auch voraussetzt, dass alle Leistungen in einem Abrechnungsvorgang berücksichtigt werden können, eine Sanktionierung verspäteter Abrechnungen treffen, um die Vertragsärzte zur Einhaltung der Abrechnungsfristen anzuhalten.

Im Übrigen habe der Arzt nicht dargelegt, dass ihn ein Verschulden für die Verspätung nicht treffen würde. Er hätte daher ohne Weiteres die Festsetzung der Gebühr vermeiden können, wenn er sich an die Abrechnungsfristen gehalten hätte. Die vom Arzt geltend gemachte Ungleichbehandlung führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Gebühr.

Fazit

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg zeigt, dass die KV von der Rechtsprechung dabei gestützt wird, bei der Durchsetzung ihrer Abgabefristen für die Abrechnungsunterlagen keine Kulanz walten zu lassen.

Die Tatsache, dass das Urteil lediglich mit einem Satz feststellt, dass der an Krebs erkrankte Arzt „ohne Weiteres die Festsetzung der Gebühr hätte vermeiden können, wenn er sich an die Abrechnungsfristen gehalten hätte“, zeigt, dass auch in Extremsituationen zumindest die Beantragung einer Fristverlängerung für zumutbar gehalten wird.

Hierbei ist unerheblich, ob die KV zuvor Verlängerungsanträge ohne Begründung akzeptiert bzw. erst Wochen nach Abgabe der Abrechnung diese bearbeitet. Unerheblich ist auch, ob andere Ärzte trotz verspäteter Abgabe der Abrechnung keine Säumnisgebühr zu zahlen hatten. Das Gericht stellt hierzu in trockener Kürze fest, die vom Arzt geltend gemachte (und vom Gericht nicht infrage gestellte!) Ungleichbehandlung führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Gebühr.

Mit diesem Urteil wird dem Formalismus des Vertragsarztrechts Vorschub geleistet. Es zwingt jeden an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt, auch in Extremsituationen die von der KV vorgegebenen Regelungen zur Abrechnung einzuhalten:

Der Vertragsarzt muss sich in den Honorarverteilungsverträgen und den Abrechnungsrichtlinien der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung darüber informieren, welche Form und Frist für die Abgabe der Abrechnungsunterlagen einzuhalten sind.

Sobald die Gefahr einer Fristversäumung absehbar ist, sollte der Vertragsarzt einen begründeten Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Abrechnung stellen.

Sollte es unverschuldet zu einer Fristversäumung und infolgedessen zur Festsetzung einer zusätzlichen „Verwaltungsgebühr“ kommen, ist anhand der maßgeblichen Abrechnungsregelungen zu prüfen, ob die Festsetzung dieser Gebühr rechtmäßig ist. Gegebenenfalls ist gegen den Festsetzungsbescheid fristwahrend (in der Regel einen Monat nach Zugang des Bescheides) Widerspruch einzulegen.

Nach der voranstehend zitierten Rechtsprechung sind die Erfolgsaussichten geringer geworden, erfolgreich gegen die Festsetzung einer zusätzlichen „Verwaltungsgebühr“ vorzugehen, wenn nicht auch in Extremsituationen zumindest ein Fristverlängerungsantrag gestellt wurde. Der ohnehin bereits auf die Spitze getriebene Formalismus des Abrechnungssystems wird hierdurch weiter gefestigt. Trotzdem ist ein Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) nicht aussichtslos, wenn der Arzt nachweisen kann, dass er unverschuldet auch an der Beauftragung eines Dritten mit der Stellung des Fristverlängerungsantrages gehindert war.

Korrespondenzadresse

RA Dr. Christoph Osmialowski

Kanzlei für ArztRecht

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Fussnoten

1 Bundessozialgericht, Urteil vom 22.06.2005, Aktenzeichen B 6 KA 19/04 R, ArztRecht 2006, 134.

2 Bundessozialgericht, Urteil vom 22.06.2005, Aktenzeichen B 6 KA 19/04 R, ArztRecht 2006, 134.

3 Bundessozialgericht, Urteil vom 29.08.2007, Aktenzeichen B 6 KA 29/06 R, ArztRecht 2008, 221.

4 Urteil vom 23.03.2011, Aktenzeichen S 12 KA 276/10.

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